Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2024
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No G20

No G20

Hamburg empfing am 7. und 8. Juli 2017 Staatschefs und Vertreter der EU zum G-20-Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Sie erwartete eine große und kreative Protestbewegung.

Berichte

  • · Berichte

    Aufklärung des G-20-Einsatzes verlangt

    Diskussionsveranstaltung von ATTAC in Frankfurt am Main zu Provokationen der Polizei
    Gitta Düperthal
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    Eine verletzte Demonstrantin wird im Hamburger Schanzenviertel behandelt (8. Juli)

    Die Gegenöffentlichkeit soll nicht zu groß werden. Diesem Zweck diene die derzeitige Debatte über linke Gewalt, die von Politikern, Medien und Polizei nach den Protesten gegen den G- 20-Gipfel befeuert werde. Das sagte Dirk Friedrichs, Mitglied des Koordinierungskreises von ATTAC, am Freitag abend in Frankfurt am Main. Zur »Rückblende G 20« hatte Friedrichs in den Club Voltaire geladen. Er sehe keinen Grund, sich von der Gewalt zu distanzieren, so Friedrichs. Das breite Protestbündnis aus linken, kirchlichen und gewerkschaftlichen Gruppen, dem auch das globalisierungskritische Netzwerk angehörte, sei schließlich friedlich geblieben.

    Er selbst habe im vor der großen Demonstration am 8. Juli – 76.000 Menschen beteiligten sich daran – mit Aktivisten diskutiert, die später im sogenannten schwarzen Block mitliefen. Dabei sei geklärt worden, dass sie mitdemonstrieren, aber keine Gewalt anwenden sollen. »Das hat sich bewährt, alle haben sich daran gehalten«, so Friedrichs. »Wir hatten das Gewaltproblem im Griff, nur die Polizei nicht.«

    In der folgenden Debatte wurde auch die Rolle der auf dem G-20-Gipfel anwesenden Politiker erörtert. Von diesen ginge Gewalt aus, denn sie stützten ein Wirtschaftssystem, das zu mehr Hunger, Flucht und Umweltzerstörung führe, so einer der Teilnehmer. Widerstand dagegen sei legitim. Der Polizei müsse man vorhalten, dass sie sich zunehmend dazu benutzen lasse, die Regierungsmeinung durchzusetzen. Das Versammlungsrecht der Bürger schütze sie hingegen kaum.

    Weitgehend einig waren sich die Anwesenden darin, dass die Eskalation seit dem Beginn der Protesttage von der Polizei provoziert worden sei. Die darauf folgende, von konservativen Politikern angestoßene Debatte sei gefährlich, zumal die Schuld für Gewalt ausschließlich den Linken angehängt werde. So solle berechtigte Kritik an der Regierung delegitimiert werden.

    Der Protest von annähernd 100.000 Menschen werde überdies aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt, sagte Friedrichs. Hamburger hätten überall in der Stadt »No G 20«-Aufkleber angebracht. Gegen den Gipfel habe es zahlreiche Aktionen gegeben, etwa das Bemalen der Fenster der Deutschen Bank mit abwaschbaren Kalkfarben – so sollte auf die intransparenten Strukturen des Finanzinstituts hingewiesen werden – oder die Sitzblockaden, die eine Teilnahme von Melania Trump am G-20-Programm verhinderten.

    Ähnlich aggressiv wie in Hamburg sei die Polizei gegen die »Blockupy«-Proteste in Frankfurt am Main vorgegangen. 2015 war gegen die Eröffnung des Hauptsitzes der Europäischen Zentralbank demonstriert worden. Die Schwelle zum Polizeistaat sei niedrig, sagte der Frankfurter Dokumentarfilmer Martin Keßler, der seit mehr als zehn Jahren die Entwicklung der sozialen Bewegungen und ihrer Kämpfe in seinem Langzeitfilmprojekt »Neue Wut« verfolgt. Derzeit plant er einen neuen Film über die Hamburger Proteste unter dem Namen »Reise in den Herbst«. Dabei vertritt er die These, dass die Politik in der Bundesrepublik deutlich nach rechts rücke. Er habe bei der Demonstration am 8. Juli miterleben müssen, wie Polizisten mitten in den Protestzug stürmten, weil einige Teilnehmer sich vermummt hatten. Dies sei aber nur eine Ordnungswidrigkeit. Ihn selbst, der sichtbar als Pressevertreter gekennzeichnet war, hätten die Beamten überrannt.

    Die Geschehnisse in Hamburg müssten aufgearbeitet werden, sagte auch Hans Möller vom Frankfurter ATTAC-Koordinierungskreis. Die Polizei sei Teil des staatlichen Gewaltmonopols, sie müsse deshalb für ihre falsche Taktik deutlich kritisiert werden. Die Forderung wurde von anderen Anwesenden wiederholt. Teil der Aufarbeitung müsse auch sein, zu untersuchen, aus welchem Umfeld sich die Polizei rekrutiere.

  • · Berichte

    Fake News aus Hamburg

    Sondersitzung zum G-20-Gipfel: Polizeieinsatzleiter präsentiert neue Zahl verletzter Beamter. Demo für Erhalt von linkem Zentrum
    Jana Frielinghaus, Lina Leistenschneider
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    Abschlusskundgebung der Solidemo am Mittwoch abend vor dem linken Kulturzentrum Rote Flora in Hamburg

    Eine heftige Debatte und neue Horrormeldungen über angeblich fast 600 durch Demonstranten während des G-20-Gipfels in Hamburg verletzte Polizisten gab es am Mittwoch abend im Parlament der Hansestadt. Polizeivertreter malten vor den Mitgliedern des Innenausschusses der Bürgerschaft Kriegsszenarien aus, an denen man »um Haaresbreite vorbeigeschrammt« sei, so die Wortwahl von Michael Zorn, der für die Spezialkräfte zuständig war.

    Der Leiter des gesamten G-20-Einsatzes, Hartmut Dudde, behauptete, es seien zwischen dessen Beginn am 22. Juni und dem Ende am 10. Juli 592 Beamte »durch Fremdeinwirkung« verletzt worden. Das Nachrichtenportal Buzzfeed News hatte bereits vor einer Woche nachgewiesen, dass von offiziell 476 in diesem Zeitraum in Hamburg als verletzt gemeldeten Beamten die Hälfte schon vor dem 6. Juli gesundheitliche Beeinträchtigungen bekanntgegeben hatte. Bei einem Großteil der »Verletzungen« habe es sich zudem um Kreislaufprobleme und Dehydrierung oder beispielsweise um Beschwerden durch gegen Demonstranten eingesetztes Reizgas gehandelt. Buzzfeed News hatte alle 16 Landespolizeibehörden und die Bundespolizei zu den Verletzungsstatistiken befragt.

    Die Oppositionsfraktionen protestierten während der Sitzung gegen die umfänglichen Einlassungen von Dudde und Innensenator Andy Grote (SPD). Dudde habe »eins zu eins« seine umfänglichen Einlassungen während einer Pressekonferenz vor einer Woche wiederholt, ohne auf neue Daten einzugehen, monierte ein Teilnehmer aus der Linksfraktion am Donnerstag gegnüber jW. Auch der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Dennis Gladiator, kritisierte, Senator und Einsatzleiter spielten »auf Zeit«, um einer detaillierten Befragung zu entgehen. Für seine Frak­tion erklärte er, die CDU wolle an dieser Art der Sitzung nicht mit eigenen Fragen teilnehmen. Ähnlich äußerten sich auch die Ausschussmitglieder von Linkspartei und FDP. Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Linksfrak­tion, forderte am Donnerstag in einer Presseerklärung einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz während des G-20-Treffens. Die Sondersitzung habe erneut gezeigt, dass ein solcher »das einzig mögliche Instrument« sei, um die Vorkommnisse aufzuarbeiten.

    Senator Grote beteuerte vor dem Ausschuss, die Verantwortlichen für den Polizeieinsatz gingen »selbstkritisch mit sich um«. Zugleich verbat er sich die Benutzung des Begriffs »Polizeigewalt«. Dieser unterstelle »strukturelles, rechtswidriges, gewalttätiges Eingreifen der Polizei«. Dass es genau dies während des Gipfels und in der Woche davor gegeben hat, belegen Tausende Videoaufnahmen und Medienberichte.

    Während die Sondersitzung in der Bürgerschaft noch lief, demonstrierten Hunderte Menschen für den Erhalt des linken Zentrums »Rote Flora« und gegen die »Formierung der autoritären Gesellschaft«. Die Polizei sprach von etwa 600 Teilnehmern, die Veranstalter nannten knapp 1.000. In den letzten Tagen hatten Vertreter der Hamburger SPD angekündigt, jegliche Förderung der Einrichtung einstellen zu wollen, es sei denn, deren Betreiber distanzierten sich von jeglicher Gewalt. CDU und FDP in der Bürgerschaft fordern die Schließung. Auf der Abschlusskundgebung erklärte sich Andreas Blechschmidt von der Roten Flora solidarisch mit anderen linken Projekten.

    Unterdessen bestätigte am Donnerstag ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums Medienberichte, denen zufolge der Bund und die Stadt Hamburg für die Opfer der Krawalle bis zu 40 Millionen Euro bereitstellen.

  • · Berichte

    Gewollte Eskalation

    Nach Randale in Hamburgs Schanzenviertel
    Sebastian Carlens
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    Die Randale im Schanzenviertel befeuerte die Hetze gegen Linke. Doch ihre Verursacher sind anderswo zu suchen

    Die Randale im Hamburger Schanzenviertel am Freitag des G-20-Wochenendes: eine politische Entäußerung von »Linksextremisten«, wie es die bürgerliche Presse behauptet? Daran darf gezweifelt werden. Nicht, weil es nicht genug verwirrte Linke gäbe, die glaubten, dass derartige Gewalt mehr ist als Ankurbelung des Versicherungsgewerbes, als systemstabilisierende Kapitalvernichtung. Sondern weil etliche der an den Zerstörungen Beteiligten ihr Tun entweder nicht als politisch oder nicht als links empfinden. Schließlich liegt ihnen nichts ferner, als den Kapitalismus abschaffen zu wollen.

    Den »Jungen Nationaldemokraten« zum Beispiel. Laut thueringen24.de (Donnerstag) hat die NPD-Jugendorganisation eingeräumt, sich an den G-20-Protesten »beteiligt« zu haben, ebenso wie ein »Antikapitalistisches Kollektiv«, das – trotz seines Namens – im neonazistischen Spektrum zu Hause ist: Soziale Demagogie gehört nun mal zum Faschismus. Die Hamburger Morgenpost berichtete am 10. Juli, dass die rechten »Hooligans gegen Salafisten« (Hogesa), die 2014 in Köln randaliert und dabei etliche Polizisten verletzt hatten, ebenfalls nach Hamburg mobilisiert haben. Der SWR meldete am Montag, dass 70 Neonazis auf Videomaterial aus Hamburg identifiziert worden seien.

    Haben also Rechte die Proteste gekapert? Auch das ist Quatsch. Die Gemengelage ist komplizierter und kaum politisch zu begreifen. Denn, im Gegensatz zu fast allen anderen Protestformen gegen den G-20-Gipfel, war das Geschehen »an der Schanze« der unpolitische Teil des Wochenendes.

    Ein Vergleich mit ähnlichen aus dem Ruder gelaufenen staatlichen Großeinsätzen drängt sich auf. Die berühmte »Maikrawalle« in Berlin-Kreuzberg 1987 zum Beispiel: Auch dort eroberte eine heterogene Menge stundenweise die Straße, ein Supermarkt brannte aus, die Polizei hatte Überblick und Kontrolle verloren. Oder, über 50 Jahre früher, der »Altonaer Blutsonntag« von 1932: Die Polizei nutzte damals einen Naziaufmarsch der SA in der traditionellen KPD-Hochburg Hamburgs, um 16 Anwohner zu erschießen und den Kommunisten die Morde anzuhängen. Dies ist mittlerweile widerlegt, doch die Provokation war aufgegangen, die (auch damals SPD-geführte) Hamburger Polizei hatte den Faschisten die Straße freigeprügelt.

