Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
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No G20

No G20

Hamburg empfing am 7. und 8. Juli 2017 Staatschefs und Vertreter der EU zum G-20-Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Sie erwartete eine große und kreative Protestbewegung.

Interviews

  • · Interviews

    »Gezielt gegen Staat und Polizei vorgegangen«

    Agenturfotograf hat organisierte Rechte bei den Auseinandersetzungen mit der Polizei um »G 20« enttarnt. Ein Gespräch mit Andreas Scheffel
    Christiane Hoffmann
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    Ausschreitungen während des G-20-Gipfels in Hamburg (9. Juli)

    Sie haben im Umfeld des G-20-Gipfels fotografiert. Was ist Ihre auffälligste Beobachtung gewesen?

    Meine auffälligste Beobachtung machte ich auf dem Schulterblatt, nachdem Barrikaden errichtet worden waren. Da sind mir mehrere Kleingruppen aufgefallen durch ihre Artikulierung. Ein abfälliger Begriff wie »Zecken« ist für mich ein klarer Hinweis darauf, dass es sich nicht um Linksgruppierungen handelt, sondern dass rechte Gruppierungen zugange sind. Das war Lerchenstraße Ecke Schulterblatt (Straße in Hamburg, Ort der heftigsten Auseinandersetzungen am 7. und 8. Juli; jW).

    Man kann sich ja scherzhaft auch selbst als Zecke bezeichnen. Was macht Sie so sicher?

    Sie haben Parolen skandiert. Es gibt auch Gruppierungen aus der linken Szene in Frankreich, die »Ahu«-Rufe benutzen, mit denen man sich unter Hools anfeuert. Die aber, die dort den Ruf verwendeten, hatten zuvor deutsch gesprochen. Somit kann das klar differenziert werden. Es muss eine deutsche und rechte Hooliganszene gewesen sein. Später, infolge der Ausschreitungen, sind bei verschiedenen Personen die Vermummungen in den Halsbereich gerutscht, sodass ich die Gesichter wiedererkennen konnte. Einige Gesichter waren mir bekannt, ich konnte sie eindeutig zuordnen. Ich bin diesen Aktionskreisen dann weiter an der Hacke geblieben.

    Was geschah dann?

    Diese Personen haben aus dem Straßenbett Pflastersteine rausgeklopft und mitgenommen. Steinplatten wurden zerborsten auf dem Boden. Infolgedessen kamen über die Lerchenstraße ungefähr 60 bis 70 Beamte, BFE-Einheiten (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit ähnlich »GSG 9«; jW). Die sind erst im oberen Drittel der Straße geblieben, haben regelrecht zugeschaut, wie die Personen die Steine rausgeklopft haben. Danach sind dann aber doch Polizeibeamte vorgestoßen in das Schulterblatt. Sie haben die Personen zunächst mal zurückgestoßen. Dann haben sie sich zurück in die Lerchenstraße bewegt. Infolgedessen kam es dann dazu, dass die Gruppen der rechten Szene die rausgeschlagenen Steine auf die Beamten geworfen haben. Es war geradezu ein Steinmeer, viele Beamte wurden getroffen. Das Ganze hat sich fünf- oder sechsmal wiederholt. Dann kam ein Wasserwerfer über die Lerchenstraße rein, wurde aber wieder zurückgezogen. Die Polizeitaktik ist mir unverständlich geblieben, die Verletzung weiterer Beamter hätte verhindert werden können.

    Über welchen Zeitraum haben sie die Leute am Stück beobachtet?

    Über vier Stunden.

    An welchem Tag war das?

    Das war am Freitag abend des G-20-Gipfels, also am 7. Juli 2017.

    Und das haben Sie auch dokumentiert?

    Ich bin international tätiger Foto- und Videojournalist für Nachrichtenagenturen und Nachrichtensender. Ich stecke derzeit im Abschluss der Recherche und der Analyse. Beim SWR habe ich bereits Kurzszenen gezeigt, wobei ich einen größeren Personenkreis klar zuordnen konnte. Ich habe die Analyse noch nicht komplett abgeschlossen.

    Es gab beim NSU-Prozess einen Zeugen, der ausgesagt hat, er sei »weder rechts noch links«, und er gehe einfach »dahin, wo es Spaß macht«. Haben Sie den Eindruck, dass das, was Sie beobachtet haben, dieser Klientel zuzuordnen ist?

    Nein. Ich bewege mich ja mit jahrelanger professioneller Erfahrung auf Demonstrationen, Großevents und Festivals. Mein Eindruck ist der, dass es nicht einfach damit abzutun ist, dass es Krawalltouristen oder Hools sind. Es waren echte Rechte sowie organisierte Gruppen, die dem rechten Spektrum zuzuordnen sind. Die sind europaweit organisiert, in Norditalien aktiv, in Frankreich und in Tschechien. Ich reise denen nach, um es zu dokumentieren.

    Wie bewerten Sie die Unterwanderung im Zusammenhang?

    Man müsste die Einsatzleitung und die Bundesregierung danach fragen. Aus meiner Sicht sind Abertausende Personen, die friedlich auf die Straße gegangen sind, um für ihre politische Meinung einzustehen, komplett in den Hintergrund geraten – und auch deren Forderungen sind dadurch verdrängt worden. Die politische Ausrichtung von Rechten ist ganz klar, dass gezielt gegen Staat und Polizei vorgegangen wird.

  • · Interviews

    »Wir waren auf allen Demos dabei«

    Queerfeministische Veranstaltungen im G-20-Camp Entenwerder konnten nicht ­stattfinden. Gruppen waren dennoch bei Protesten präsent. Gespräch mit Maggy Clausen*
    Lina Leistenschneider
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    Kraftvoller queerfeministischer Block bei den Anti-G-20-Protesten am 7. Juli in Hamburg

    In den letzten Tagen stand insbesondere die Gewalt im Hamburger Schanzenviertel, von der auch kleine Geschäfte betroffen waren, im Mittelpunkt der Berichterstattung der bürgerlichen Medien über den G-20-Gipfel. Die inhaltliche Kritik der großen Mehrheit der friedlich Protestierenden an dem Treffen kam kaum noch vor. Im antikapitalistischen Camp in Entenwerder sollte es während der Protestwoche ein breit angelegtes Programm für rund 10.000 Teilnehmende geben. Wie war das Camp organisiert?

    Schon Monate vor dem G-20-Gipfel haben sich Delegierte aus Vorbereitungsgruppen zu verschiedenen Themenbereichen regelmäßig getroffen, um sowohl die Struktur als auch den Inhalt zu planen. Im Camp sollte es verschieden gekennzeichnete Areale, sogenannte Barrios, geben, darunter auch ein queerfeministisches.

    Was war das Ziel?

    Wir wollten mit dem Camp zeigen, dass eine andere Welt möglich ist. Ein Miteinander, antikapitalistisch, antipatriarchal, ökologisch, autonom und hierarchiefrei. Die Idee der Versammlung war es, Menschen aus diesem und aus anderen Ländern die Gelegenheit zu geben, von sich und ihren Kämpfen zu berichten. Das Programm galt uns als grober Rahmen.

    Welche Veranstaltungen waren denn konkret geplant?

    Die Gruppen haben zusammen ein 15seitiges Programm zu ihren jeweiligen Schwerpunkten ausgearbeitet. Darunter sollten beispielsweise Diskussionen zur Kritik am europäischen Grenzregime und am Modell der »G 20« sein. Es sollte Vorträge zum Widerstand gegen Atomkraft, zu Klimawandel und Kapitalismus geben. Auch das Werk von Karl Marx, insbesondere seine Kritik der politischen Ökonomie, sollte neu diskutiert werden. Und natürlich sollte es auch kulturelle Veranstaltungen und viel Musik geben.

    Was hatten die queerfeministischen Aktiven sich vorgenommen?

    Sie hatten zum Beispiel Frauen aus Mexiko eingeladen, Angehörige der 43 verschwundenen Studierenden, die bei ihrer Suche und Aufklärungsarbeit selbst kriminalisiert wurden. Sie wollten darüber einen Vortrag halten und von der sexuellen Gewalt in Mexiko berichten, die sie bei Verhören und im Knast erfahren mussten.

    Sollte das Erleben insbesondere von sexualisierter Gewalt auch sonst thematisiert werden?

    Ja. Wir hatten auch eine Awareness-Struktur (das Konzept der sogenannten Awareness bzw. Bewusstheit beinhaltet, dass es bei Veranstaltungen Ansprechpartner gibt, an die sich Personen wenden können, die sich durch andere diskriminiert oder ausgegrenzt fühlen. Für Betroffene gibt es auch Räume, die Schutz und eine Rückzugsmöglichkeit bieten; jW). Die Camp-Organisierung, die zu einem großen Teil aus Frauen bestand, hat sehr auf sprachliche Barrierefreiheit geachtet. Der Anspruch, antipatriarchal zu sein, war ebenso da wie der, antikapitalistisch zu sein.

    Kam es denn trotz der Repression durch die Polizei noch zu inhaltlichen Veranstaltungen?

    Eine Frau aus Russland wollte über die Situation von Queer- und Transgenderpersonen in Russland und Tschetschenien berichten. Nach dem Polizeiüberfall am 2. Juli hat sie dann tatsächlich am Montag noch etwas dazu im Camp erzählt.

    Wie lange hat die Camp-Organisierung in Entenwerder ausgehalten?

    Bis Mittwoch. Denn nachdem die kleinen Zelte am Sonntag abgeräumt worden waren, sind nur noch ungefähr 100 Leute geblieben. Der erhoffte große Zulauf blieb aus. Das große FLTI-Zelt (FLTI steht für Frauen, Lesben, Transgender, Intersexuelle; jW) wurde für alle zur Zuflucht.

    Wie hatten Sie sich das queerfeministische Barrio eigentlich vorgestellt?