    Wer Krawalle will, der bekommt sie auch. Der Staat weiß das und hat in Hamburg alles daran gesetzt, gesellschaftlich akzeptierten Protest in furchteinflößende Gewalt umschlagen zu lassen. Die endlosen Schikanen der Bevölkerung; eine von der Leine gelassene Knüppelgarde in Uniform; vermutlich – neben den Neonazis – etliche weitere »V-Leute« oder Beamte in Räuberzivil, anonymisiert im »schwarzen Block«: Das Fußvolk aus Gaffern, Enthemmten und Alkoholisierten findet sich dann wie von selbst.

    Manche werden zwar dafür bezahlt. Doch die meisten sind schlicht Idioten.

  • · Berichte

    Stunde der Scharfmacher

    Mit unbelegten Behauptungen begründen Hardliner aus Politik und Polizei Kampagnen gegen Linke. NRW will Kennzeichnungspflicht für Beamte abschaffen
    Markus Bernhardt
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    Auf Krawall gebürstet: rennende Polizeihundertschaft am 7. Juli während der G-20-Proteste in Hamburg

    Auch mehr als eine Woche nach dem G-20-Gipfel in Hamburg sorgen die dortigen Ereignisse für öffentliche Auseinandersetzungen und Diskussionen. Vor allem Politiker aus den etablierten Parteien überbieten sich in Forderungen, die sich nicht nur gegen »Linksextreme«, sondern letztlich gegen die politische Linke insgesamt richten. Es sei an der Zeit, »linke Propagandahöhlen wie die Rote Flora in Hamburg endgültig auszuheben«, sagte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) der Bild am Sonntag. Ähnlich äußerte sich FDP-Vize Wolfgang Kubicki. »Wir können solche Räume nicht zulassen, in die die Polizei zum Teil gar nicht mehr hineingeht – oder nicht hineingehen kann«, sagte er der Welt am Sonntag.

    In der Minderheit sind Politiker, die bemüht sind, verbal abzurüsten. So hatte sich Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) Ende vergangener Woche dafür ausgesprochen, das Vermummungsverbot bei Demonstrationen zu entschärfen und künftig nur noch als Ordnungswidrigkeit und nicht mehr als Straftat zu verfolgen, um so zu einer Deeskalation beizutragen. Zugleich warnte Pistorius davor, »Links- und Rechtsextremismus« auf eine Stufe zu stellen. Damit werde Fremdenfeindlichkeit verharmlost, sagte er dem Tagesspiegel (Samstagsausgabe). Zudem würden »mehr als doppelt so viele Straftaten im rechtsextremen Bereich im Vergleich zu links« registriert.

    Unterdessen werden immer neue Übergriffe von Polizisten gegenüber Demonstranten bekannt. Auch jW erreichen täglich Stellungnahmen von Betroffenen und Augenzeugen. Gipfelgegnern aus Nordrhein-Westfalen sei es am 7. Juli gelungen, »in die blaue Verbotszone hineinzukommen, obwohl die Polizei uns mit Knüppeln stoppen wollte und nicht davor zurückschreckte, eine Aktivistin mit dem Auto umzufahren und zu verletzen«, berichtete etwa Mischa Aschmoneit, Sprecher der »Interventionistischen Linken Düsseldorf – see red!«, am Montag im Gespräch mit dieser Zeitung. »Wir hatten die Protokollroute des US-Präsidenten Donald Trump durch zwei Blockaden etwa eine Stunde lang besetzt, davon 30 Minuten unter anhaltendem Wasserwerferbeschuss«, so Aschmoneit. Die größere habe standgehalten, so dass die Polizei die friedlichen Demonstranten »unter häufiger Anwendung von Schmerzgriffen ins Gesicht« geräumt habe.

    In einem vor wenigen Tagen veröffentlichtem offenen Brief protestierte auch der SPD-nahe Kinder- und Jugendverband »SJD - Die Falken« aus Nordrhein-Westfalen gegen eine vierstündige »Ingewahrsamnahme ihres Busses mit Minderjährigen und jungen Erwachsenen auf dem Weg zur Anti-G-20-Demonstration«. Das Fahrzeug sei am 8. Juli noch vor Erreichen der Hansestadt von mehreren Polizeiwagen zur Gefangenensammelstelle (GeSa) in Hamburg-Harburg eskortiert worden. Dort sei jeder Insasse einzeln herausgebeten und durchsucht worden, heißt es in dem Schreiben. Einige Betroffene seien geschlagen oder »mit ihren Händen auf dem Rücken abgeführt« worden. »Der Hinweis, dass wir Minderjährige im Bus haben, ein Jugendverband sind und zu einer angemeldeten Demonstration wollten«, habe für die Beamten keine Rolle gespielt, monierte Paul M. Erzkamp, Landesvorsitzender der Falken in dem im Internet veröffentlichten Brief. Auch die DGB-Jugend Hessen-Thüringen hatte jüngst in einer Erklärung Polizeiübergriffe kritisiert.

    Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bestreitet dagegen, dass es rund um den Gipfel überhaupt zu Polizeigewalt oder rechtswidrigen Einsätzen der Beamten gekommen sei (siehe jW vom Wochenende). »Ganz offensichtlich sagt Herr Scholz die Unwahrheit, um von seinem eigenen politischen Versagen und seiner politischen Verantwortung abzulenken«, sagte Henning von Stoltzenberg, Mitglied des Bundesvorstandes der linken Rechtshilfeorganisation Rote Hilfe am Montag gegenüber jW. Stoltzenberg forderte alle verletzten und/oder von Repression betroffenen G20-Gegner auf, sich an die Rote Hilfe zu wenden. Sie biete Unterstützung. Linke Organisationen mobilisieren für den 29. Juli außerdem zu einer »Antirepressionsdemonstration« nach Düsseldorf. Derweil kündigte der neue nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) vergangenen Donnerstag im Düsseldorfer Landtag an, die erst wenige Monate bestehende Kennzeichnungspflicht für Polizisten wieder abschaffen zu wollen.

    Zur Zahl während des G-20-Gipfels verletzter Demonstranten gibt es weiter keine offiziellen Angaben. In den umliegenden Hamburger Krankenhäusern seien laut Polizei und Feuerwehr 189 Patienten mit »demonstrationstypischen Verletzungen« behandelt worden, berichtete tagesschau.de am Wochenende. Sie waren demnach mit Knochenbrüchen an Armen und Rippen, Kopfplatzwunden, Schnittwunden oder Prellungen in die Notaufnahme gekommen. Rund 90 Prozent von ihnen seien ambulant behandelt worden. Wie viele Betroffene entferntere Kliniken aufsuchten oder sich an Sanitäter wandten, wird vermutlich nicht mehr zu ermitteln sein.

  • · Berichte

    G-20-Einsatz: Eskalation war Programm

    Rahmenbefehl schrieb »harte Linie« der Polizei vor. Auch intern Kritik daran
    Kristian Stemmler
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    Heldenhafter Einsatz? Hartmut Dudde (Mitte), Hamburger Einsatzleiter der Polizeikräfte beim G-20-Gipfel, vor Beginn des Dankeschön-Konzerts für 2.000 Staatsschützer in der Elbphilharmonie

    Für Olaf Scholz wird es eng. Der Spiegel moniert in seiner neuen Ausgabe, der Hamburger Bürgermeister und die Polizei hätten zum G-20-Gipfel falsche Prioritäten gesetzt. Grundlage der Kritik ist ein 40 Seiten starker Rahmenbefehl der Hamburger Polizei vom 9. Juni, aus dem das Magazin zitiert. Darin heißt es demnach: »Der Schutz und die Sicherheit der Gäste haben höchste Priorität.« Scholz hatte nach dem Gipfel behauptet, der Schutz der Staatsgäste und der Bevölkerung seien gleichrangig gewesen.

    Weiter geht aus dem Spiegel-Beitrag hervor, dass Hartmut Dudde, Chefkoordinator des Polizeieinsatzes während des Treffens zahlreicher Staats- und Regierungschefs, mit dem Befehl eine harte Linie vorgegeben hat. Störungen seien »im Ansatz zu verhindern«, bei Demoeinsätzen gelte eine »niedrige Einschreitschwelle«, wird aus dem Papier zitiert. Kritik an Duddes Linie kommt inzwischen auch aus dem Polizeiapparat selbst, so zum Beispiel von Hans Alberts, Professor an der Polizeihochschule Münster. In einem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung monierte er kürzlich, jahrelang habe er mit Dudde und anderen ehemaligen Schülern Versammlungsszenarien durchgespielt »und immer wieder festgestellt, dass eine harte Linie nur zur Eskalation führt und es dann eine seltsame Achse zwischen den Hardlinern der Polizei und den gewaltbereiten Chaoten gibt«. Neben dem »unseligen Umgang mit dem Versammlungsrecht«, so der Jurist mit Blick auf den Gipfeleinsatz, »wäre es eine eigene Untersuchung wert, ob die Amtsperiode von Ronald Schill in der Polizei personelle Spuren hinterlassen hat«. Der Rechtspopulist war von 2001 bis 2003 Hamburgs Innensenator.

    In seinem Internetblog kritisierte ein anderer Polizist, der in einem Kommunikationsteam in Hamburg eingesetzt war, die Einschränkung von Grundrechten während des Gipfels als »unfassbar und beschämend«.

  • · Berichte

    Nach »G 20«: immer noch Gefangene

    Lina Leistenschneider

    Während am Sonnabend in Hamburg Tausende am »Schlagermove« teilnehmen und betrunken durch die Straßen rund um das wieder geöffnete Heiligengeistfeld und durch St. Pauli taumeln, Hunderte am Bernstofftraßenfest teilnehmen und die Wut auf die G-20-Gipfeltage trotz immer noch kreisender Helicopter langsam dem Alltag weicht, hält eine Gruppe von ca 100 Personen eine Solidaritätskundgebung mit den Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt Billwerder ab.

    Unter dem Motto »Es fehlen die G-20-Gefangenen« war unter anderem über Facebook mobilisiert worden. Zu der Versammlung aufgerufen hatte das Bündnis »G20entern – Kapitalismus versenken«. Es wird deutsche, spanische und kurdische Musik gespielt. Durchs Mikrofon einer mobilen Anlage werden lautstark Solidaritätsgrüße auf Deutsch, Spanisch, Französisch, Schweizerdeutsch und Russisch durchgegeben. Denn unter den Gefangenen sind – neben zahlreichen Deutschen – auch Staatsbürger aus Frankreich, Italien, Spanien, Russland, den Niederlanden, der Schweiz und Österreich vertreten.

    Die Haftbedingungen sind laut einer Pressemitteilung des Ermittlungsausschusseses Hamburg vom 9.07.2017 katastrophal (jW berichtete).

    In den Justizvollzugsanstalten Billwerder und Hannöversand sowie in der Gefangenensammelstelle in Harburg saßen während der Gipfeltage 228 Menschen, die insgesamt in Gewahrsam genommen worden waren. Rund 186 davon waren vorläufig festgenommen worden. Dem Bereitschaftsdienst der Hamburger Staatsanwaltschaft wurden in den Tagen rund um den Gipfel davon nur wenig mehr als 90 Verfahren zur Prüfung strafprozessualer Maßnahmen vorgelegt. Gegen 85 Personen wurde nach Anhörung durch die Staatsanwaltschaft Haftbefehl erlassen. In 51 Fällen wurde vom Amtsgericht Untersuchungshaft angeordnet. Den Gefangenen wird schwerer Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung zur Last gelegt.