    Wir wollten ein Areal mit FLTI-Schutzraum. Hierfür hatten wir große Zelte organisiert, darunter ein Plenumszelt mit offener Bühne für inhaltlichen Input und Kulturprogramm, einem Café und viel Zubehör für eine angenehme Atmosphäre.

    All das fand nicht statt. Wie war das für Sie?

    Super enttäuschend. Die unglaubliche Polizeigewalt hat uns überrascht, und es wurde klar, hier ist kein Platz für das Camp, das wir uns vorgestellt hatten.

    Hat die Polizei es also geschafft, den queerfeministischen Widerstand gegen »G 20« zu zerschlagen?

    Nein. Im Vorfeld hat es Aktionen wie gut sichtbare Transparente beim Internationalen Frauentag und beim Hafengeburtstag gegeben. Außerdem gab es das queerfeministische Radioballett am Rathausmarkt und diverse Vorträge auf Infoveranstaltungen.

    Der FLTI- und der queere Infopunkt waren während des Gipfels und an den Tagen zuvor sehr gut besucht. Für viele waren sie ein Ort zum Orientieren und Ausruhen. Wir waren auf allen Demos dabei, und immerhin gibt es jetzt einen queerfeministischen Reader gegen »G 20« in Hamburg. Die entstandene FLTI-Plenumsgruppe wird sich weiter treffen und hoffentlich eine starke Größe in Hamburg und darüber hinaus bleiben.

    Gibt es Pläne für die Zukunft?

    Wir haben viele Kontakte geknüpft, die »Gruppe der 20« bleibt auf der Tagesordnung, auch wenn ihr nächstes Treffen nicht in Hamburg stattfindet. Und alle Themen bleiben aktuell. Wir könnten uns zum Beispiel vorstellen, in naher Zukunft queerfeministische Camps vorzubereiten.

  • · Interviews

    »Haben Grote angezeigt wegen Verleumdung«

    Hamburger Fraktion von Die Linke wehrt sich gegen Vorwürfe, die Partei würde sich mit Randalierern gemein machen. Gespräch mit Cansu Özdemir
    Markus Bernhardt
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    Hamburgs Innsensenator Andy Grote bei einer Pressekonferenz zur Bilanz des G-20-Gipfels (9. Juli)

    Sie haben am Freitag Strafanzeige gegen den Hamburger Innensenator Andy Grote, SPD, erstattet. Warum?

    Die Hamburger SPD versucht derzeit, von ihrem gnadenlos gescheiterten G-20-Polizeikonzept abzulenken und uns die Schuld für die in der Tat unentschuldbaren Straftaten am 7. und 8. Juli im Schanzenviertel in die Schuhe zu schieben. In der Bürgerschaftssitzung am Mittwoch haben wir uns dazu viele üble und unbelegbare Vorwürfe gerade von der SPD anhören müssen, die durch den parlamentarischen Rahmen, in dem sei geäußert wurden, gedeckt sind. Der Innensenator genießt diesen Schutz aber nicht. Und weil er behauptet hat, unsere Fraktion hätte Straftaten wie das Anzünden von Häusern direkt und indirekt unterstützt, haben wir ihn wegen Verleumdung angezeigt. Wir setzen uns für Aufklärung und Transparenz ein, als Sündenbock geben wir uns nicht her.

    Die Meldungen über von Polizisten begangene Gewalttaten reißen nicht ab. Inwiefern ist Grote dafür verantwortlich?

    Am 6. Juli auf der Demonstration »Welcome to Hell« hat Herr Grote mit der Nulltoleranzstrategie seines Gesamteinsatzleiters Hartmut Dudde mindestens Schwerverletzte billigend in Kauf genommen. Die Polizei unter der politischen Verantwortung von Innensenator Andy Grote hat Grundrechte ignoriert, Gerichte missachtet und Menschen verletzt. Uns ist es wichtig, das alles vollständig aufzuarbeiten: Was ist in der Schanze wirklich passiert? Warum hat die Polizei vier Stunden lang zugeschaut, als es brannte? Warum ließ man dann das SEK mit Sturmgewehren ins Viertel einrücken? Und natürlich muss aufgearbeitet werden, dass es eben auch davor und danach durchgängig eine Strategie gab, die eine Eskalation beförderte. Deshalb fordern wir einen Untersuchungsausschuss, der wirklich alles rund um den G-20-Gipfel unter die Lupe nimmt.

    Der politische Druck der anderen Parteien auf Ihre Fraktion ist immens. Wie gehen Sie damit um?

    Wir wussten von Anfang an, dass wir mit unserer Ablehnung der G 20 und ihres Gipfels in der Bürgerschaft allein stehen. Außerhalb des Rathauses sieht das anders aus. Das war auch so, als man Hamburg als Austragungsort der Olympischen Spiele vorschlug so. Überrascht sind wir nur darüber, wie geifernd und zugleich durchschaubar die SPD uns jetzt angreift, um von ihren eigenen Fehlern abzulenken. Es zeigt auch, wie verzweifelt sie nach Argumenten sucht, um Duddes Rechtsbrüche zu rechtfertigen. Aber wir sind überzeugt, dass die Wahrheit ans Licht kommen wird. Wir werden nicht einknicken, weil wir wissen, dass wir mit unserem Ruf nach Aufklärung richtig liegen. Und wir werden uns natürlich auch weiter dagegenstellen, ohne Beweise und Belege die Rote Flora zum Sündenbock zu stempeln.

    Und doch findet sich auf der Facebook-Seite der Hamburger Linksjugend Solid ein bemerkenswerter Fahndungsaufruf. Er wurde bereits am 7. Juli veröffentlicht. Da heißt es: »Jeder, der von uns bei der Ausübung von Gewalt gegen unsere GdP-Kollegen beobachtet wird, wird von der Linksjugend Solid Hamburg identifiziert und angezeigt. Wir wissen, wo ihr schlaft, und werden uns nicht scheuen, die Kollegen der GdP Hamburg in den frühen Morgenstunden zu euren Schlafzelten und Schlafplätzen zu leiten.«

    Das ist wirklich übel. Strafverfolgung ist Sache der Polizei. Solche Aufrufe zu Denunziation und Selbstjustiz verbieten sich für eine linke Partei. Wir als Fraktion stehen für eine nüchterne Analyse der G-20-Vorfälle, für die Verteidigung der Grundrechte und selbstverständlich für Kritik am Polizeieinsatz. Das ist auch unsere verfassungsgemäße Aufgabe als Oppositionspartei.

    Dora Heyenn, Ihre Vorgängerin als Fraktionschefin, ist aus »Solidarität«, wie sie es am Mittwoch nannte, wieder in die SPD eingetreten. Wie glaubwürdig ist das von ihr angegebene Motiv?

    Es kann schon sein, dass sie jetzt mit Olaf Scholz solidarisch ist, den sie zuvor jahrelang zu Recht verteufelt hat. Aber was sie dazu treibt, gerade ihn als Opfer der G-20-Ereignisse zu sehen, ist mir völlig unklar. Anscheinend war sie in der Gipfelwoche nicht in Hamburg.

  • · Interviews

    »Polizei ging mit Gewalt gegen Personen vor«

    G-20-Gipfel: Grundrechtekomitee beobachtete Demonstrationen. Versammlungsfreiheit immer wieder eingeschränkt. Gespräch mit Elke Steven
    Markus Bernhardt
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    Wasserwerfer der Polizei werden gegen Protestierende bei der »Welcome to Hell«-Demonstration eingesetzt (6. Juli)

    Als Vertreterin des Komitees für Grundrechte und Demokratie haben Sie in den vergangenen Tagen die Polizeieinsätze rund um den G-20-Gipfel in Hamburg beobachtet. Wie fällt Ihr Fazit aus?

    Wir haben gesehen, in welchem Maße die Polizei in diesen Tagen das Geschehen in der Stadt bestimmt hat. Sie hat die Situation eskaliert, Bürger- und Menschenrechte ignoriert. Sie informierte die Öffentlichkeit falsch und ging mit Gewalt gegen Personen vor. Das, was wir in dieser Woche erlebt haben, geht noch über das hinaus, was wir befürchtet hatten. Es wurden nicht nur die Grund- und Menschenrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch eine Allgemeinverfügung außer Kraft gesetzt. Sondern die Polizei hat, gedeckt von der hamburgischen Regierung und vermutlich auch im Sinne der Innen- und Sicherheitsbehörden des Bundes, den Ausnahmezustand geprobt.

    Haben Sie Beispiele?

    Es gab Versammlungen, bei denen die Polizei Grundrechte zugestand. Das gilt etwa für die Nachttanzdemo am vergangenen Mittwoch abend. Bei anderen Veranstaltungen, etwa jener am Samstag, kontrollierte die Polizei das Geschehen mehrfach und griff regulierend ein. Und es gab die »Wellcome to Hell«-Demo, die die Polizei nach wenigen Metern stoppte und regelrecht angriff. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist jedoch ein Menschenrecht, das nicht nach polizeilichen Vorstellungen und Gutdünken gewährt oder verwehrt werden kann. Im Gegenteil, es ist das Recht der Bürger, selbst über Zeit, Ort und Gestaltung ihres Protestes zu entscheiden.

    Schon im Vorfeld des Gipfels setzte die Polizei sich über Gerichtsurteile hinweg und verhinderte den Aufbau eines Camps. Inwiefern hat das gewalttätige Proteste befördert?

    Eine solche Kausalität würde ich nicht herstellen. Viele Bürger waren empört, als die Polizei sich über das Urteil des Verwaltungsgerichts hinwegsetzte und die Menschen nicht wenigstens in das Camp ließ, das das Gericht ihnen zugestanden hatte. Das widerspricht dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit. Sie waren auch aufgebracht wegen der Gewalt, mit der die Polizei die »Wellcome to Hell«-Demonstration angriff. Erstaunlich war viel eher, dass sich trotzdem immer wieder große Gruppen zum friedlichen Protest zusammenfanden und sich das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nahmen. Am letzten Samstag kamen mehr als 70.000 Menschen zur Großdemonstration »Grenzenlose Solidarität statt G 20«. Selbst die hat die Polizei angegriffen und eine Gruppe aus dem Zug herausgerissen.

    Aus manchen Demonstrationen heraus wurden auch Gegenständen geworfen – als Reaktion auf diese polizeiliche Gewalt, aber die Versammlungen blieben insgesamt weitgehend friedlich. Die Krawalle in den Nächten müssen anders betrachtet werden. Aber um diese »Riots« oder »urbanen Aufstände« zu verhindern, muss zunächst noch viel Aufklärungs- und Analysearbeit geleistet werden. Über Ausmaß, Hintergrund und Zusammensetzung können wir, die wir die Versammlungen beobachtet haben, nichts sagen.

    Vielerorts kam es auch zu polizeilichen Übergriffen auf Journalisten, Rechtsanwälte und sogar Sanitäter. Hat Sie deren Ausmaß überrascht?

    Wirklich überraschend war das nicht, aber es scheint mehr und selbstverständlicher zu werden. Erst recht dann, wenn diese Berufsgruppen ihre Arbeit in solidarischem Bezug zu den Protesten ausüben.

    Auch mit Maschinenpistolen bewaffnete Beamte waren im Einsatz.

    Die für Antiterroreinsätze geschulten Spezialeinheiten SEK und GSG9 sind im Schanzenviertel eingesetzt worden. Aber gefährlich war an mehreren Stellen auch das Vorgehen gegen die Versammlungen. Polizeibeamte liefen ohne Zeitdruck, die Schlagstöcke schwingend, schnell in Versammlungen hinein und erzeugten Panik. Mehrmals liefen Menschen angsterfüllt Treppen und Wiesen hoch oder überkletterten Mauern. Schwere Verletzungen wurden bei solchen Einsätzen in Kauf genommen.

    Was sagt all das über die Achtung der Grund- und Freiheitsrechte in der Bundesrepublik aus?

    Um sie ist es schlecht bestellt. Aber es ist ermutigend, in welchem Ausmaße die Bürger trotz alledem selbst ihre Rechte verteidigen und sich nicht entmutigen lassen. Dafür steht auch die Großdemonstration von Samstag.

  • · Interviews

    »Die Polizei hat die Eskalation gesucht.«

    Kristian Stemmler
    Polizeigewalt nach »Leberwursttaktik«? Einsatz gegen die »Welcome-to-Hell«-Demo am 6. Juli 2017 in Hamburg

    Michael Martin gehört zu den Organisatoren der »Welcome to Hell«-Demonstration am Donnerstag abend am Hamburger Hafen. Ein Interview

    Weltweit laufen Bilder von der Demo, die Sie mit organisiert haben, und den folgenden Ereignissen. Medien schreiben pseudoneutral von einer »Eskalation«, oder dass die Demo aus dem Ruder gelaufen sei – nennen aber nicht Ross und Reiter. Wer hat denn eskaliert?

    Das ist offensichtlich und wird von vielen Medien durchaus auch so gesehen: Die Polizei hat die Eskalation von Anfang an gesucht, schon vor der Demo gab es die ersten Provokationen. In Fortsetzung der polizeilichen Linie der letzten zwei Wochen ging es offenbar nur darum, die Bahn frei zu machen für ein hartes Vorgehen gegen die Aktionen an den beiden Gipfeltagen, Freitag und Samstag. Das wollte die Polizei mit allen Mitteln durchsetzen, dafür hat sie eine Situation in Kauf genommen, bei der es zu vielen Verletzten gekommen ist. Ich bin froh, dass es keine Toten gab.

    Wie sahen die Schikanen im Vorfeld aus?

    Schon beim Aufbau am Donnerstag morgen gab es Behinderungen durch formale Regelungen. Vor Beginn der Kundgebung fuhren zwei Wasserwerfer über den Fischmarkt. Und bevor der Aufzug startete, marschierten Hunderte Beamte an der Elbseite auf, um den Weg am Fluss entlang dichtzumachen. Und dann stand hinter der Bühne ein Überwachungsfahrzeug mit Wiesbadener Kennzeichen, also wohl Bundeskriminalamt, das alles abgefilmt hat. Ohne Polizeibegleitung übrigens.

    Eskaliert ist die Lage, als der Aufzug sich formierte.

    Ja. Es war abgesprochen, dass wir uns auf der Hafenstraße aufstellen. Aber da standen zwei Wasserwerfer, Räumpanzer und jede Menge Polizei, die dann auch noch vorgerückt sind. Damit war klar, dass die Polizei vorher entschieden hatte, dass wir da nie losgehen sollten – das mit der Vermummung war nur ein Vorwand. Eskaliert ist das Ganze, als die Polizei in den Aufzug hineingegangen ist.

    Sie sagen, sie fühlen sich an die Demo in Rostock zum G-8-Gipfel in Heiligendamm vor zehn Jahren erinnert und an die »Leberwurst-Taktik« des damaligen Berliner Polizeipräsidenten Erich Duensing bei den Protesten gegen den Schah-Besuch am 2. Juni 1967.

    Genau. Diese Taktik lautete: »Nehmen wir die Demonstranten als Leberwurst, dann müssen wir in die Mitte hineinstechen, damit sie an den Enden auseinanderplatzt.« Genauso lief das hier, was zu lebensgefährlichen Situationen führte. Menschen sind in Panik die Flutmauer, die die Hafenstraße begrenzt, hochgeklettert, sind oben auf der Mauer zusammengequetscht worden, gerieten in Gefahr, zweieinhalb Meter in die Tiefe zu stürzen. Das war ein Ausbruch von Polizeigewalt und Hass gegen die Demonstranten. Polizisten haben Leute angeschrieen: »Jetzt kriegt ihr es!« Es ist flächendeckend Pfefferspray eingesetzt worden, da lag eine richtige Wolke über der Straße. Leute sind fast von Polizeifahrzeugen überfahren worden.

    Muss das nicht zu Rücktritten führen?

    Wir sind nicht die, die Rücktritte fordern. Aber natürlich steht sowohl Hamburgs Polizeiführung als auch die Politik jetzt unter Druck.

    Die Wut ist durch das Vorgehen der Polizei erst explodiert und hat sich quasi über die Stadt verteilt. Das ist doch völlig idiotisch.

    Das ist wie in einem Bierzelt oder einem Fußballstadion. Man geht auch nicht mit der ganzen Truppe in eine Fankurve im Stadion – aber das ist bei der Hamburger Polizei offenbar noch nicht angekommen.

  • · Interviews

    »Die Stimmung war geradezu hippiesk«

    Erst spielten »Die Goldenen Zitronen« vor der »Welcome to Hell«-Demonstration, später legte der Gitarrist das »Solidaritätslied« auf. Gespräch mit Ted Gaier
    Johannes Supe
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    »Offenbar gibt’s mittlerweile einen Konsens, dass der G-20-Gipfel scheiße ist«: Ted Gaier (l.) beim Konzert der Goldenen Zitronen vor der »Welcome to Hell«-Demo am Donnerstag in Hamburg

    Im Vorfeld der »Welcome to Hell«-Demonstration gegen den G-20-Gipfel am Donnerstag ist Ihre Band »Die Goldenen Zitronen« auf dem Hamburger Fischmarkt aufgetreten. Können Sie …

    Hast du mich gerade gesiezt?

    Gut, machen wir das hier anders. Habt ihr während des Auftritts schon geahnt, dass es bald knallen wird?

    Wir haben gegen 16 Uhr gespielt, also drei Stunden, bevor die Demo loslief. Das hatte mehr den Charakter einer Kulturveranstaltung, es wurde auch erst langsam voll. Und verglichen mit der Stimmung, die ich rund um den G-8-Gipfel in Heiligendamm erlebt habe, ging es hier extrem hippiesk zu. Es wird ja die ganze Zeit von 8.000 Gewaltbereiten gesprochen, die es in Hamburg geben soll. Keine Ahnung, wo die sein sollen, auf dem Fischmarkt waren die jedenfalls nicht.

    Na, vielleicht sind die erst ein paar Stunden später gekommen, als die Demo loslief.

    Ich stand in der Demo nicht vorn, viel habe ich also auch erst später auf Videos gesehn. Die Bullen haben ja von tausend Vermummten gesprochen. Die hab’ ich so nicht gesehen. Von da, wo ich in der Demo stand, war die ganze Situation nicht durchschaubar. Man bekam nur mit, dass alle nach wenigen Metern schon wieder standen; von vorne wurde geschrien: »Haut ab!« Jedenfalls wurden die Leute dann eingekesselt, es gab Scharmützel, Menschen sind von der Straße auf die höhergelegene Promenade geklettert. Ich bin dann irgendwann weggegangen.

    Und das war’s für dich an dem Tag?

    Ich wohne auf der Reeperbahn. Da sind später noch verschiedene Demos langgekommen. 1.500 Leute wurden in meiner Nähe von den Bullen gestoppt. Ich habe dann Boxen in die Fenster gestellt und aufgelegt, zum Beispiel das »Solidaritätslied« von Hanns Eisler. Das kam gut an. Es gab auch nicht diese typische Aggrostimmung, die sonst oft nach einer Eskalation besteht. Die Stimmung passte eher zu einem lauen Sommerabend. Die Leute, die Bock auf was andres hatten, sind eher einzeln losgezogen. Von meiner Wohnung aus konnte ich am Abend noch Rauchschwaden über der Stadtsilhouette aufsteigen sehen.

    Irgendwie hätte ich von den Linken in Hamburg was andres erwartet. Was war da los? War die Übermacht des Staats so groß?