  • · Berichte

    Verletzte Grundrechte

    Der martialische Auftritt der Polizei in Hamburg soll zeigen: Wer nicht spurt, wird repressiert
    Dietmar Koschmieder
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    Granatwerfer, Maschinenpistolen, Sturmgewehre gegen die eigene Bevölkerung

    Erst wurden über 10.000 gewaltbereite Demonstranten für den Gipfel in Hamburg prophezeit, dann etablierte die Polizei die Zahl 8.000. Am Ende schritten hochgerüstete Polizeieinheiten gegen 1.000 Demonstranten (Angaben der Polizei) bei der »Welcome to Hell«-Demo am Donnerstag am Hamburger Hafen ein, weil die sich angeblich nicht demaskieren wollten. Augenzeugen berichteten allerdings, dass es lediglich einige hundert waren. Wer aber steckt hinter so einer Vermummung? Linksautonome Aktivisten? Staatsbeamte mit Spezialauftrag? Faschos und Hools? Oder Kriminelle? Klar dürfte jedenfalls sein: Wenn Tausende von militärisch auftretenden und hochgerüsteten Staatsbeamten mit ihren Granatwerfern, Schnellfeuerwaffen und Maschinenpistolen demonstrativ tagelang gegen alle, die ihnen auf der Straße begegnen, äußerst aggressiv vorgehen, geht es nicht um ein paar hundert Vermummte. Wenn unter solchen Umständen Häuser gestürmt, Menschen die Knochen gebrochen, Brände gelegt und Straßenzüge verwüstet werden, ist da keinesfalls etwas »aus dem Ruder gelaufen«, wie manche mutmaßen: Hier sollen nicht nur »Gewaltbereite«, hier sollen alle Demonstranten, Passanten, aber auch gar nicht anwesende Kritiker des Staates eingeschüchtert werden. Mit erstaunlicher Klarheit haben das in diesen Tagen mehrere Polizeisprecher und Politiker kundgetan. »Grundrechte einzuschränken ist nun mal Teil der Aufgabe und schützt die Demokratie vor zu großem Individualismus«, postete etwa die Hamburger Gewerkschaft der Polizei über Twitter am Mittwoch. Dagegen nennt die Gewerkschaft Verdi die Ereignisse ein einziges »Festival der verletzten Grundrechte«.

    Medien können in einer bürgerlichen Demokratie eine wichtige, den Herrschenden durchaus unangenehme Rolle spielen. Offensichtlich deshalb hat man wohl auch sie ins Visier genommen. Journalisten unterschiedlicher Medien wurden von Beamten geschlagen, drangsaliert, in der Ausübung ihres Berufes massiv behindert. Eigentlich war auch das nicht nötig, die meisten Medien funktionierten als verlängerter Arm der Staatsmacht: Erklärungen der Polizei wurden ohne Gegenrecherche übernommen und gebetsmühlenartig wiederholt, schon im Vorfeld der Ereignisse. Als die Polizei meldete, dass sie gegen 1.000 vermummte Personen vorgegangen sei, wurde diese Zahl beispielsweise vom TV-Sender N24 brav gemeldet und auch dann noch ständig wiederholt, als ihr Reporter vor Ort aussagte, dass es deutlich weniger Personen gewesen seien.

    Mit dem martialischen Auftritt sollte wohl ein Zeichen gesetzt werden: Egal ob Linksautonomer, Journalist oder friedlicher Demonstrant: Wer nicht spurt, wird repressiert. Dabei treten komische Helfershelfer auf, wie die junge Welt erleben musste. Schon im Vorfeld der Protestaktivitäten gegen den G-20-Gipfel wurde die junge Welt inhaltlich angegriffen, weil G20 nicht G7 sei und man wegen der Teilnahme der Regierungen etwa aus Russland oder China gegen den Gipfel nicht protestieren dürfe. Trotzdem hat die junge Welt eine klare Haltung eingenommen, was unter anderem auch dazu führte, dass zwei im Vorfeld überprüfte und akkreditierte jW-Journalisten dann doch vom Gipfel ausgesperrt wurden. Antideutsche veröffentlichten Fahndungsbilder von zwei Journalisten unseres Filmteams mit der Aufforderung, »diesen Antisemiten keine Interviews zu geben«. Einer der so Angegriffenen kommt aus Israel, einem weiteren israelischen Kollegen aus dem jW-Team wurde die Fotoausrüstung geraubt, nachdem man ihn zu Boden geworfen und auf ihn eingeschlagen hatte. Und am Montag, als die Hetze gegen Linke die höchsten Wogen schlug, erdreistete sich die Redaktion der »Tagesthemen«, zur Illustration der vom Verfassungsschutz vermeldeten Zunahme der Zahl linksradikaler Aktivisten das Logo der jungen Welt im aktuellen Verfassungsschutzbericht einzublenden. Warum wohl?

    Natürlich geht es nicht in erster Linie gegen die junge Welt. An ihrem Beispiel soll nur statuiert werden, was geschieht, falls man es wagen sollte, bestehende Verhältnisse zu sehr zu kritisieren oder gar in Frage zu stellen und über Alternativen nachzudenken. Die Herrschenden haben viel weniger vor einer Zeitung Angst als davor, dass immer mehr Menschen ihre Wut über Ungerechtigkeit und Profitwahnsinn in Formen organisierten Widerstandes verwandeln. Dieses Szenario steht den Behörden offensichtlich vor Augen, wenn sie Polizei in paramilitärischer Formation und Hochrüstung auf Demonstranten und Presse, eigentlich auf die Bevölkerung insgesamt loslassen. An der Notwendigkeit anderer gesellschaftlicher Verhältnisse ohne Profitlogik und Ausbeutung ändert das allerdings nichts.

  • · Berichte

    Scholz lügt!

    Nach G-20-Gipfel: Politiker attestieren Polizei tadellosen Einsatz und hetzen gegen linke Zentren. Derweil häufen sich Berichte von brutalen Übergriffen Beamter
    Jana Frielinghaus
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    Polizeigewalt war das nach offizieller Lesart nicht: Pfeffersprayeinsatz gegen sitzende Teilnehmer der Demo »Block G 20 - Colour the Red Zone« am 7. Juli in Hamburg

    Am Freitag hat Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) das Vorgehen der Polizei während des G-20-Gipfels offiziell für in allen Phasen gewaltfrei erklärt. Hunderte Fernseh- und Videoaufnahmen zeigen zwar ein anderes Bild, und inzwischen ist es offiziell, dass mindestens gegen 27 Beamte wegen »Körperverletzung im Amt« ermittelt wird. Tut nichts. Dem Rundfunksender NDR 90,3 teilte Scholz mit: »Polizeigewalt hat es nicht gegeben, das ist eine Denunziation, die ich entschieden zurückweise.«

    Etwas anderes war am Freitag im Boulevardblatt Hamburger Morgenpost zu lesen. Dort wurde ein Vorfall geschildert, der sich bereits am Freitag morgen im Stadtteil Bahrenfeld ereignet hatte. Dabei waren nach Angaben Betroffener 14 Gipfelgegner verletzt worden, elf von ihnen schwer. Nach Angaben eines Studenten gegenüber der Mopo kam es zu einer Situation, in der sich die Gruppe von insgesamt 200 jungen Leuten plötzlich von vorn und hinten Polizeieinheiten gegenüber sah. Deshalb seien etliche von ihnen in Panik zur Seite gesprungen und auf eine Absperrung geklettert. Hinter dieser befindet sich jedoch ein mehr als zwei Meter tiefer gelegener Gewerbehof. Der Student David S. berichtete der Mopo, Berliner Polizisten hätten »getreten und gedrückt«, bis die Absperrung einstürzte, etliche Menschen seien daraufhin in die Tiefe gestürzt. Obwohl unten bereits Menschen mit offenen Knochenbrüchen gelegen hätten, seien weitere hinuntergestoßen worden. Polizisten hätten währenddessen geschrien: »Antifa-Schweine. Das ist euer Frühstück!« Zudem sei bei der Festnahme weiterer Personen auf am Boden Liegende eingetreten worden, wobei diese weitere Verletzungen erlitten hätten. Ein jW vorliegender Bericht einer weiteren jungen Frau aus der Gruppe bestätigt diese Darstellung. Laut Polizei ist bislang nicht geklärt, wie die Verletzungen der 14 Personen entstanden sind. Dies ist nur einer von zahllosen Fällen, die mittlerweile publik geworden sind (siehe auch jW vom 13.7.).

    Zur gleichen Zeit rufen Politik und Polizei weiter nach Kriminalisierung linker Zentren in der gesamten Republik. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte solche Zentren am Dienstag als »logistische Schlupflöcher« von Gewalttätern denunziert (siehe jW vom 12.7.). Am Freitag legte Leipzigs Polizeichef Bernd Merbitz nach. Insbesondere im Stadtteil Connewitz seien »rechtsfreie Räume entstanden«, sagte er der Leipziger Volkszeitung. Leipzig erlebe seit Jahren einen »Zuzug von Linksextremisten«. Ohne auch nur Indizien dafür zu nennen, äußerte Merbitz die Überzeugung, »dass auch Sachsen und vor allem Leipziger in Hamburg an den gewalttätigen Krawallen beteiligt waren«.

    Bereits am Donnerstag hatte Jenovan Krishnan, Bundesvorsitzender des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), gefordert, künftig müssten alle Erstsemester eine »Demokratieerklärung« als »Voraussetzung für ein Hochschulstudium in Deutschland« abgeben. Ein »Großteil der Studenten, Dozenten und auch Hochschulleitungen« sympathisiert nach Krishnans Ansicht mit »linksextremen Organisationen«.

    Die Hamburger Staatsanwaltschaft prüft unterdessen mehrere Anzeigen gegen Rote-Flora-Anwalt Andreas Beuth. Politiker von CDU, CSU und SPD fordern die Schließung des linksautonomen Zentrums in der Hansestadt. Beuth hatte dem NDR nach Brandschatzungen und Plünderungen im Schanzenviertel gesagt, er habe »gewisse Sympathien für solche Aktionen«, aber nur, wenn sie in reichen Stadtteilen stattfänden. Oberstaatsanwältin Nana Frombach sagte der Deutschen Presseagentur am Freitag, in den Anzeigen werde der Vorwurf der Billigung von Straftaten erhoben. Dies werde geprüft, Ermittlungen gebe es noch nicht.

    Das Onlinenachrichtenportal BuzzFeed News berichtete unterdessen am Freitag, von den offiziell 476 im Zusammenhang mit dem G-20-Gipfel verletzten Polizisten hätten mehr als die Hälfte bereits vor der heißen Protestphase ab dem 6. Juli ihre Verletzungen gemeldet. Zudem seien viele Beschwerden nicht auf Zusammenstöße mit Demonstranten zurückzuführen gewesen. So seien zum Beispiel Kreislaufprobleme und Beeinträchtigungen bei Pfeffersprayeinsätzen gegen Demonstranten ebenfalls zu den Verletzungen gezählt worden. Das gehe aus Anfragen von BuzzFeed News an alle 16 Landespolizeibehörden und die Bundespolizei hervor. In der »heißen Einsatzphase« wurden demnach 231 Beamte verletzt, davon lediglich 21 so schwer, dass sie auch am Folgetag oder länger nicht arbeiten konnten. Offiziell gelten zwei Mitarbeiter der Bundespolizei als schwerverletzt .

    Zur genauen Begründung des Akkreditierungsentzugs für Journalisten nach Gipfelbeginn halten sich Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesregierung weiter bedeckt. Das Bundesinnenministerium teilte aber am Freitag mit, unter den ausgesperrten Korrespondenten und Fotografen seien »verurteilte linksextreme Straftäter« und ein mutmaßlicher »Reichsbürger« gewesen. Die Süddeutsche Zeitung hatte am Donnerstag unter Berufung auf »Sicherheitskreise« berichtet, dass Journalisten, gegen die es Sicherheitsbedenken gebe, mindestens seit dem G-8-Gipfel in Heiligendamm vor zehn Jahren von deutschen Polizisten »beaufsichtigt« würden. Das Innenministerium versicherte daraufhin, es gebe keine »heimliche« Überwachung von Pressevertretern.

  • · Berichte

    Schanzenviertel: Gewerbetreibende gegen Stimmungsmache

    Polizei sichert am 8. Juli das eroberte Schanzenviertel

    In einer aktuellen Stellungnahme erklären Geschäfts- und Gewerbetreibende aus dem Hamburger Schanzenviertel, das am vergangenen Wochenende Schauplatz gewaltsamer Auseinandersetzungen war, dass nicht bestätigt werden könne, dass ein »Schwarzer Block« in dieser Nacht gewütet habe. Wir dokumentieren nachstehend den vollständigen Wortlaut dieser Erklärung:

    Wir, einige Geschäfts- und Gewerbetreibende des Hamburger Schanzenviertels, sehen uns genötigt, in Anbetracht der Berichterstattung und des öffentlichen Diskurses, unsere Sicht der Ereignisse zu den Ausschreitungen im Zuge des G20-Gipfels zu schildern.

    In der Nacht vom 7. auf den 8. Juli 2017 tobte eine Menge für Stunden auf der Straße, plünderte einige Läden, bei vielen anderen gingen die Scheiben zu Bruch, es wurden brennende Barrikaden errichtet und mit der Polizei gerungen.

    Uns fällt es in Anbetracht der Wahllosigkeit der Zerstörung schwer, darin die Artikulation einer politischen Überzeugung zu erkennen, noch viel weniger die Idee einer neuen, besseren Welt.
    Wir beobachteten das Geschehen leicht verängstigt und skeptisch vor Ort und aus unseren Fenstern in den Straßen unseres Viertels.
    Aber die Komplexität der Dynamik, die sich in dieser Nacht hier Bahn gebrochen hat, sehen wir weder in den Medien noch bei der Polizei oder im öffentlichen Diskurs angemessen reflektiert.
    Ja, wir haben direkt gesehen, wie Scheiben zerbarsten, Parkautomaten herausgerissen, Bankautomaten zerschlagen, Straßenschilder abgebrochen und das Pflaster aufgerissen wurde.
    Wir haben aber auch gesehen, wie viele Tage in Folge völlig unverhältnismäßig bei jeder Kleinigkeit der Wasserwerfer zum Einsatz kam. Wie Menschen von uniformierten und behelmten Beamten ohne Grund geschubst oder auch vom Fahrrad geschlagen wurden.
    Tagelang.
    Dies darf bei der Berücksichtigung der Ereignisse nicht unter den Teppich gekehrt werden.

    Zum Höhepunkt dieser Auseinandersetzung soll in der Nacht von Freitag und Samstag nun ein „Schwarzer Block“ in unserem Stadtteil gewütet haben.
    Dies können wir aus eigener Beobachtung nicht bestätigen, die außerhalb der direkten Konfrontation mit der Polizei nun von der Presse beklagten Schäden sind nur zu einem kleinen Teil auf diese Menschen zurückzuführen.
    Der weit größere Teil waren erlebnishungrige Jugendliche sowie Voyeure und Partyvolk, denen wir eher auf dem Schlagermove, beim Fußballspiel oder Bushido-Konzert über den Weg laufen würden als auf einer linksradikalen Demo.
    Es waren Betrunkene junge Männer, die wir auf dem Baugerüst sahen, die mit Flaschen warfen – hierbei von einem geplanten „Hinterhalt“ und Bedrohung für Leib und Leben der Beamten zu sprechen, ist für uns nicht nachvollziehbar.
    Überwiegend diese Leute waren es auch, die – nachdem die Scheiben eingeschlagen waren – in die Geschäfte einstiegen und beladen mit Diebesgut das Weite suchten.
    Die besoffen in einem Akt sportlicher Selbstüberschätzung mit nacktem Oberkörper aus 50 Metern Entfernung Flaschen auf Wasserwerfer warfen, die zwischen anderen Menschen herniedergingen, während Herumstehende mit Bier in der Hand sie anfeuerten und Handyvideos machten.
    Es war eher die Mischung aus Wut auf die Polizei, Enthemmung durch Alkohol, der Frust über die eigene Existenz und die Gier nach Spektakel – durch alle anwesenden Personengruppen hindurch –, die sich hier Bahn brach.
    Das war kein linker Protest gegen den G20-Gipfel. Hier von linken AktivistInnen zu sprechen wäre verkürzt und falsch.

    Wir haben neben all der Gewalt und Zerstörung gestern viele Situationen gesehen, in denen offenbar gut organisierte, schwarz gekleidete Vermummte teilweise gemeinsam mit Anwohnern eingeschritten sind, um andere davon abzuhalten, kleine, inhabergeführte Läden anzugehen. Die anderen Vermummten die Eisenstangen aus der Hand nahmen, die Nachbarn halfen, ihre Fahrräder in Sicherheit zu bringen und sinnlosen Flaschenbewurf entschieden unterbanden. Die auch ein Feuer löschten, als im verwüsteten und geplünderten „Flying Tiger Copenhagen“ Jugendliche versuchten, mit Leuchtspurmunition einen Brand zu legen, obwohl das Haus bewohnt ist.
    Es liegt nicht an uns zu bestimmen, was hier falsch gelaufen ist, welche Aktion zu welcher Reaktion geführt hat.
    Was wir aber sagen können: Wir leben und arbeiten hier, bekommen seit vielen Wochen mit, wie das „Schaufenster moderner Polizeiarbeit“ ein Klima der Ohnmacht, Angst und daraus resultierender Wut erzeugt.
    Dass diese nachvollziehbare Wut sich am Wochenende nun wahllos, blind und stumpf auf diese Art und Weise artikulierte, bedauern wir sehr. Es lässt uns auch heute noch vollkommen erschüttert zurück.
    Dennoch sehen wir den Ursprung dieser Wut in der verfehlten Politik des Rot-Grünen Senats, der sich nach Außen im Blitzlichtgewitter der internationalen Presse sonnen möchte, nach Innen aber vollkommen weggetaucht ist und einer hochmilitarisierten Polizei das komplette Management dieses Großereignisses auf allen Ebenen überlassen hat.
    Dieser Senat hat der Polizei eine „Carte Blanche“ ausgestellt – aber dass die im Rahmen eines solchen Gipfels mitten in einer Millionenstadt entstehenden Probleme, Fragen und sozialen Implikationen nicht nur mit polizeitaktischen und repressiven Mitteln beantwortet werden können, scheint im besoffenen Taumel der quasi monarchischen Inszenierung von Macht und Glamour vollkommen unter den Tisch gefallen zu sein.
    Dass einem dies um die Ohren fliegen muss, wäre mit einem Mindestmaß an politischem Weitblick absehbar gewesen.
    Wenn Olaf Scholz jetzt von einer inakzeptablen „Verrohung“, der wir „uns alle entgegenstellen müssen“, spricht, können wir dem nur beizupflichten.
    Dass die Verrohung aber auch die Konsequenz einer Gesellschaft ist, in der jeglicher abweichende politische Ausdruck pauschal kriminalisiert und mit Sondergesetzen und militarisierten Einheiten polizeilich bekämpft wird, darf dabei nicht unberücksichtigt bleiben.

    Aber bei all der Erschütterung über die Ereignisse vom Wochenende muss auch gesagt werden:
    Es sind zwar apokalyptische, dunkle, rußgeschwärzte Bilder aus unserem Viertel, die um die Welt gingen.
    Von der Realität eines Bürgerkriegs waren wir aber weit entfernt.
    Anstatt weiter an der Hysterieschraube zu drehen sollte jetzt Besonnenheit und Reflexion Einzug in die Diskussion halten.
    Die Straße steht immer noch, ab Montag öffneten die meisten Geschäfte ganz regulär, der Schaden an Personen hält sich in Grenzen.
    Wir hatten als Anwohner mehr Angst vor den mit Maschinengewehren auf unsere Nachbarn zielenden bewaffneten Spezialeinheiten als vor den alkoholisierten Halbstarken, die sich gestern hier ausgetobt haben.
    Die sind dumm, lästig und schlagen hier Scheiben ein, erschießen dich aber im Zweifelsfall nicht.

    Der für die Meisten von uns Gewerbetreibende weit größere Schaden entsteht durch die Landflucht unserer Kunden, die keine Lust auf die vielen Eingriffe und Einschränkungen durch den Gipfel hatten – durch die Lieferanten, die uns seit vergangenem Dienstag nicht mehr beliefern konnten, durch das Ausbleiben unserer Gäste.
    An den damit einhergehenden Umsatzeinbußen werden wir noch sehr lange zu knapsen haben.

    Wir leben seit vielen Jahren in friedlicher, oft auch freundschaftlich-solidarischer Nachbarschaft mit allen Formen des Protestes, die hier im Viertel beheimatet sind, wozu für uns selbstverständlich und nicht-verhandelbar auch die Rote Flora gehört.
    Daran wird auch dieses Wochenende rein gar nichts ändern.

    In dem Wissen, dass dieses überflüssige Spektakel nun vorbei ist, hoffen wir, dass die Polizei ein maßvolles Verhältnis zur Demokratie und den in ihr lebenden Menschen findet, dass wir alle nach Wochen und Monaten der Hysterie und der Einschränkungen zur Ruhe kommen und unseren Alltag mit all den großen und kleinen Widersprüchen wieder gemeinsam angehen können.

    Einige Geschäftstreibende aus dem Schanzenviertel

    BISTRO CARMAGNOLE
    CANTINA POPULAR
    DIE DRUCKEREI - SPIELZEUGLADEN SCHANZENVIERTEL
    ZARDOZ SCHALLPLATTEN
    EIS SCHMIDT
    JIM BURRITO'S
    TIP TOP KIOSK
    JEWELBERRY
    SPIELPLATZ BASCHU e.V.

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    Ohnmacht und Wut

    Debatte über Gewalt beim G-20-Gipfel. Gastkommentar
    Ulla Jelpke
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    Schwarzer Block aus Tausenden vermummten, behelmten und knüppeltragenden Einsatzkräften: Hamburg am Samstag abend

    Erwartungsgemäß endete der Hamburger G-20-Gipfel ergebnislos. Weder wurden Fortschritte für den Klimaschutz erzielt noch bei der Beendigung des Syrien-Krieges oder im Umgang mit Flüchtlingen. Dass 76.000 Demonstranten friedlich für »grenzenlose Solidarität« auf die Straße gingen, fand nur kurz Erwähnung in den Medien. Statt dessen dreht sich die Debatte fast ausschließlich um linke Gewalt, verbrannte Autos und geplünderte Supermärkte.

    Keine Frage: Im Schanzenviertel gab es viel sinnlose Gewalt, die nichts mit politischen Protesten zu tun hatte, sondern von betrunkenen Jungmachos und »erlebnisorientiertem« Partyvolk als Selbstzweck inszeniert wurde. Der Sprecher des autonomen Zentrums Rote Flora hatte dazu das Nötige gesagt. Die Polizei schaute dem Treiben übrigens über Stunden hinweg weitgehend tatenlos zu, offenbar froh darüber, dass sich die Auseinandersetzungen auf das linke Stadtviertel konzentrierten, während die G-20-Regierungschefs störungsfrei in ihre Hotels gebracht werden konnten. Der Schutz der Gipfelteilnehmer habe Priorität vor dem Schutz der Bürger gehabt, bestätigte der Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Jan Reinecke, bei »Anne Will«.