    Ich find’s ganz o. k. so. Vorgestern gab es ja eine Ravedemo, die ziemlich geil war. Extrem gute Musik, geile Tonkollagen, super Stimmung, junge Leute. Da hatte ich nicht das Gefühl, dass sie irgendwie »lau« war. Es muss ja nicht immer Sachschaden geben. Ist auch gut, dass bei der »Welcome to Hell«-Demo der Gewaltfetisch eben nicht kollektiv ausgelebt wurde. Sonst hätte es jetzt schon eine Stimmung à la »verbrannte Erde« gegeben. Dabei hatte der Gipfel da ja noch gar nicht richtig angefangen.

    Wenn einzelne vereinzelt Autos abfackeln, dann werden dabei immerhin nicht Leute mit reingezogen, die darauf keinen Bock haben. Die werden nämlich sonst quasi als sicheres Hinterland in einem Protestzug verwendet, und zwar von denen, die so einen altmodischen Militanzgestus der 80er Jahre nachleben wollen.

    »Altmodischer Militanzgestus«, ja ja. Aber dann das »Solidaritätslied« von 1930 spielen.

    Das hatte damit zu tun, dass das eine Musik ist, die sehr gut durchkommt. Dubbässe hätte meine Anlage nicht so laut spielen können, dass man sie draußen richtig hört. Hat dann aber Spaß gemacht. Ich hab’ es natürlich gemischt, am Ende gab’s die ganze Bandbreite rebellischer Musik der vergangenen 80 Jahre. War auch interessant zu sehen, dass sogar 20jährige eine sentimentale Bindung ans »Solidaritätslied« haben und mitsingen.

    Was denkst Du eigentlich über den Auftritt von Grönemeyer und Freunden beim »Global-Citizen-Festival«?

    Das konnte ich kaum fassen. Ich wusste von der Veranstaltung nichts, habe dann aber abends das Ende davon im Fernsehn geschaut. Das war ja unglaublich scheiße. Gerade der Grönemeyer – wirklich unterirdisch.

    Aber was sich da gezeigt hat und was ich echt bemerkenswert finde: Offenbar gibt’s mittlerweile einen Konsens, dass der G-20-Gipfel scheiße ist. Ich habe in Hamburg noch überhaupt niemanden getroffen, der gesagt hat: »Sollen die Leute sich doch treffen.« Also nicht mal der Bäcker um die Ecke oder so sagt das. Dass diese Haltung so sehr im Mainstream ankommt, habe ich noch nicht erlebt.

  • · Interviews

    »Repression schweißt die Szene zusammen«

    In Hamburg stürmten Sondereinheiten Wohnungen von Aktivisten gegen den G-20-Gipfel. Ein Gespräch mit Deniz Ergün
    Kristian Stemmler
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    Die Polizei hat eine »Gefangenensammelstelle« eingerichtet

    Am Donnerstag morgen haben Spezialeinheiten der Hamburger Polizei unter anderem Ihre Wohnung gestürmt. Wie ist das abgelaufen?

    Gegen halb sieben habe ich Geräusche gehört, dann wurde die Tür eingetreten.

    Man hielt es nicht für nötig, zu klopfen oder zu klingeln?

    Nee. Ich brauch’ jetzt ’ne neue Tür. Da ist ein Riesenstück herausgebrochen, der Türrahmen ist kaputt. Sie sind in die Wohnung rein, mit gezogenen Maschinenpistolen, haben mich aus dem Bett gezogen und direkt auf den Boden gedrückt.

    Wie viele Beamte waren in der Wohnung?

    Vielleicht zehn. Alle waren in voller Kampfmontur, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Ich wurde mit dem Bauch auf den Fußboden gedrückt, meine Arme wurden auf den Rücken gedreht, mir wurden Handfesseln angelegt.

    Und dann?

    Ich habe ein paar Minuten auf dem Boden gelegen, dann durfte ich mich aufs Bett legen und ein Beamter vom Landeskriminalamt meinte, ob ich friedlich sei. Ich hab’ ihm gesagt: Was soll das denn? Sie überfallen mich hier und fragen mich, ob ich friedlich bin.

    Es gab noch weitere Durchsuchungen?

    Ja. Parallel wurden auch die Wohnung eines Genossen und die Vereinsräumlichkeiten des »Roten Aufbaus« in Eimsbüttel durchsucht. Die sind krass geschützt, weil das ein Keller ist mit Brandschutztüren. Die Polizei hat dort fünf Türen gewaltsam geöffnet. Da ist ein Sachschaden von mehreren tausend Euro angerichtet worden. Die Polizei hatte übrigens die Springer-Presse mit dabei.

    Was hat die Polizei mitgenommen?

    Computer, Datenträger, alles Handschriftliche, dann haben sie ein paar Böller gefunden und eine Zwille.

    Das waren ja Aktionen, wie man sie von Festnahmen im Bereich »Organisierte Kriminalität« kennt. Der Vorwurf, der hinter der Razzia stand, Sie hätten in einem Interview in der Tageszeitung Gewalt gebilligt, deckt das Vorgehen wohl kaum.

    Natürlich nicht. Das ist nur ein Vorwand gewesen. Das Interview ist ein halbes Jahr her, sie haben bis kurz vor dem G-20-Gipfel gewartet, um uns einzuschüchtern. Der Protest soll kriminalisiert werden. Das ist doch abartig: Innensenator »Andy« Grote spricht von einem »Festival der Demokratie«, während die Stadt im Blaulicht versinkt.

    Sie und Ihr Genosse sollen unter Pseudonymen der Taz ein am 2. Dezember 2016 erschienenes Interview gegeben und darin zu einer Brandattacke auf die Messehallen geäußert haben: »Das ist auch ein legitimer Widerstand« und »Da sind ein paar Glasscheiben zu Bruch gegangen, und ein bisschen Ruß ist da. Man versteht die Leute, die Wut auf diesen Staat haben.« Die Staatsanwaltschaft sieht darin die »Billigung einer Straftat«.

    Erst mal müssten Polizei und Staatsanwaltschaft erklären, wie sie darauf kommen, dass wir die Interviewten waren. Und ob das eine Billigung von Straftaten ist oder von der Meinungsfreiheit gedeckt, darüber kann man streiten. Wir gehen davon aus, dass der Vorwurf fallengelassen wird.

    Sie werden von den Behörden und der Lokalpresse immer wieder namentlich genannt, wenn von gewaltbereiten Linken die Rede ist.

    Ja. Im Hamburger Verfassungsschutzbericht, der vor kurzem präsentiert wurde, werde ich namentlich erwähnt. Und Grote hat die Medien bei einer Pressekonferenz vor mir gewarnt. Im Internet stellt der Verfassungsschutz mich aktuell erneut an den Pranger.

    Will man Sie mit der Stigmatisierung in der linken Szene isolieren?

    Glaube ich nicht. Repression schweißt die Szene eher zusammen. Erfolg könnte die Strategie bei bürgerlichen Partnern wie ATTAC haben.

  • · Interviews

    »Leute werden wegen G-20-Gipfel vertrieben«

    Stadt Hamburg will während des Ereignisses das Campen ­unterbinden. Das wird gerade Obdachlose treffen. Ein Gespräch mit Stefan Karrenbauer
    Kristian Stemmler
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    Obdachlose schlafen auf der Reeperbahn in Hamburg (9. Januar 2014)

    Wenn vom G-20-Gipfel am 7. und 8. Juli in Hamburg die Rede ist, werden meist der Protest dagegen, die Repression oder die Einschränkungen für den Normalbürger thematisiert. Aber eine Gruppe der Bevölkerung dürfte ganz besonders unter dem Gipfel leiden: die Obdachlosen der Stadt.

    Ja. Die meisten Hamburger erleben vielleicht ein paar Behinderungen auf der Fahrt zur Arbeit oder zurück, aber die sind dann irgendwann zu Hause. Wohnungslose jedoch sind der belastenden Situation durch den Gipfel permanent ausgesetzt. Viele müssen ihre Plätze vermutlich von jetzt auf gleich räumen. Und hinzu kommt: Keiner weiß, wo Demonstrationen und Aktionen genau stattfinden. Die Wohnungslosen könnten also plötzlich mittendrin sein.

    Das Oberverwaltungsgericht Hamburg hat am Freitag das Verbot des Camps für Gipfelgegner im Stadtpark bestätigt. Das dürfte auch Obdachlose treffen und ihre Lage weiter verschlechtern.

    Kann man wohl sagen. Generell hat die Stadt quasi ein Campingverbot für ganz Hamburg verhängt. Das betrifft natürlich auch die Obdachlosen. Wer soll denn bitte schön die Unterscheidung vornehmen: Das hier ist ein Wohnungsloser, und das da ist ein Gipfelgegner, der angereist ist und auf der Straße jetzt wild zeltet? Also ich traue mir das nicht zu, so etwas zu entscheiden. Unter den Beamten sind ja auch viele aus anderen Bundesländern, die mit den örtlichen Gegebenheiten nicht vertraut sind.

    Gab es schon erste Vertreibungen?

    Vor einigen Wochen ist eine Platte, also ein Übernachtungsplatz, unter einer Brücke in der Nähe des Luxushotels Steigenberger geräumt worden. Die Behörden können mir erzählen, was sie wollen. Ich gehe davon aus, dass das mit dem Ereignis zusammenhängt, dass die Leute wegen des Gipfels vertrieben werden. Man wird sicher auch an anderen Orten, die als Rückzugsort genutzt werden, so vorgehen.

    Wie viele Obdachlose sind betroffen?

    Erst gingen wir davon aus, dass zwischen 200 und 300 sein werden, die in der Innenstadt übernachten. Mittlerweile sehe ich das Problem als viel größer an. Denn wenn es generelle Verbote gibt, sind alle betroffen. Es wird sicher einige geben, die bei Bekannten Unterkunft finden können. Aber man kann inzwischen davon ausgehen, dass der Bedarf an zusätzlichen von der Stadt organisierten Übernachtungsplätzen zum Gipfel eine Dimension wie beim Winternotprogramm hat. Etwa 1.000 Personen mehr werden eine Unterkunft suchen.

    Sorgt der bevorstehende Gipfel für Unruhe bei den Menschen ohne Bleibe?

    Eben nicht. Wohnungslose leben von heute auf morgen und haben genug andere Probleme. Und ich glaube, die können gar nicht einschätzen, was auf sie zukommt. Was es bedeutet, von jetzt auf gleich seinen Übernachtungsplatz mit allem Gepäck räumen zu müssen. Oder ohne ihre Sachen, und wenn sie zurückkommen, sind sie nicht mehr da.

    Hinz & Kunzt hat in den vergangenen Wochen Gespräche mit der Polizei und der Sozialbehörde geführt und vorgeschlagen, Ausweichplätze für die Obdachlosen zu suchen. Das ist abgelehnt worden. Woher kommt diese Ignoranz?

    Darauf habe ich keine Antwort, ich kann es nicht verstehen. Uns wurde lediglich gesagt: Die Leute können alle in der Stadt bleiben, auch unter den Brücken. Zwei Tage später hieß es dann auf einmal: Wir haben uns vertan, die Brücken müssen doch geräumt werden. Warum hat man nicht gesagt, ja, wir brauchen Plätze für diese Gruppe, und zwar frühzeitig, dass es sich auf der Straße herumspricht und möglichst viele Obdachlose die Ausweichplätze in Anspruch nehmen? Wir haben ja auch viele psychisch Kranke in der Szene, an die auch Sozialarbeiter kaum noch herankommen. Die sehe ich als besonders gefährdet an, weil es sich kaum einschätzen lässt, wie das ständige Sirenengeheul, das Geknatter der Hubschrauber auf sie wirkt.

    Ihr Magazin hat aufgedeckt, dass die Stadt mindestens 895 Wohncontainer eingelagert hat. Würden die genutzt, könnte man auf einen Schlag Hunderte Obdachlose unterbringen.

    Das macht einen sprachlos und wütend. Wir haben mit sehr vielen Hamburgern in den letzten Tagen geredet. Niemand kann nachvollziehen, warum diese Container eingelagert werden und nicht dauerhaft für Wohnungslose genutzt werden.

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    »Von Anfang bis Ende durchziehen«

    Hamburg: Autonome wollen vor G-20-Gipfel »entschlossene, laute, bunte, aber auch schwarze Demonstration«. Ein Gespräch mit Andreas Beuth
    Claudia Wangerin
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    In Massenmedien steht das Thema Gewalt im Vordergrund, wenn es um Ihre Demo am Vorabend des G-20-Gipfels in Hamburg unter dem Motto »Welcome to Hell« geht. Was steht für Sie im Vordergrund, was wäre für Sie an diesem Tag ein Erfolgserlebnis?

    Die Vermittlung der politischen Inhalte. Über Transparente und Parolen sowie das entsprechende Outfit wollen wir die absolute Gegnerschaft zu den G-20-Staaten und zum Kapitalismus ausdrücken. Dieses System gehört abgeschafft; und der Zusammenschluss G 20 als Institution des Kapitalismus ebenfalls. Das werden wir vermitteln. Und wir wollen eine geschlossene, entschlossene, laute, bunte, aber auch schwarze Demonstration. Wir wollen geschlossen losgehen und geschlossen ankommen. Das ist das Ziel. Und wir werden uns medial dagegen zur Wehr setzen, dass dies jetzt schon von der Polizei zur Krawall- und Gewaltdemo stilisiert wird. Dass danach oder an den darauffolgenden Tagen militante Aktionen stattfinden, lässt sich nicht ausschließen, ist aber nicht das Ziel dieser Demonstration.

    »Schwarz und bunt« ist ein sehr weitgefasster Dresscode. Was steht in diesem Fall konkret dahinter?

    Es wird sicherlich einen autonomen antikapitalistischen Block an der Spitze geben, der überwiegend schwarz gekleidet sein wird, schätzungsweise etwa 5.000 Leute. Wir gehen aber davon aus, dass noch 10.000 mehr kommen. Teile der Interventionistischen Linken, Aktivisten der Bündnisse »Recht auf Stadt« und »Ums Ganze« sowie ein queerfeministischer Block sind dabei, zum Teil mit eigenen Lautsprecherwagen.

    Anders als die Demonstration des Bündnisses »Grenzenlose Solidarität statt G 20«, findet Ihre schon am Tag vor dem Gipfeltreffen statt. Ist das nicht eine Einladung an die Polizei, potentielle Störenfriede schon vorher einzusammeln?

    Wir laden die Polizei nicht dazu ein. Ob sie das versuchen wird, ist eine andere Frage. Wir haben unseren Termin aber ganz bewusst auf den Vorabend des Gipfels gelegt, um politisch deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass wir dieses Treffen nicht wollen – dass es gar nicht erst stattfinden soll. Wie realistisch das ist, steht auf einem anderen Blatt, aber das ist unsere Aussage.

    Ein Mitorganisator der »Welcome to Hell«-Demo sagte kürzlich der Taz, er wisse nicht, was Teilnehmer von außerhalb planen: »Autonom heißt ja auch, dass die Leute ihre eigenen Dinger durchziehen.« Bedeutet das im Klartext, dass Einzelpersonen, die keiner kennt, über die Eskalationsstufe entscheiden?

    Das kann niemand zu 100 Prozent ausschließen. Aber wenn wir sagen: Wir wollen gemeinsam losgehen und gemeinsam ankommen, verstehen die Leute schon, wie das gemeint ist: Es soll nicht gleich eine Straßenschlacht mit der Polizei angefangen werden. Während des gesamten Verlaufs der Demonstration nicht. Wir wollen sie von Anfang bis Ende durchziehen. Das vermitteln wir auch auf allen Veranstaltungen, sei es in Hamburg oder in anderen Städten. Wir gehen davon aus, dass die Anwesenden das auch in ihre Kreise weitertragen.

    Glaubwürdigen Berichten zufolge wurden bei den Protesten gegen den G-8-Gipfel 2001 in Genua Provokateure eingesetzt, die gar nicht zu diesen Kreisen gehörten. Müsste nicht auch klar kommuniziert werden, welche Aktionsformen tabu sind, zum Beispiel dass keine Menschen verletzt werden sollen?

    Das kommunizieren wir mündlich bei solchen Veranstaltungen. Autonome werden aber keine allgemeine Gewaltverzichtserklärung abgeben. Gewalt geht von den bestehenden kapitalistischen Verhältnissen aus. Wir leisten Widerstand, rufen aber nicht zu militanten Aktionen aus dieser Demonstration heraus auf. Und das versteht auch jeder.

    Es gibt auch einen Militanzbegriff, der organisierten zivilen Ungehorsam meint, aber nicht zwingend Gewalt. Bei Protesten gegen Atommülltransporte in Deutschland gab es auch Sabotage, der Aktionskonsens schloss aber Gewalt gegen Personen aus.

    Wie gesagt, wir rufen zu keiner militanten Aktion aus unserer Demonstration heraus auf. Wenn sie trotzdem von der Polizei angegriffen wird – ähnlich wie die vor der »Roten Flora« 2013 – werden sich die Leute natürlich zur Wehr setzen.

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    »Wir verteidigen die Versammlungsfreiheit«

    Rote Hilfe organisiert Unterstützung für G-20-Gegner, die Opfer von Repression werden. Gespräch mit Henning von Stoltzenberg
    Markus Bernhardt
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    Fußballfans des FC St. Pauli protestieren gegen G20 (28. April)

    Am 7. und 8. Juli findet der G-20-Gipfel in Hamburg statt. Tausende Polizisten sollen die Herrschenden dann vor Protesten schützen. Wie aber steht es um die Sicherheit der Demonstranten?

    Schlecht. Auch das gesetzlich verbriefte Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wird angegriffen. Die Polizei hat für die Zeit um die Gipfeltage ein Demonstrationsverbot erlassen, welches eine Fläche von mehr als 30 Quadratkilometern erfasst. So sollen Proteste in der Hamburger Innenstadt unmöglich gemacht werden. Die Versammlungsfreiheit wird faktisch außer Kraft gesetzt. Dabei sollte es das gute Recht potentieller Demonstranten sein, die Herrschenden in Hör- und Sichtweite mit der Kritik an ihrer Politik und an deren Auswirkungen für die Menschen zu konfrontieren.

    Mehr als 20.000 Polizisten sollen in der Hansestadt aufgefahren werden, um die Politiker vor Protesten abzuschirmen.

    Ich fürchte, dass noch deutlich mehr Polizisten im Einsatz sein werden. Schließlich werden in Hamburg nicht nur deutsche Beamte, darunter auch die Spezialeinheit GSG 9, eingesetzt werden. Auch aus dem Ausland werden Beamte erwartet. Schon seit geraumer Zeit setzen die politisch Verantwortlichen und die Polizei auf eine Eskalations- und Abschreckungsstrategie.

    Was genau meinen Sie damit?

    Das martialische Polizeiaufgebot ist geeignet, abschreckend auf potentielle Demonstranten zu wirken, die gegen die Politik der G 20 auf die Straße gehen wollen. Das polizeistaatsähnliches Aufgebot in der Hansestadt wird ein Ausmaß haben, das in der Bundesrepublik seinesgleichen suchen dürfte. So wird eine Fülle an Wasserwerfern, Räumpanzern und anderem schweren Gerät im Einsatz sein. Von den polizeilichen Reiter- und Hundestaffeln einmal ganz zu schweigen. Der Hamburger Innensenatoren Andy Grote, SPD, hat davor gewarnt, dass Personenschützer des US-Präsidenten Donald Trump unter Umständen zur Schusswaffe greifen könnten, sollte es zu Blockaden der Limousine Trumps kommen. Auch diese Aussage bleibt sicherlich nicht ohne Wirkung.

    Gehen Sie davon aus, dass diese Abschreckungsstrategie der Polizei erfolgreich sein wird?