    Es war kein Gewaltausbruch aus dem Nichts. Schon die Durchführung eines G-20-Gipfels in einer Stadt wie Hamburg wurde weit über die radikale Linke hinaus als arrogante Machtdemonstration verstanden. Doch mit großflächigen Sperrgebieten, der Verhinderung von Protestcamps und dem Sich-Hinwegsetzen über Gerichtsurteile signalisierte die Polizeiführung um Hardliner Hartmut Dudde, dass Protest generell unerwünscht war. Die genehmigte und bis dahin friedliche Auftaktdemonstration am Donnerstag abend wurde durch ein martialisches Aufgebot, mit Wasserwerfern und Räumpanzern, aufgelöst. Teilnehmer, aber auch Unbeteiligte wurden, wie ich selbst gesehen habe, zum Ziel schwerer Polizeiübergriffe. Dass die Gewalt zuerst von der Polizei ausging, erkannten selbst Vertreter bürgerlicher Medien, die ebenfalls Behinderungen und Übergriffen durch die Polizei ausgesetzt waren. Am Freitag wurden ebenfalls selbst kleine Ansammlungen von Protestierern oder feiernden Menschen von der Straße gejagt. Ein schwarzer Block aus Tausenden vermummten, behelmten und knüppeltragenden Einsatzkräften erstickte nahezu jeglichen demokratischen Protest. Bei vielen G-20-Gegnern erzeugte dies ein Ohnmachtsgefühl, bei einigen auch Wut, die sich dann entlud.

    Natürlich ist die Polizei nicht für die Handlungen von Gewalttätern verantwortlich. Aber deren Führung und die hinter ihr stehenden Politiker haben die Rahmenbedingungen dafür geschaffen, dass es überhaupt so weit kommen konnte. Wie schrieb doch der Dichter Bert Brecht: »Der reißende Strom wird gewalttätig genannt. Aber das Flussbett, das ihn einengt, nennt keiner gewalttätig.« Dem ist nichts hinzuzufügen.

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    »GAU für den Rechtsstaat«

    Wissenschaftler und Juristen sehen nach Skandalen beim G-20-Gipfel drohende Verfassungskrise
    Anselm Lenz
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    Bereits am Sonntag vor dem Gipfel begann der Rechtsbruch, Polizeihundertschaften marschieren auf und stürmen Zeltlager in Entenwerder

    Das Treffen der Staats- und Regierungschefs der »G 20« hat nach Einschätzung von Juristen die Bundesrepublik in eine Verfassungskrise gebracht. Während Regierungsvertreter nach den Unruhen in Hamburg härteste Verfolgungen Verdächtiger verkündeten, sehen unabhängige Juristen den Rechtsstaat in grundsätzlicher Gefahr oder als teilweise nicht mehr gegeben an.

    Peer Stolle, Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins, sieht die Bundesrepublik nach dem G-20-Gipfel in der Verfassungskrise, zentrale Grund- und Freiheitsrechte seien massiv verletzt worden. »Wenn Olaf Scholz (SPD, Regierungschef in Hamburg) sich jetzt hinstellt und sagt, die Polizei habe alles richtig gemacht, ist das schon eine Missachtung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien«, erklärte Stolle gegenüber jW. Das verfassungsmäßige Gewaltenteilungsprinzip sei bereits beim Angriff der Polizei auf das Zeltlager in Entenwerder am 2. Juli gebrochen worden. Stolle bearbeitet derzeit die willkürliche Inhaftierung von Demonstranten und Anwälten im eigens eingerichteten Gefangenenlager (»Gesa«) in Hamburg-Harburg.

    Auch Gabriele Heinecke, Rechtsanwältin vom Anwaltlichen Notdienst G 20, sieht das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ernsthaft in der Krise. Insbesondere die anlässlich des G-20-Gipfels erdrückende Polizeipräsenz stelle das Demonstrationsrecht als Freiheitsrecht grundsätzlich in Frage. Im Zusammenhang mit dem Zeltlager in Entenwerder habe die Polizei »vorsätzlich und rechtswidrig einen entgegenstehenden Beschluss des Verwaltungsgerichts unterlaufen«, erklärte sie dieser Zeitung. Sie »vermisse den Respekt der Verantwortlichen der Polizei vor den Grundrechtsgaran­tien«. Für die Ausrichtung des Gipfels hätte es zudem zuvor ein Plebiszit geben müssen.

    Der Richter am Bundesgerichtshof a. D. Wolfgang Neskovic verwies gegenüber jW insbesondere auf eine Einschätzung des Juristen und Lehrbeauftragten an der Universität Düsseldorf Udo Vetter, der er sich voll und ganz anschließe. Der Verfassungsbruch durch die Polizei und die politisch Verantwortlichen habe bereits mit der Instrumentalisierung des sogenannten Vermummungsverbotes für massive Angriffe auf den Demonstrationszug und Passanten am vergangenen Donnerstag begonnen, wie Vetter der Tageszeitung Taz darlegte. Die Demonstration unter dem Motto »Welcome to Hell« war auf der St.-Pauli-Hafenstraße angehalten und angegriffen worden.

    Die Vermummung durch Mundtuch, Sonnenbrille und Mütze sei ein »Bagatelldelikt«, und komme etwa auch in Fußballstadien vor, die deshalb trotzdem nicht polizeilich gestürmt würden. Auch stelle sich die Frage, wie viele Menschen überhaupt ein Gesichtstuch getragen hätten. Es habe zudem angesichts der massiven Ausweitung der Erfassung durch Kameras und Dateisysteme auch Gründe dafür gegeben, sich unkenntlich zu machen. Die bislang noch nicht bewiesene Anwesenheit verdeckter Ermittler der Polizei im »schwarzen Block« – die laut Vetter eine aktive Rolle bei den Ausschreitungen gespielt haben könnten – »wäre ein absoluter GAU für unseren Rechtsstaat«. Diese Form der Infiltrierung habe in Hamburg bereits eine »schmerzliche Geschichte«. Neskovic erklärte, dass er sich all diesen Einschätzungen vollständig anschließe.

    Der Linke-Politiker Gregor Gysi hatte sich bereits 2015 dementsprechend geäußert: »Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, aber ich habe immer den Eindruck, dass bestimmte V-Leute geradezu zur Gewalt animieren, um das politische Anliegen totzumachen«, hatte er damals der Deutschen Presseagentur gesagt. »Denn dann diskutieren wir hinterher bloß noch über die Gewalt – und nicht mehr über das eigentliche Anliegen.« Zuletzt war die Hamburger LKA-Beamtin Iris Plate enttarnt worden, die unter dem Namen Iris Schneider sechs Jahre lang einen unabhängigen Radiosender und das Kulturzentrum Rote Flora aktiv unterwandert hatte.

    Auch beim G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm soll es verkleidete Polizisten im sogenannten schwarzen Block gegeben haben, die als taktische Provokateure aufgetreten sind, um einen Anlass zur Räumung zu fingieren.

  • · Berichte

    Knäckebrot, Wasser und drei Quadratmeter

    Kristian Stemmler
    Unsere Solidarität gegen ihre Repression: Demonstration zur Gefangenensammelstelle am Sonntag in Hamburg
    Für eine Welt ohne Knäste und Kapitalismus: Demonstration zur Gefangenensammelstelle am Sonntag in Hamburg
    Die Demonstration gegen die Repression zog auch am Büro der SPD Hamburg-Harburg vorbei

    Hinter dem Harburger Bahnhof ist es an diesem sonnigen Sonntag, einen Tag nach dem Gipfel, ruhig, fast idyllisch. Möwen kreischen, in der Ferne ist ein Hubschrauber zu hören, ab und zu Martinshörner. Die Ruhe nach dem Sturm? Tatsächlich zeigt das G-20-Treffen auch nach seinem Ende hier noch sein hässliches Gesicht. An dem abgelegenen Ort hat die Polizei in einem früheren Lager und in Containern einen provisorischen Gipfelknast mit 400 Haftplätzen errichtet, die sogenannte Gefangenensammelstelle (Gesa).

    Der Anwaltliche Notdienst (AND) erklärte gegenüber jW am Sonntag nachmittag, dass in der Gesa zu diesem Zeitpunkt noch schätzungsweise 100 Aktivisten festgehalten werden. Weitere rund 190 Gipfelgegner seien in Justizvollzugsanstalten in Hamburg-Billwerder, auf der Elbinsel Hahnöfersand und in anderen Bundesländern verlegt worden.

    Ihre Solidarität mit den Gefangenen bewiesen am Sonntag nachmittag mehrere hundert Gipfelgegner, die von der Harburger Innenstadt zur Gesa zogen. In einem kleinen Camp, dem »Prison Support« auf einem Parkplatz neben der Gesa, werden entlassene Häftlinge von Aktivisten empfangen, mit Essen und Trinken versorgt.

    Eine Anwältin und ein Anwalt, die jW vor den Toren des Knasts traf, schilderten die Haftbedingungen. Ihre Mandantin sei seit Stunden in einer etwa drei Quadratmeter großen, fensterlosen Einzelzelle mit weißen Wänden eingepfercht. »Sie sagte mir, sie fühle sich sehr beengt und dass man da jedes Zeitgefühl verliert«, so die Anwältin. Als Verpflegung gebe es nur Knäckebrot und Wasser. Der Anwalt sagte jW, Aktivisten hätten im Schnitt 14 bis 18 Stunden, zum Teil bis zu 30 Stunden in der Gesa verbringen müssen. Die Zusage der Polizei vor dem Gipfel, keiner werde mehr als zehn Stunden in dem Knast sitzen, sei nicht eingehalten worden.

    Die Gesa erinnert an einen Hochsicherheitstrakt in der Wildnis. Massive Stahlzäune umgeben das Areal, überall mit NATO-Draht verstärkt. Hier und in der benachbarten Außenstelle Neuland des Amtsgerichts Hamburg-Mitte, einer Art Schnellgericht, ist es laut Berichten zu Übergriffen auf Gefangene und einen Anwalt gekommen.

    Der G-20-Ermittlungsausschuss berichtete, Anwälte seien fünf Stunden lang nicht zu ihren Mandanten vorgelassen worden. Die Polizei habe die Situation genutzt, um erkennungsdienstliche Behandlungen durchzuführen, ärztliche Untersuchungen zu verschleppen und die Betroffenen in Unwissenheit über die Vorwürfe und das weitere Verfahren zu lassen. In der Nacht zum Sonnabend kam es in der Gesa zu einem Übergriff von mehreren Polizisten auf einen Anwalt. Ihm sei »ins Gesicht gegriffen« worden, berichtete der Anwaltsnotdienst (AND), man habe ihm den Arm verdreht und ihn »aus der Gesa geschleift«. Das »Vergehen«: Der Anwalt hatte der polizeilichen Anordnung widersprochen, dass sein Mandant sich nackt ausziehen sollte.

    Von einer willkürlichen Festnahme berichtete die Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke auf einer Pressekonferenz im unabhängigen Pressezentrum am Sonnabend. Die Polizei habe 73 Gipfelgegner, die vom Camp im Volkspark zur Gesa ziehen wollten, in Gewahrsam genommen und in den Knast gebracht. Die Staatsanwaltschaft habe »flächendeckend« Haftbefehle beantragt – mit »den absurdesten Vorträgen«, so Heinecke. Den Festgenommenen sei »schwerer Landfriedensbruch« vorgeworfen worden, doch die Richter hätten keine Haftbefehle erlassen.

    Die Außenstelle Neuland bezeichnete Heinecke als »ein Sondergericht, das G-20-Gericht«. Dort herrsche »die Atmosphäre eines in der Wüste befindlichen Kriegsgerichts. Die Justiz trägt blaue Westen, die Verteidigung rosa Westen, die Polizei gelbe Westen.« Die Polizei zeige ein Freund-Feind-Denken, das den zivilen Umgang in den provisorischen Verhandlungssälen erschwere.