    Nein. Die Mehrheit der Menschen, die in Hamburg demonstrieren wollen, lassen sich von den Drohgebärden nicht beeindrucken. Das undemokratische Vorgehen der Beamten und der politisch Verantwortlichen ist eher geeignet, die unterschiedlichen Spektren der G-20-Kritiker zusammenzuschweißen. Gemeinsam mit Dutzenden Organisationen, linken Parteien, Gewerkschaftern, Globalisierungsgegnern und Bürgerrechtlern, werden wir in Hamburg gegen Krieg, Imperialismus und Ausgrenzung auf die Straße gehen. Wir stehen ein für die Verteidigung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, für soziale Gerechtigkeit und internationale Solidarität. Komme, was wolle.

    Die Rote Hilfe hat ein Sonderkonto eingerichtet, um Menschen, die von staatlicher Repression betroffen sind, zu unterstützen. Was wollen Sie darüber hinaus erreichen?

    Aufgabe der Roten Hilfe als strömungsübergreifender Organisation ist es, die Solidarität für G-20-Gegnerinnen und -gegner zu organisieren, die beispielsweise Opfer von Festnahmen werden. Wir wollen schon vor Beginn der Proteste klarmachen, dass niemand mit möglichen Folgen seiner Teilnahme an den Protesten allein gelassen wird. Wir werden den Verlauf der Proteste in Hamburg genauestens verfolgen und die zu befürchtenden Übergriffe der Polizei zu dokumentieren versuchen.

    Gibt es auch anderen Organisationen, die der Polizei beim G-20-Gipfel auf die Finger schauen werden?

    Ja, und das ist auch dringend erforderlich. Verschiedene Bürgerrechtsorganisationen, wie etwa das Komitee für Grundrechte und Demokratie, werden in Hamburg Demonstrationsbeobachtungen durchführen. Auch Abgeordnete der Linksfraktion in der Hamburgische Bürgerschaft und aus dem Bundestag werden als »Parlamentarische Beobachter« zugegen sein und das Agieren der Polizei beobachten.

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    »Wir schauen der Polizei auf die Finger«

    G-20-Gipfel: Anwältinnen und Anwälte schließen sich zusammen, um die Rechte von Protestierenden zu schützen. Gespräch mit Alexandra Wichmann
    Kristian Stemmler
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    Die ehemalige Flüchtlingsunterkunft Schlachthofstraße wurde mit NATO-Stacheldraht versehen. Während des G20-Gipfels soll sie als zentrale Gefangenenstelle dienen

    Bald beginnen die Proteste gegen den am 7. und 8. Juli in Hamburg stattfindenden G-20-Gipfel. Sie gehören zu den Organisatoren eines extra zu diesem Ereignis gegründeten Anwaltsnotdienstes. Was soll der Zusammenschluss erreichen?

    Bundesweit haben sich Anwältinnen und Anwälten zusammengetan. Wir haben das Ziel, die verschiedenen Proteste gegen den Gipfel solidarisch zu begleiten. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass die Polizei bei solchen Ereignissen immer wieder versammlungsrechtliche Mindeststandards missachtet. Das betrifft zum Beispiel die Einkesselung von Protestierenden oder Ingewahrsamnahmen, die mit einer angeblichen Gefahrenabwehr begründet werden. Zudem rechnen wir auch mit strafrechtlichen Sanktionen gegen Protestierende. Auch dabei werden wir Beschuldigten rechtlich beistehen.

    Die Bundesregierung hat die im Schengen-Raum abgeschafften Grenzkontrollen zum Gipfel wieder eingeführt, um Aktivisten an der Anreise zu hindern. Ist absehbar, welche Verschärfungen noch geplant sind?

    Ehrlich gestanden, ist das Maß schon jetzt voll. Ich hoffe, dass die Öffentlichkeit die Versuche durchschaut, die legitimen Proteste unzulässig zu behindern. Angeblich sollen Anreisende gewalttätig sein, Protest-Campende sollen gewalttätig sein, Demonstrierende ebenso. Protest gegen den G-20-Gipfel und auch Gegnerschaft zu ihm sind der Ausdruck einer lebendigen zivilgesellschaftlichen Streitkultur. Als solche müssen sie zugelassen werden. Es drängt sich aber der Eindruck auf, dass die politisch und polizeilich Verantwortlichen dieser Aufgabe in keiner Weise gewachsen sind. Das könnte auch darauf hindeuten, dass die Liste der Zumutungen noch wachsen wird.

    Grenzt das Agieren der Polizei bereits an Rechtsbeugung?

    Als Juristin bin ich mit dem Begriff der Rechtsbeugung zurückhaltend. Ich würde das eher als Ignoranz und Geringschätzung von Grundrechten ansehen und befürchte zahlreiche rechtswidrige Maßnahmen.

    In der Nähe des Harburger Bahnhofs wurde ein Sammelknast mit rund 400 Plätzen errichtet. Die Linksfraktion kritisiert, dass die Unterbringung von fünf Häftlingen auf neun Quadratmetern und die sanitären Verhältnisse »menschenunwürdig« sind.

    Die Zellen sind fensterlos, außerdem ist im Juli mit hohen Temperaturen zu rechnen. Diese Unterbringung ist nicht nur menschenunwürdig, sie ist rechtswidrig und ein Skandal sondergleichen! Sogar für Hunde ist ein Zwinger mit einer Mindestgröße von sechs Quadratmetern in der Tierschutz-Hundeverordnung vorgeschrieben. Mehr muss man dazu nicht sagen.

    Hamburgs Polizeiführung gilt nicht gerade als Meister der Deeskalation, der »Hamburger Kessel« vor 30 Jahren ist da ein berühmt-berüchtigtes Beispiel. 1986 waren von den Beamten mehr als 800 Personen bis zu 13 Stunden lang festgehalten worden. Ist ähnliches wieder zu befürchten?

    Die Hamburger Polizei ist in der Vergangenheit immer auch als politischer Akteur aufgetreten und hat eine eigene Agenda verfolgt, die sich als Durchsetzung von »Law and Order« beschreiben lässt. Das wird man auch während des G-20-Gipfels erwarten können. Als Anwältinnen und Anwälte werden wir der Polizei auf die Finger schauen.

    Seit Wochen kreist die Diskussion um mögliche Krawalle. Wie wirkt sich diese Atmosphäre Ihrer Meinung nach auf das Vorgehen der Behörden aus?

    Gerade nachdem kürzlich ein umfassendes Versammlungsverbot in Form der Allgemeinverfügung für die Gipfeltage veröffentlicht wurde, habe ich jede Hoffnung auf ein rechtsstaatliches Vorgehen verloren. Versammlungen werden nur als Störungen der Staatsveranstaltungen wahrgenommen. Diese Sicht verkennt die grundrechtliche Bedeutung von Demonstrationen. Die Polizei verbietet Versammlungen angeblich aus der Angst heraus, dass auswärtige Sicherheitsdienste Versammlungsteilnehmer im schlimmsten Fall erschießen könnten, wenn diese die Wege der Regierungschefs blockieren. Die Argumentation erscheint mir absurd. Warum sind Polizei und Staat nicht in der Lage, dafür Sorge zu tragen, dass auch die auswärtigen Sicherheitsdienste sich an die hier geltende Rechtsordnung halten? Das Verwaltungsgericht ist nun gefragt, im Sinne der Grundrechte zu entscheiden.

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    »Wir machen die rote Zone bunt«

    Protest gegen G 20 in Hamburg stärkt die internationale Linke. Ein Gespräch mit Jana Schneider
    Kristian Stemmler
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    Polizisten am 1. Mai vor dem Kulturzentrum Rote Flora in Hamburg

    »Colour the red zone« unter diesem Motto wollen Sie am 7. Juli mit Blockaden rund um Hamburgs Messehallen, Hauptveranstaltungsort des G 20-Gipfels, den Verlauf des Treffens stören. Was ist geplant?

    Unsere Aktion ist die der großen Masse zum Gipfelauftakt. Wir blockieren und stören den Gipfel mit unseren Körpern und Dingen des Alltags. Wir gehen an die abgeriegelte rote Zone und machen sie bunt. Wir haben gemeinsame Absprachen getroffen, an die wir uns halten. An dem Tag soll kein Bild der G 20 erscheinen, wo nicht ein Bild von uns danebensteht.

    Mit wie vielen teilnehmenden Aktivisten rechnen Sie?

    Es wird das Bewegungsereignis. Wir rechnen mit mehreren tausend Teilnehmern aus Deutschland und Europa. Es kommen Busse und Sonderzüge.

    Die Polizei ist auf Krawall gebürstet. Rund 20.000 Sicherheitskräfte sollten den Gipfel schützen, Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde ist ein Hardliner. Haben Sie da überhaupt eine Chance?

    Na klar! Unsere Stärke wird die Masse sein. Die Auswahl Duddes dient zur Abschreckung, aber wir kommen trotzdem. Von uns wird keine Eskalation ausgehen, aber nur weil da ein Wasserwerfer steht, wird uns das nicht am Weitergehen hindern.

    Sind Sie darauf vorbereitet, dass es zur Sache gehen könnte?

    Wir berufen uns auf das Recht auf Unversehrtheit und werden uns schützen. Im Vorfeld gibt’s überall Aktionstrainings. Dort wird Blockieren geübt und über rechtliche Grundlagen aufgeklärt.

    Nahe dem Bahnhof Harburg ist ein Sammelknast errichtet worden. Sind die Aktivisten darauf vorbereitet, dass sie da landen könnten?

    Ja, auch durch die Trainings. Aber wir werden eh so viele sein, dass sie uns nicht alle mitnehmen können. Falls doch, haben wir eine Zahnbürste dabei.

    Aktuell ist es zehn Jahre her, dass es gelang, mit Blockaden den G- 8-Gipfel in Heiligendamm zu stören. Knüpfen Sie da an?

    Ja. Heiligendamm hat zu einer Stärkung der internationalen Linken geführt, die wird es auch jetzt geben. Und es wird diesmal noch größer. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als dass es wird wie 2007 – dass wir uns das zurückerobern, was uns eh schon gehört, die Straßen Hamburgs.

    Was ist diesmal anders?

    Der große Unterschied wird der Unterschied zwischen Land und Stadt sein. In der Stadt können Straßen viel leichter abgeriegelt werden. Aber die Erfahrungen der Blockupy-Bewegung haben gezeigt, dass nicht alles abgeriegelt ist und wir Wege finden werden.

    Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) hat vor Blockaden der Kolonnen der Staatschefs gewarnt. Man könne sich in Lebensgefahr bringen, weil etwa Bodyguards schießen?

    »Verbote-Grote« zeigt hier, von wem die Gewalt ausgehen kann. Ich erwarte von ihm, dass so ein Szenario nicht ansatzweise zustande kommt. Und wenn er meint, dass das schwierig wird, kann es nur eine Antwort geben: Die G 20 ausladen!

    Probleme könnte es auch mit den Personenschützern des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan geben. In Washington haben die vor einigen Tagen türkische Regimegegner brutal attackiert. Gibt es da Ängste bei den Aktivisten?

    Kann sein. Grote kann die Gefahrenlage besser einschätzen als wir. Wenn sie real ist, muss er Erdogan ausladen. Wichtiger ist es, sich keine Angst machen zu lassen, sondern zu handeln. Unsere Devise ist: Hamburg – wir kommen mit Tausenden, entschlossen und mutig! Für eine solidarische Alternative, die in der ganzen Welt wahrnehmbar ist.

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    »G-20-Gipfel stellt eine starke Belastung dar«

    Hamburger Senat sagt nicht, wie hoch die Kosten für das Treffen sind. Gespräch mit Norbert Hackbusch
    Anselm Lenz
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    Sie wollen ermitteln, was der G-20-Gipfel der Stadt Hamburg wirklich an Geld und Ressourcen abverlangt. Am kommenden Donnerstag soll darüber in der Bürgerschaft diskutiert werden. Aber die Kosten für eine Konferenz müssten doch im Vorfeld für den Haushalt berechnet worden sein. Woher rührt also die Unklarheit?

    Die normale Vorgehensweise nach der Landeshaushaltsordnung wäre diese: Die Stadt sagt, dass sie ein Vorhaben plant, dann wird den Bürgern mitgeteilt, wie teuer es wird. So ist es zumindest vorgeschrieben. In diesem Fall ist dieser Weg nicht gewählt worden. So etwas Ähnliches haben wir schon bei der Olympia-Bewerbung Hamburgs erlebt.

    Ist davon auszugehen, dass das Treffen der Regierungschefs der G 20 ein ähnliches Fiasko für den Fiskus wird?

    Wir wissen nicht genau, warum der Gipfel gerade in Hamburg stattfinden soll. Irgend etwas ist zwischen dem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz, SPD, und der Bundeskanzlerin Angela Merkel besprochen worden. Die Stadt Hamburg hat bisher nur eine Zusage von der Bundesregierung, dass diese Kosten in Höhe von 50 Millionen Euro übernimmt. Wir gehen aber davon aus, dass die Belastungen um einiges höher ausfallen werden.

    Warum?

    Wir haben festgestellt, dass das Treffen der G 20 in Toronto weit über 400 Millionen Euro gekostet hat, von denen die Stadt Toronto 370 Millionen übernehmen musste. Da müssen wir aber nochmal genauer schauen, welche Kosten wie zusammengerechnet wurden. Wahrscheinlich lag der Gesamtbetrag noch höher. Über solche Fragen müssen die Bürger aber Bescheid wissen. Genau das werden wir in der Bürgerschaft am Donnerstag kommender Woche einfordern.

    Ist Ihnen bekannt, was allein der Posten für die Unterbringung der Gipfelteilnehmer ausmacht?

    Das wissen wir nicht so genau, denn wir haben keine Daten darüber, welche Ausgaben von den jeweiligen Staaten übernommen werden. Es besteht hier also keine Transparenz, wir können nur schätzen und uns an den Erfahrungen von Toronto orientieren. Die Sicherheitsausgaben muss Hamburg auf jeden Fall bezahlen. Wir wissen nicht, wie hoch die Kosten für den Polizeieinsatz werden. Außerdem wurden Sicherheitsunternehmen für bestimmte Aufgaben engagiert. Auch für diese Firmen müssen Beträge ausgegeben werden, über die wir nicht aufgeklärt werden.

    Was bedeutet das für den Hamburger Haushalt?

    All das stellt eine starke Belastung dar. Wenn wir als Partei auch nur die kleinsten Forderungen stellen, entgegnet uns der Senat immer: »Wo ist denn die Gegenfinanzierung dafür?« Jetzt sagt der Senat einfach, er wisse noch nicht genau, wie er den G-20-Gipfel bezahlen soll. Das ist doch eine Unverschämtheit. Bei solchen Großprojekten handelt die Stadt unverantwortlich, aber bei jedem kleinen sozialen Projekt sagt Rot-Grün, das wir uns das nicht mehr leisten könnten.

    Wir haben in den Bereichen der Stadtteilkultur, der Bürgerhäuser und Kommunikationszentren ein Defizit von mehreren Millionen Euro. Ein zweites Beispiel ist der Betreuungsschlüssel der Kindertagesstätten, also das Verhältnis von Erzieherinnen zu Kindern. Hier schneidet Hamburg im Vergleich zu anderen Bundesländern schlecht ab. Beides ließe sich in den kommenden zwei Jahren problemlos ändern, wenn die G 20 nicht nach Hamburg kämen.

    Zum Schluss bitte ich Sie um eine politische Einordnung. Gegen den G-20-Gipfel sind bereits Proteste angekündigt. Wie bewerten Sie das Zusammenkommen der Regierungschefs in Hamburg?

    Wir brauchen uns nur die verschiedenen Personen, die dort zusammenkommen, anzuschauen – vor allen will ich hier den türkischen Präsidenten Erdogan und den US-Präsidenten Trump nennen –, um zu sehen, welche Bedrohung sie für die Welt darstellen. Das ist schon alleine Grund genug zu demonstrieren. Außerdem wissen wir von früheren G-20-Treffen, dass es sich nicht um ein demokratisches Gremium handelt. Vielmehr dient es der Interessenvertretung der Mächtigen dieser Welt.

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    »Protest soll aus der Stadt gedrängt werden«

    Hamburg will Camps für G-20-Gegner verhindern. Bleibt es dabei, werden Plätze besetzt werden müssen. Ein Gespräch mit Deniz Ergün
    Kristian Stemmler
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    Die Polizei stellt sich Demonstrierenden in den Weg, die bei der Hamburger Messe gegen den G-20-Gipfel demonstrieren (8. April 2017)

    Zehntausende Aktivisten kommen Anfang Juli zum G-20-Gipfel nach Hamburg. Für sie sollen zwei große Camps aufgebaut werden, eines im Stadtpark, eines im Volkspark im Bezirk Altona. Ein Sprecher des Bezirksamts Hamburg-Nord hat am Dienstag in der Lokalpresse erklärt, der Stadtpark komme dafür nicht in Frage. Auch Hamburgs Innensenator Andy Grote, SPD, hat sich kürzlich im Innenausschuss der Bürgerschaft gegen die Camps ausgesprochen. Will die Stadt die Protestierenden loswerden?

    Ja, das ist seit Monaten erkennbar. Politik und Behörden wollen es der Protestbewegung so schwer wie möglich machen; der Senat ist weiter auf eine Konfrontation aus. Wenn sie die G20 nach Hamburg holen, dann müssen sie auch mit Protesten rechnen. Wir sollten wieder an den Verhandlungstisch, doch der Erste Bürgermeister Olaf Scholz verhält sich wie ein Sultan. Aber Hamburg ist nicht Ankara. Die Zehntausenden Menschen werden kommen, und wenn sie nicht in der ganzen Stadt wild campen sollen, müssen wir an einer Lösung des Problems arbeiten. Sonst wären wir gezwungen, wie die Occupy-Bewegung Plätze zu besetzen.

    Der Senat meint, die von auswärts anreisenden Aktivisten könnten sich private Unterkünfte suchen oder Jugendherbergen und Hostels nutzen. Was sagen Sie dazu?

    Ein absurder Vorschlag. Während der Protestwoche werden die Hotelpreise explodieren. Wie sollen da 15.000 bis 20.000 Menschen aus aller Welt ein Zimmer finden?

    Es soll ein antikapitalistisches Camp geben, darüber hinaus eines, das verschiedene politische Spektren ansprechen soll. Was planen Sie genau?

    Beide Camps arbeiten solidarisch zusammen und sind auf jeweils 10.000 Menschen ausgelegt. Im spektrenübergreifenden Camp soll die ganze Woche ein großes Kulturprogramm auf die Beine gestellt werden. Wir werden nach Hamburg mobilisieren, egal wie sich die Herren im Rathaus verhalten.

    Die Polizei meint, so ein Camp sei ein idealer Ort, um militante Aktionen zu planen.

    Für uns ist das Camp ein Ort des Zusammenkommens. Militante Aktionen werden wahrscheinlich klandestin vorbereitet und nicht öffentlich mit 10.000 Menschen. Solche Aussagen dienen nur dazu, den Protest aus der Stadt zu drängen.

    Werden Sie die Gerichte anrufen?

    Klar. Wenn nötig, werden wir rechtliche Schritte einleiten.

    Innensenator Grote hat im Innenausschuss erklärt, das Heiligengeistfeld werde für die Abschlusskundgebung der Großdemo am 8. Juli nicht freigegeben: Es liege zu nah an den Messehallen, Hauptveranstaltungsort des Gipfels.