  • · Berichte

    Provozierte Eskalation

    Im Hamburger Schanzenviertel organisierte sich die Polizei Bilder, die sie sonst nicht bekommen hätte
    André Scheer, Georg Hoppe und Lina Leistenschneider, Hamburg
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    Mit Sturmgewehren bewaffnet im Schanzenviertel: Polizisten einer Sondereinheit am Freitag abend

    Es waren Bilder wie aus einem Bürgerkrieg: Schwerbewaffnete Angehörige paramilitärischer Sondereinheiten beteiligten sich mit Schnellfeuergewehren an der Erstürmung eines Stadtviertels. Tausende Menschen wurden von der Außenwelt abgeschnitten, weil Straßen gesperrt und Bahnverbindungen eingestellt waren. Räumpanzer und Wasserwerfer sowie Tausende für den Straßenkampf ausgerüstete Polizisten bezogen Stellung. Das Schanzenviertel in Hamburg wurde am Wochenende zum Schauplatz einer Machtdemonstration des Polizeistaates.

    Zwei Nächte in Folge stürmten die Einsatzkräfte Straßen und Häuser in dem für sein alternatives und multikulturelles Ambiente bekannten und beliebten Stadtteil. Auslöser dafür war nach Darstellung der Polizei vom Freitag, dass »Störer« – in den Medien wurde das gleichgesetzt mit »militanten Autonomen« – in dem Viertel randaliert und Drogeriemärkte geplündert hätten. Die Rede war davon, dass auf den Dächern Molotowcocktails und Gehwegplatten deponiert worden sein sollen, um sie auf Polizisten zu werfen – vorgeführt wurden diese von der Polizei jedoch bislang nicht. »Ich bin fassungslos, dass linksradikale Straftäter offenkundig keine Hemmung haben, sehenden Auges das Leben von Polizeibeamten zu gefährden«, wetterte trotzdem der CSU-Innenexperte Stephan Mayer. Bild schlagzeilte am Sonnabend: »Keiner stoppt den linken Hass!«

    Es war nicht auszuschließen, dass nach den tagelangen Übergriffen der Polizei auf die friedlichen Protestdemonstrationen gegen den G-20-Gipfel einige Leute die Nerven verlieren, um in ihrer Wut zu nützlichen Idioten der Staatsmacht zu werden. Auf die teilweise offen rechtswidrigen Polizeieinsätze gegen die Camps und gegen spontane Kundgebungen hatten die Aktivisten durchgehend besonnen reagiert und damit das Konzept der Sicherheitskräfte durchkreuzt. Selbst die autonome Demonstration »Welcome to Hell« am Donnerstag lieferte den Boulevardmedien nicht die gewünschten Bilder – dafür aber Kommentare in Medien wie Deutschlandfunk und NDR, dass die Polizei die Gewalt provoziert habe. Die Scharfmacher brauchten jedoch die Eskalation.

    Ohnehin lassen Augenzeugenberichte das, was am Freitag und Sonnabend im Schanzenviertel und der Umgebung geschah, in einem anderen Licht erscheinen als die Auskünfte von Polizei und Senat.

    Am Neuen Pferdemarkt und im »Arrivati-Park« unweit des U-Bahnhofs Feldstraße hatten sich am Freitag abend etwa 1.000 Gegner des G-20-Gipfels versammelt. Obwohl von ihnen keine Gewalt ausging, wurden sie von der Polizei mit Wasserwerfern und Pfefferspray attackiert. Viele Demonstranten zogen sich daraufhin in das Schanzenviertel zurück, vereinzelt flogen Flaschen und Böller. Während die Scharmützel auf dem Platz weitergingen, ließ sich im Schanzenviertel über Stunden keine Polizei blicken. Sogar als auf der Straße Schulterblatt an drei Stellen Feuer entzündet wurden, reagierte weder die Feuerwehr noch die Polizei. Ebenfalls frei war der Weg zu den Messehallen, dem Austragungsort des G-20-Gipfels – trotzdem nutzte niemand diese »Chance«. Unter den mehreren tausend Menschen, die sich im Viertel auf den Straßen aufhielten, waren linke Aktivisten kaum zu sehen. Statt dessen allerdings Personen, die von Anwohnern als Fußballhooligans beschrieben wurden. In der Sternstraße wurde der Hitlergruß gezeigt, in der Bartelsstraße wurde ein Geschäft mit Antifa-T-Shirts im Schaufenster offenbar gezielt attackiert. Nach »Linken« klingt das nicht.

    Kurz vor Mitternacht stürmte die Polizei das Schanzenviertel. Wasserwerfer, Räumfahrzeuge und Polizeiketten drangen in das Viertel vor. Beteiligt waren auch Angehörige von Sondereinsatzkommandos mit Schnellfeuergewehren. Es flogen Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper. Ein Polizeihelikopter richtete seinen Scheinwerfer auf die Szenerie. Tränengas lag in der Luft.

    In der Roten Flora wurden in der Nacht Verletzte versorgt. Spiegel online zitierte den Sprecher des Veranstaltungszentrums, Andreas Blechschmidt, mit der Aussage, die »sinnbefreite Gewalt« sei Selbstzweck und falsch.

    Déjà-vu am Sonnabend

    Der Tag danach begann zunächst ruhig. Zehntausende Menschen beteiligten sich an der Großdemonstration gegen den G-20-Gipfel von den Deichtorhallen zum Millerntor. Trotz wiederholter Polizeiübergriffe blieb der Zug geschlossen und mündete in ein fröhliches Volksfest. Bis in den Abend hinein saßen viele Menschen auf der Straße in der Sonne, tranken Bier und aßen Döner.

    Zugleich wiederholte sich jedoch das Muster vom Vortag. Gegen 19 Uhr hatte eine Beweis- und Festnahmeeinheit der Polizei die Eingänge des Flora-Parks am Schulterblatt abgesperrt und durchkämmt. Es wurden mehrere Menschen kontrolliert, von einigen wurden die Personalien aufgenommen. Herumliegende Rucksäcke wurden durchsucht. Offenbar wurden zwei Menschen festgenommen. Zwei Stunden später hatte sich die Lage jedoch wieder beruhigt. Tausende Menschen, vor allem Touristen und Partygänger, bevölkerten das Schulterblatt und die Seitenstraßen des Schanzenviertels. Es herrschte eine merkwürdig angespannte, sich zugleich jedoch nach einem typischen Wochenendvergnügen anfühlende Atmosphäre. Zu sehen waren weder Polizei noch »Autonome«.

    Am Neuen Pferdemarkt ging die Polizei am späteren Abend dann wieder mit Wasserwerfern gegen dort vollkommen gewaltfrei versammelte Menschen vor. Selbst die Hamburger Morgenpost empörte sich über das Vorgehen der Polizei gegen friedlich auf der Straße sitzende Jugendliche. Viele wurden in die Straße Schulterblatt getrieben und saßen damit in der Falle. Denn auf der entgegensetzten Seite, an der Altonaer Straße, versperrten Polizeiketten, Wasserwerfer und ein Räumpanzer den Fluchtweg.

    Im Gespräch mit junge Welt zeigten sich Opfer des Polizeieinsatzes entsetzt. Ein englischsprachiger Tourist war fassungslos: »Die Menschen haben einfach nur auf der Straße gesessen und getrunken, da war nichts!« Ein anderer Mann, der sich eine Verletzung an der Hand zugezogen hatte, berichtete, dass er mit fünf Bekannten vor einer Gaststätte gesessen habe, als plötzlich und ohne jeden Anlass Polizisten die Straße gestürmt hätten. »Das war eine reine Provokation«, sagte er. Niemand dürfe sich wundern, wenn nach diesem Vorgehen die Lage in der Nacht endgültig eskaliert sei.

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    Gipfelknast »Gesa«: Übergriff auf Anwalt

    Kristian Stemmler

    In Hamburg häufen sich die Übergriffe auf Gegner des G-20-Gipfels, Journalisten und Anwälte. Der Anwaltliche Notdienst (AND) berichtete am Samstag morgen von einer Attacke mehrerer Polizisten gegen einen Anwalt in der Gefangenensammelstelle (Gesa) im Stadtteil Neuland in der Nähe des Harburger Bahnhofs, einem für den Gipfel errichteten Knast mit 400 Haftplätzen. Dem Juristen sei von den Beamten »ins Gesicht gegriffen« worden, man habe ihm den Arm verdreht und ihn »aus der Gesa geschleift«.

    Das »Vergehen« des Anwalts: Er hatte energisch der polizeilichen Anordnung widersprochen, dass sein Mandant, ein festgenommener Gipfelgegner, sich nackt ausziehen sollte. Diese Leibesvisitationen werden laut AND immer häufiger angeordnet. Den Anwälten werde von der Polizei unterstellt, sie könnten bei den Beratungsgesprächen, die nicht überwacht werden dürfen, ihren Mandanten »gefährliche Gegenstände« zustecken. Das zeige erneut, »dass die Polizei Anwälte nicht als Garanten eines rechtsstaatlichen Verfahrens sieht, sondern als Gefahr«, erklärte der AND. »Eine Polizei, die gegen Anwälte körperlich vorgeht, die sich für ihre Mandanten einsetzen, hat jeden Bezug zum Rechtsstaat verloren.«

    Der G-20-Ermittlungsausschuss berichtete, Anwälte seien fünf Stunden lang nicht zu ihren Mandanten vorgelassen worden. Die Polizei habe die Situation genutzt, um erkennungsdienstliche Behandlungen durchzuführen, ärztliche Untersuchungen zu verschleppen und die Betroffenen in Unwissenheit über die Vorwürfe und das weitere Verfahren zu lassen.

    Von einer willkürlichen Festnahme von 73 Aktivisten berichtete die Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke am Vormittag auf einer Pressekonferenz im unabhängigen Pressezentrum im Stadion des FC St. Pauli. Am Freitag morgen seien Gipfelgegner spontan aufgebrochen, um vor der Gesa zu demonstrieren. Offenbar lediglich weil sie schwarz gekleidet waren, seien sie schnell gestoppt und in die Gesa verbracht worden. Die Staatsanwaltschaft habe »flächendeckend« Haftbefehle beantragt, mit »den absurdesten Vorträgen«, so Heinecke. Den Festgenommenen sei »schwerer Landfriedensbruch« vorgeworfen worden, doch die Richter hätten keine Haftbefehle erlassen.

    Die Staatsanwaltschaft habe am Samstag morgen keine Haftbefehle mehr beantragt, dennoch seien die meisten Betroffenen noch im Gewahrsam in der Gesa, jetzt schon seit mindestens 17 Stunden. »Wir halten das für rechtswidrig«, sagte die Anwältin. Die Polizei hatte im Vorfeld des Gipfels laut Medienberichten zugesichert, dass niemand in der Gesa – die Einzelzellen dort sind etwa drei Quadratmeter groß, die Sammelzellen für fünf Personen neun – länger als zehn Stunden verbringen würde.

    Die nur für den Gipfel auf dem Nachbargelände der Gesa eingerichtete Außenstelle Neuland des Amtsgerichts Hamburg bezeichnete Heinecke als »ein Sondergericht, das G-20-Gericht«. Dort herrsche »die Atmosphäre eines in der Wüste befindlichen Kriegsgebiets. Die Justiz trägt blaue Westen, die Verteidigung rosa Westen, die Polizei gelbe Westen.« Die Polizei zeige ein Freund-Feind-Denken, das den zivilen Umgang in den provisorischen Verhandlungssälen erschwere.

    Von Repressalien gegen Journalisten berichte auch Renate Angstmann-Koch von der Verdi-Gewerkschaft Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) auf der Pressekonferenz. Im Schanzenviertel sei ein Journalist von der Polizei mit der Waffe bedroht worden. Auch hätten die Beamten mehrfach Journalisten trotz Presseausweises den Zutritt zu Einsatzorten verwehrt, so die Gewerkschafterin.

    Angstmann-Koch wisse zudem von sechs Kollegen, denen die Akkreditierung für das offizielle Medienzentrum entzogen oder verweigert worden sei. Eine Begründung sei nicht gegeben worden, ein Vertreter des Bundeskriminalamtes habe lediglich erklärt, von den Journalisten gehe eine Gefahr aus. Die dju habe den von den Maßnahmen Betroffenen versprochen, sie werde das Vorgehen im nachhinein auch gerichtlich überprüfen lassen.

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    Trittbrettfahrer der Revolte. Kommentar

    Peter Steiniger

    Angela Merkels Einladung zu den Chaostagen an der Alster wurde angenommen. Die bestellten Bürgerkriegsszenen sind abgedreht, den Soundtrack lieferte die Elbphilharmonie mit klassischen Akkorden für die illegitime Weltregierung und ihr Gefolge. Am Morgen danach liegt noch der Brandgeruch der abgefackelten Barrikaden, Mülltonnen und Autos über dem Hamburger Schanzenviertel, auf seinen Straßen das Glas der Schaufenster vandalierter Geschäfte. Mach kaputt, was dich kaputt macht? Die heile Welt der Schickeria in den noblen Ecken der Stadt erschüttert das nur wenig.

    Die Gewaltorgie von Autonomen hat nicht nur politische Motive. Doch sie ist ein Produkt dieser Gesellschaft. Deren Bodensatz kam hoch. Der Riot spiegelt ihre eigene repressive Machokultur wider und die Frustration, die sie bei den Abgehängten und Deklassierten erzeugt. Das moderne Lumpenproletariat marodierte. Es wird auch das eine oder andere wildgewordene Bürgersöhnchen dabei gewesen sein. Eine Mischung, die schon oft benutzt wurde, um der organisierten Linken Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

    Während von Hamburgs Oberen viel Energie darauf verwendet wurde, auch mit offenen Rechtsbrüchen zu verhindern, dass politische Aktivisten dort ihre Zelte aufschlagen, konnten Krawalltouristen ungehindert anreisen. Diese Spezies kennt man auch von den Events der Berliner Spaßpolizei zum 1. Mai. Dass besoldete Provokateure im Mob, darunter viele guttrainierte junge Männer, beim Marodieren mitmischten, darf man aus Erfahrung annehmen. Es fällt auf, dass die Polizeiführung, die in der Hansestadt zum Gipfel eine ganze hochgerüstete Armee aufbietet, das Geschehen im Schanzenviertel über Stunden dem Selbstlauf überließ. Das Chaos durfte sich entfalten.

    Die rote Front und die schwarze Front sind wir: Unser Gegner ist nicht der kleine Ladenbesitzer, nicht der Halter eines Autos, auch nicht der einzelne Polizist – sondern der Klassenstaat. Dieser ist es, der in Hamburg Krieg spielt. Dabei geht weit mehr kaputt als ein paar Scheiben oder Baugerüste. Dort plündert er die demokratischen Rechte.

    Die Lunte für den Knall im Schanzenviertel haben die politisch Verantwortlichen und die Polizeiführung gelegt. Er wurde herbeiprovoziert. Demonstranten sollen dem Gummiknüppel auch noch die linke Wange hinhalten. Einwohner und Aktivisten wurden von der ersten Minute an drangsaliert und misshandelt. Das schürt Wut, die sich auch blind entlädt. Die Polizisten, Arbeitende im Bereich der öffentlichen Sicherheit, werden für eine Machtdemonstration missbraucht. Manche nicht ungern.

    Die Freunde von Kopf-ab-Diktaturen und neoliberalen Polizeistaaten rufen nun nach der harten Hand. Heute rufen sie nach Gummigeschossen und der Schließung linker Zentren. Und morgen nach Schutzhaft? Wer Bomben fallen lässt und daran Spaß hat, ist Staatsgast. Wer Böller zündet, Terrorist? Es ist zu hoffen, dass etwas vom Gestank brennender Mülltonnen auch zu den Messehallen zieht und in die Nasen derer kriecht, die auf dieser Welt die wirklich großen Feuer legen.

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    Party trotz Polizeikessel

    Kristian Stemmler
    Transparent an einem Haus am Rande der Demonstration »G20 Welcome to hell« am 6.7.2017 in Hamburg
    Vielfach zu sehen: Slogans und Banner gegen den G-20-Gipfel

    Das dürfte die größte Einkesslung in der Geschichte deutscher Polizeieinsätze sein: Mit einem gigantischen Aufgebot hat die Polizei am Freitag nachmittag Verbindungen zwischen ganzen Hamburger Stadtviertel gekappt. Alle wichtigen Verbindungsstraßen von Nord nach Süd sind vollständig abgesperrt. Aus Vierteln wie St. Pauli und Neustadt kommt so gut wie niemand mehr in den östlichen Teil der City, also etwa nach St. Georg. Auch S- und U-Bahnen fahren in diesem Gebiet nicht mehr, der Busverkehr wurde ebenfalls eingestellt.

    Überall sind Kolonnen von Mannschaftswagen geparkt, stehen Hundertschaften, die wichtigen Knotenpunkte sind zusätzlich von Wasserwerfern und Räumpanzern blockiert. Hubschrauber kreisen in der Luft. Grund für den gewaltigen Aufwand ist offenbar das Konzert, zu dem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre Staatsgäste beim G-20-Gipfel in die »Elbphilharmonie« eingeladen hat. Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg beschallt das illustre Publikum unter Leitung von Kent Nagano unter anderem mit Beethovens (als Europahymne missbrauchter) neunter Sinfonie.

    In der übrigen Stadt wird eine andere Musik gespielt. Im Schanzen- und Karoviertel, auf St. Pauli und am Hafen sowie rund um den Michel breitet sich am Freitag nachmittag bei schönstem Sommerwetter trotz der dramatischen Ereignisse in der Nacht zuvor so etwas wie Partystimmung aus.

    Über Nacht sind neue Banner an Hausfassaden und in Fenstern aufgetaucht mit Aufschriften wie »Fck G 20«, »NoG20«, »Not my G20« »Smash G20« »Ihr seid 20, wir sind mehr«. Auf den fast leeren Straßen – viele Hamburger meiden die Innenstadt – haben Radfahrer und Skater freie Bahn. Ein Aktivist meinte zu jW: Dass unser Motto ›Reclaim the Streets‹ ausgerechnet beim G20 wahr wird, mit 20.000 Bullen in der Stadt, hätt’ ich nicht gedacht.«

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    Sinnvoller G-20-Protest

    Lucas Zeise
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    Die G20 verfolgen zwar verschiedene Interessen, setzen aber mehrheitlich die Interessen des Imperialismus um

    Sind die G 20 das Problem oder sogar Teil der Lösung? Die Show ist ja nun, jedenfalls in Hamburg, so gut wie zu Ende. Dass die Regierungschefs der 19 ökonomisch großen Staaten nichts Bedeutendes beschlossen haben, überrascht jetzt nicht besonders. Wer gegen sie und ihr Treffen unter dem Vorsitz von Angela Merkel protestiert, setzt dennoch nicht alle diese Regierungschefs gleich. Unter den Demonstranten befinden sich nicht nur Anarchisten, die jede Regierung, gleich welcher Art auch immer, ablehnen. Die meisten Demonstranten wissen die in Hamburg versammelten Repräsentanten ihrer jeweiligen nationalen Kapitalistenklasse zu unterscheiden.

    Die G 20 sind nicht dasselbe wie die G 7. Das ist richtig. Der Publizist Andreas Wehr hat mir diese Verwechslung vorgeworfen und den Demonstranten, dass sie gegen die G 20 ganz wie gegen die G 7 demonstrieren. Dabei erkläre ich gerade in dem von ihm kritisierten Artikel »Kurze Geschichte der G 20«, wie und warum sich die altkapitalistischen G-7-Staaten (USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada) nach Ausbruch der großen Finanz- und Wirtschaftskrise der Unterstützung der wichtigsten Schwellenländer (vor allem China, Indien, Brasilien und Russland) versicherten. (Wehrs und mein Beitrag finden sich in den Marxistischen Blättern 3/2017 und 2/2017.) Das ist ja gerade das Interessante an der aktuellen Entwicklung des Kapitalismus, dass die alten Imperialisten die Zustimmung anderer Länder brauchen oder zu brauchen meinen. Um was zu erreichen? Um den Kapitalismus weltweit am Laufen zu halten.

    Das schließlich ist der unverhohlene Zweck der jährlichen Veranstaltungsreihe. Darüber sollte man sich keinen Illusionen hingeben. China und die anderen Länder wurden in der Krise gebraucht, weil sie ökonomisch aufgeholt hatten. Obwohl gerade China und Russland der Aggression der imperialistischen Länder unter Führung der USA ganz besonders ausgesetzt waren und sind, beteiligen sie sich an diesen von den alten Führungsmächten dominierten Veranstaltungen, ganz wie sie sich an der WTO (Welthandelsorganisation) und am IWF (Internationaler Währungsfonds) beteiligen. Kritik an dieser Beteiligung wäre wohlfeil. Das ist auch nicht der Punkt. Wichtig ist aber die Feststellung, dass die G-20-Treffen, ganz wie die G 7, erstens der Regulierung und Aufrechterhaltung des globalen Kapitalismus dienen. Und dass sie zweitens ganz eindeutig vom alten Westen unter Führung der USA dominiert werden. Der aktuelle Streit innerhalb der US-Kapitalistenklasse und ihrer Verbündeten ändert daran nichts. Von den zwölf Staaten, die neu zur G-20-Versammlung hinzugetreten sind, ist einer ein NATO-Staat (Türkei), ist einer seit Jahrzehnten von den USA besetzt (Südkorea), gehören zwei zu den engsten Verbündeten der USA (Australien, Saudi-Arabien), stehen drei (Argentinien, Brasilien, Mexiko) unter schon zwei Jahrhunderte dauernder US-Dominanz. Indonesien hat in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts wie Brasilien einen von den USA angeleiteten, blutigen Umsturz erlitten. Nur die drei Staaten China, Russland und Indien können als politisch unabhängig von der imperialen Führungsmacht gelten. Es ist gut und richtig, gegen diese G 20 zu protestieren.

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    Auftakttreffen der Ausbeuter

    G 20 feilschen um Abschlusserklärung. EU-Kommission droht USA
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    US-Staatschef Donald Trump (l.) und Russlands Präsident Wladimir Putin begegneten sich in Hamburg zum ersten Mal (7. Juli)

    Am Freitag traten in Hamburg die 19 Staats- und Regierungschefs erstmals zu einem Arbeitstreffen zusammen. Zum Auftakt des G-20-Gipfels sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Eröffnungsrede über Wirtschaftswachstum und Handel sibyllinische Sätze: »Lösungen können oft nur gefunden werden, wenn wir kompromissbereit sind, wenn wir uns aufeinander zu bewegen.« Sie sage »ganz ausdrücklich«, dass es nicht darum gehe, »uns zu sehr zu verbiegen«. Es sei so, dass »wir natürlich auch Unterschiede durchaus benennen können«. Merkel räumte ein, dass es noch offene Fragen im Abschlussdokument gebe. Die Sherpa genannten Unterhändler der Staats- und Regierungschefs »müssen noch einmal eine Nacht durcharbeiten, das gehört aber dazu«. Strittig sind auf dem Gipfel der G 20 die Fragen des Klimaschutzes und des Handels. Dabei wird es vor allem auf die Haltung von US-Präsident Donald Trump ankommen. Am Samstag soll eine Abschlusserklärung veröffentlicht werden.

    Trump traf in Hamburg zum ersten Mal persönlich auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Am Freitag begrüßten sich die beiden per Handschlag (Foto). Auch die Außenminister Rex Tillerson und Sergej Lawrow berieten am Rande des Gipfels. In den russisch-amerikanischen Gesprächen soll es unter anderem um Syrien und die Ukraine gehen. Putin erklärte: »Wir sind gegen den Protektionismus, der sich in der Welt ausbreitet.« Beschränkungen bei Handel und Finanzen hätten oft einen politischen Hintergrund und sollten Konkurrenten ausschalten, zitierte ihn die Agentur Interfax. Seinen ersten Redebeitrag nutzte Trump für ein Eigenlob. Er habe hervorgehoben, wie gut es der US-Wirtschaft gehe, seitdem er im Amt sei, berichtete dpa. Zudem habe er sich über die nordkoreanischen Raketentests geäußert, obwohl diese gar nicht Thema gewesen seien. Trump war den Angaben aus Diplomatenkreisen zufolge der erste Staats- und Regierungschef, dem Merkel in der Gesprächsrunde zum Thema Wirtschaft und Handel das Wort erteilte.

    Danach ließ die Bundeskanzlerin EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker reden. Der Luxemburger grenzte sich den Angaben zufolge deutlich von Trump ab. Er hob die am Donnerstag getroffene Grundsatzeinigung für ein europäisch-japanisches Handelsabkommen hervor. Unmittelbar vor dem Treffen hatte Juncker der Presse erklärt, die EU werde von Strafzöllen im Stahlhandel Gebrauch machen. »Ich möchte Ihnen mitteilen, dass wir innerhalb von wenigen Tagen – da brauchen wir keine zwei Monate – mit Gegenmaßnahmen reagieren werden, in der Hoffnung, dass all dies nicht notwendig sein wird«, sagte Juncker. Die US-Regierung erwähnte er nicht direkt. Trump will die heimische Stahlbranche stärken und geht mit Strafzöllen unter anderem bereits gegen Salzgitter und die Dillinger Hütte vor. In Hamburg will er nach Angaben der US-Regierung von anderen G-20-Ländern die Verringerung von Überkapazitäten verlangen. Juncker sagte: »Wir sind in gehobener Kampfesstimmung.« Die EU werde »adäquat« reagieren. (dpa/AFP/jW)

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    Rebellion gegen G 20

    Tausende widersetzen sich in Hamburg den Verboten von Demonstrationen, protestieren gegen Repression und Kapitalismus
    Claudia Wangerin, John Lütten, Kristian Stemmler, Georg Hoppe und André Scheer, Hamburg
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    Am Freitag ging die geballte Staatsmacht gegen friedliche Blockierer vor, etwa 120 Festnahmen soll es bis zum Mittag gegeben haben. Es gab wieder etliche Verletzte

    Tausende Menschen haben sich auch am Freitag an Aktionen gegen den G-20-Gipfel in Hamburg beteiligt. Die Organisatoren der Kampagne »Block G 20« sprachen von mindestens 5.000 Menschen, die sich an verschiedenen Stellen der Stadt an Blockaden der Zufahrtswege zu den Messehallen, dem Austragungsort des Treffens, beteiligt hätten. »Wir haben unser Ziel erreicht und ein deutliches Zeichen gegen den Wahnsinn der G 20 gesetzt. Alle ›Blockadefinger‹ haben die sogenannte blaue Zone erreicht. Einige G-20-Delegationen mussten umkehren und konnten den Gipfelort nur über große Umwege erreichen. Damit haben wir erfolgreich Sand ins Getriebe des Gipfels gestreut«, zeigte sich Bündnissprecherin Jana Schneider zufrieden. »Die vielen Aktivistinnen und Aktivisten nehmen sich ihr Recht, sie nehmen sich die Straße zurück. Sie haben keine Angst mehr«, ergänzte ihr Kollege Nico Berg. Auch die Organisatoren der Blockadeaktionen im Hamburger Hafen zeigten sich zufrieden.

    Die ersten Gruppen von Blockierern hatten sich am frühen Morgen versammelt. So trafen sich an den Landungsbrücken etwa 400 Menschen, viele von ihnen in Tapezieranzügen oder lila Verkleidung als sogenannte Blockadefinger. Die meist jungen Leute gingen dann zügig in Richtung Heiligengeistfeld los, wurden jedoch von der Polizei gestoppt. Daraufhin wichen sie den Sperren aus und gingen um das Bismarckdenkmal herum weiter. An der Rothesoodstraße wurde die Gruppe fast eine Stunde lang von der Polizei eingekesselt, bis die Demonstranten gegen 8.30 Uhr in Richtung Innenstadt weitergehen konnten.

    In der Bergstraße nahe Rathausmarkt vereinten sich mehrere Kleingruppen zu einer weiteren Sitzblockade, die von der Polizei schnell aufgelöst wurde. In der Domstraße wurden kurz darauf bis zu 150 Demonstranten festgesetzt.

    Insgesamt handelte es sich bei den Teilnehmern der Aktionen um gutgelaunte, lockere und agile Menschen, nicht um militante Straßenkämpfer. Von »massiven Ausschreitungen«, wie die Polizei in einer Pressemitteilung behauptete, konnte zumindest in den von uns beobachteten Fällen nicht die Rede sein – jedenfalls nicht von seiten der Demonstranten.

    Am Gorch-Fock-Wall wurde ein Diplomatenfahrzeug von Demonstranten aufgehalten. Der Fahrer der schwarzen Limousine gab jedoch Gas, überrollte ein Fahrrad und gefährdete die jungen Menschen, die sich durch Hechtsprünge in Sicherheit bringen mussten. Vor der Europapassage am Jungfernstieg zog ein junger Mann seine Begleiterin im letzten Moment aus dem Weg, sonst wäre sie unter die Räder gekommen.

    An anderen Stellen setzte die Staatsmacht Wasserwerfer und Reizgas gegen die gewaltfrei Protestierenden ein. »An mehreren Stellen sind Polizisten mit Bürgerkriegsgerät gegen friedliche Sitzblockaden vorgegangen«, stellte Christian Blank fest. Vorläufigen Informationen zufolge mussten allein am Freitag vormittag 14 Verletzte in die Krankenhäuser gebracht werden. Eine Person sei trotz eines offenen Knochenbruchs von der Polizei festgenommen und in die Gefangenensammelstelle in Harburg gebracht worden. Rechtsanwältin Gabriele Heinecke kritisierte in diesem Zusammenhang am Freitag, dass den Rechtsvertretern der Zugang zu den Festgehaltenen verweigert werde. Sie sprach von etwa 120 Festnahmen bis zum Mittag.

    Mehr Menschen als erwartet beteiligten sich am Vormittag am Bildungsstreik, zu dem das Bündnis »Jugend gegen G 20« aufgerufen hatte. Um 10.30 Uhr versammelten sich am Deichtorplatz rund 1.500 Schüler, Auszubildende und andere Jugendliche. Dabei kam es zum Auftakt zu einer gefährlichen Situation, als sich Schüler einem vorbeifahrenden Polizeikonvoi in den Weg stellen wollten. Die Fahrzeuge bremsten nicht ab, so dass sich die Jugendlichen nur knapp davor retten konnten, überfahren zu werden. Zu ähnlichen Situationen kam es im Stadtgebiet mehrfach, es waren Verletzte zu beklagen. Ein Schüler sagte gegenüber junge Welt, er sei bis jetzt davon ausgegangen, Leib und Leben seien sicher, solange man die Polizisten nicht direkt angreife. Dies habe sich nach seinen Erfahrungen in den letzten Tagen geändert.

    Die Kundgebung und die Demonstration der Jugendlichen waren kämpferisch. Man zeigte sich solidarisch mit den Aktivisten, die sich an den Blockadeaktionen beteiligten. Gefordert wurde eine Bildung, die nicht nur auf die Abrichtung zur Lohnarbeit abziele. Auf Transparenten wurden Alternativen zum Kapitalismus, Versammlungsfreiheit und eine lebenswerte Zukunft eingefordert. Die Fahnen vieler Jugendorganisationen und Gewerkschaften waren zu sehen, unter anderem zeigten IG Metall, Verdi und GEW Flagge.

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    Gegenmittel vorhanden. Kommentar

    Anselm Lenz
    Die »Tagesthemen« wählten eine bezeichnende Bildsprache (Sendung vom 6.7.2017)
    So höllisch war’s gar nicht – der Demonstrationszug »Welcome to Hell« nach Auflösung der angemeldeten Kundgebung

    Vor der Demonstration »Welcome to Hell« hatten die Oberen richtig Bammel. Mit »8.000 Gewaltbereiten« am Fischmarkt rechnete Innensenator Andy Grote (SPD) für den Donnerstag. Gut vermummte und gepolsterte Inlandsmilizen waren aus dem gesamten BRD-Gebiet angekarrt worden – selbstverständlich »zur Sicherheit«. Aufatmen dann um 17 Uhr auf seiten der Staatsmacht: Schon eine Stunde laufe die Demo, erst 1.200 Demonstranten seien da, meldete die Polizei, die Deutsche Presseagentur leitete die Zahl weiter. – Alles ein Flop?

    Die gegen die Klassengesellschaft Protestierenden hatten sich was einfallen lassen: Nach dem Bühnenprogramm am Fischmarkt sollte die Demonstrationsroute durch die seit 100 Jahren kommunistisch und anarchistisch geprägten Viertel am Hamburger Hafen führen. Dank des Livestreams des Internetsenders RT konnte die Demonstration am Abend unkommentiert mitverfolgt werden. Das Kontrastprogramm lieferten anschließend die »Tagesthemen«, die fernab der Wirklichkeit schwere Ausschreitungen kolportierten – im Hintergrund ein geradezu apokalyptisches Bild mit roten Fahnen in einer Straßenschlacht.

    Dem G-20-Meeting der obersten Imperialisten im sogenannten Karolinenviertel unter Ausschluss der Öffentlichkeit und einer erbärmlichen Opium-fürs-Volk-Show in der entlegenen Hamburger »Barclay-Card- Arena« (sic!) mit der singenden Tänzerin Shakira (wird nicht billig gewesen sein), setzten die Aktivisten ihr Bühnenprogramm und ihre Losungen entgegen.

    Ab 19 Uhr zog die Demonstration vom Fischmarkt über die Sankt-Pauli-Hafenstraße, wobei sie immer wieder von den Polizeitruppen aufgehalten wurde. Mindestens 12.000 überwiegend junge Demonstranten, sommerlich gekleidet und etwa zur Hälfte Frauen. Darunter sicher keine 8.000 »Gewaltbereiten«. Der Parlamentarische Beobachter Martin Dolzer (Partei Die Linke) mühte sich redlich darum, dass es weitergehen konnte.

    Die Bilder belegen, dass der Einsatzleiter den Zug ohne Grund stoppte. Die Folklore einiger schwarzgekleideter Sonnenbrillenfans ist kein hinreichender. Nach nicht näher bekannten »Zwischenfällen« wurde die offizielle Demo jedenfalls für aufgelöst erklärt.

    Eine über Lautsprecher ausgerufene »Spotandemo gegen Polizeigewalt« zog nach dem Spuk auf der geplanten Route weiter. Man brachte Banner mit gewitzten Losungen nach vorn: »Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse« und ein »NoG20«-Transparent im El-Lissitzky-Stil. Auch »Welcome to Hell« trat wieder auf – furchteinflößend, aber niedlich wollte man ja damit auch nicht sein. Die wirklich schrecklichen Dinge kommen inzwischen ja in aller Regel »nice« daher. Zum Beispiel in der Arena.

    Auch die Sprechchöre auf der Spontandemo klangen origineller als die Kommandos der behelmten Inlandsmilizen: »Ohne Helm und ohne Knüppel seid Ihr nichts«, »Eure Kinder werden so wie wir« oder »Wir sind friedlich, was seid Ihr?«

    Die unkommentierten Livebilder bergen ein gewisses Suchtpotential. Und sie sind ein Gegenmittel zu dem, was viele Medienbetriebe ihren Konsumenten zum Feierabend auftischen (nicht nur die ARD-Berichterstatter, die sich ansonsten in puncto G-20-Gegner vergleichsweise um Fairness bemühen). Angesichts der Erfolge der Gegenkultur werden Versuche, die Zielrichtung der Demos zu verschleiern, scheitern.