    Die Herren der Welt wollen wohl unter sich bleiben, wenn sie sich in Hamburg treffen, aber da spielen wir nicht mit. Wir werden weder unsere Zelte außerhalb der Stadt aufschlagen noch zulassen, dass sie die Demo an den Rand der Stadt drängen.

    Grote hat auch verkündet, allein die Polizei habe über Sicherheitszonen und Versammlungsorte zu befinden.

    Es wird immer deutlicher, dass dieser Senat mit dem G-20-Gipfel vollkommen überfordert ist. Nun wird ständig von gewalttätigen Protesten gesprochen – ein Versuch, wieder Herr der Lage zu werden. Es ist aber nicht zu akzeptieren, dass eine ganze Stadt mehrere Wochen in Geiselhaft genommen werden soll für eine falsche politische Entscheidung.

    Damit spielen Sie auf die angedachten Sicherheitsvorkehrungen an: Sie reichen vom Sammelknast bis zur Einrichtung einer »blauen Zone«, in der nicht demonstriert werden darf. Die Stadt lässt offenbar keine Gelegenheit aus, die G- 20-Protestbewegung zu reizen. Wie wirkt sich das auf die Stimmung aus?

    Die Stadt versucht es ungewiss zu lassen, ob legaler Protest möglich sein wird. Dadurch soll unsere Mobilisierung torpediert werden. Mit Gewaltphantasien wollen sie ein Teil der Zivilgesellschaft von den Protesten abhalten. Deutlich wird nur, dass wir uns nicht auf diesen Senat bei der Durchsetzung des Versammlungsrechts verlassen können. Auch wenn wir nicht willkommen sind, werden wir im Juli Zehntausende Menschen sein und der Welt zeigen, dass es auch ein anderes Hamburg gibt.

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    »Die Bundeswehr ist nicht die Caritas«

    Hamburg: Bündnis »Bildung ohne Bundeswehr« will geplante G-20-Proteste inhaltlich unterfüttern. Ein Gespräch mit Alison Dorsch
    John Lütten
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    Unter dem Titel »Wir wollen eure Kriege nicht!« organisieren Sie mehrere Veranstaltungen, die im Vorfeld des G-20-Gipfels über Ursachen und Interessenlagen verschiedener internationaler Konflikte aufklären sollen. Worauf wollen Sie damit hinaus?

    Ein Großteil der Anti-G-20-Arbeit, die bereits angelaufen ist, ist unmittelbar aktionistisch ausgerichtet. Uns ist es aber wichtig, dass vorab auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den beteiligten Staaten stattfindet. Insbesondere die USA und die EU sind heute für Ausbeutung, Elend und Kriege im kapitalistischen Weltsystem verantwortlich. Die Linke hierzulande muss sich damit auseinandersetzen, warum und wie unsere herrschenden Klassen diese Konflikte forcieren und dadurch weite Teile des Globus verwüsten.

    Welche Relevanz besitzt der Gipfel Ihrer Meinung nach für die beteiligten Wirtschaftsmächte?

    Die G-20-Staaten stehen sich zwar vielfach in politischen und militärischen Auseinandersetzungen gegenüber. Dennoch haben sie gleichzeitig auch gemeinsame Interessen. Wenngleich in unterschiedlichem Maße, profitieren sie vom kapitalistischen Weltsystem. Treffen wie der G-20-Gipfel sind Strukturen, die es den Herrschenden ermöglichen, trotz interner Konkurrenzen und Widersprüche vorübergehend Kompromisse auszuhandeln und punktuell strategisch zusammenzuarbeiten.

    Ihre Reihe behandelt u. a. die Beziehungen des Westens zu den Golfmonarchien, den Ukraine-Konflikt und die »Afrika-Strategien der imperialistischen Mächte«. Alles Themen, denen auch die hiesige Linke eher wenig Beachtung schenkt.

    Wir wollen bewusst auf diese blinden Flecken aufmerksam machen. Wer »internationale Solidarität« wirklich hochhält, der muss eben auch über den Krieg im Jemen, die Beteiligung von bekennenden Faschisten an einer vom Westen gestützten ukrainischen Regierung und die Ambitionen der Bundesregierung in Afrika reden. Eine schlagkräftige Linke muss erklären können, wo die Ursachen für diese Krisen liegen. Nur so kann sie die beteiligten Akteure politisch beurteilen und wirksame Strategien des Protests und Widerstands entwickeln. Wir müssen die außenpolitische Staatsräson Deutschlands und die NATO zur Disposition stellen, wenn wir den Menschen auf der Welt ein Mindestmaß an Selbstbestimmung ermöglichen wollen.

    Fehlt Ihnen also ein antiimperialistischer Fokus bei den geplanten G-20-Protesten?

    Nicht nur dort. Es mangelt der deutschen Linken auch über die Anti-G-20-Proteste hinaus an klaren friedenspolitischen, antimilitaristischen und antiimperialistischen Positionen. Darum wird der Propaganda des »Menschenrechtsimperialismus« auch von Linken viel zu oft Glauben geschenkt. Imperialistische Kriege sind jedoch eine systemimmanente Notwendigkeit im globalen kapitalistischen Konkurrenzkampf und werden nicht für Frauen oder Demokratie geführt. Die Bundeswehr ist nicht die Caritas. Die internationalen Beziehungen sind ein globales Netz von ökonomischen Ausbeutungsketten. Es wäre Aufgabe der Linken, sich diese Erkenntnisse kritischer Gesellschaftstheorie anzueignen und aus ihr eine Praxis abzuleiten, die an den Kriegsursachen ansetzt.

    Sie selbst werden im Juli über die »Bundeswehr im Einsatz an der Heimatfront« referieren. Was erwarten Sie diesbezüglich vom G-20-Gipfel?

    Wir gehen davon aus, dass die Bundeswehr im Kontext der Proteste gegen den Gipfel eingesetzt wird. Kooperation von Polizei und Bundeswehr ist längst Alltag – zum Beispiel bei politischen Großereignissen wie dem G-8-Treffen in Heiligendamm 2007 oder dem OSZE-Gipfel in Hamburg vergangenes Jahr. Derzeit sind vor allem unter dem Stichwort »Terrorabwehr« Vorstöße zu beobachten, die bestehende Kooperation und den Einsatz der Armee im Inland auszubauen und sie ideologisch sowie juristisch besser abzusichern.

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    »Wir wollen nicht auf die grüne Wiese«

    Stadt Hamburg versucht mit fadenscheinigen Begründungen Demonstration gegen den G-20-Gipfel einzuschränken. Gespräch mit Jan van Aken
    Gitta Düperthal
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    »Für die Abschlusskundgebung ist eine große Breite geplant; Menschen, die einen Kinderwagen schieben, und Rollstuhlfahrer sollen teilnehmen können. Sollte es dort also zu Gewalt kommen, kann dies nur von seiten der Polizei sein.« – Jan van Aken, Die Linke

    Das Bündnis »Grenzenlose Solidarität statt G 20« befindet sich in Auseinandersetzungen um die Versammlungsfreiheit mit der Hamburger Wirtschaftsbehörde. Dabei geht es um die Abschlussdemo der Aktionswoche gegen den G-20-Gipfel am 8. Juli. Steht auf der Kippe, ob sie stattfinden kann?

    Nein, für unsere Abschlussdemo am Ende der Protestwoche mit unterschiedlichen vom Bündnis geplanten Aktionsformen halten wir an der Route fest: Unsere Demo am 8. Juli wird von der Moorweide bis zum Heiligengeistfeld führen.

    Aber die zuständige Hamburger Behörde will das verhindern.

    Aufgrund von Bauarbeiten stehe die Fläche des Heiligengeistfelds nicht zur Verfügung, heißt es. Sie war aber klug genug, dazu zu schreiben: Nur zwei Tage später wird dieser Platz für den Schlagermove in Hamburg vorbereitet. Insofern handelt es sich wohl eher um den Versuch, mit verwaltungsrechtlichen Tricks die Demo auszuhebeln.

    Auch der Behörde muss aber wohl bewusst sein, dass sie mit einer solchen Argumentation mutmaßlich nicht die besten Chancen hat, sich durchzusetzen, wenn dies als Streitfall vor Gericht geht, oder?

    Ich habe keine Ahnung, was den SPD-Grünen-Senat umtreibt, so ein blödes Spiel zu spielen. Es muss ihm doch klar sein, dass wir klagen werden, wenn wir die Fläche nicht kriegen.

    Was ist der aktuelle Stand?

    Zusätzlich zu besagter Absage für den Platz der Abschlusskundgebung hat uns die Polizei schon mitgeteilt: So wie wir die verschiedenen Demorouten von der Moorweide zum Heiligengeistfeld angemeldet haben, wird es nicht gehen. Darüber ist am 7. April ein Gespräch im Polizeipräsidium anberaumt. Wir werden uns zunächst anhören, was sie dazu sagt. Und gegebenenfalls in beiden Angelegenheiten gerichtlich dagegen vorgehen.

    Weshalb bestehen Sie auf dem Heiligengeistfeld als Ort der Kundgebung?

    Es ist einer der wenigen Plätze in der Nähe der Messe, wo 100.000 Leute Platz finden. Wir wissen zwar nicht, ob 50.000 oder 150.000 Aktivisten teilnehmen werden; müssen aber in jedem Fall für eine große Menge planen. In vielen Städten haben sich Bündnisse gebildet, die sich an Protesten gegen das G-20-Treffen beteiligen wollen. Wir wollen nicht auf die grüne Wiese vor der Stadt, sondern in die Nähe der Messehallen, wo der Gipfel stattfindet.

    Von Hamburg bis München, von Barcelona bis Athen, von Toronto bis Sydney bereiten sich Aktivisten vor: Die Woche vor dem Gipfel wird zum Schauplatz vielfältiger Gegenproteste. Welche Themen werden im Mittelpunkt stehen?

    Frieden, soziale Gerechtigkeit, Klimawandel. Wir als Partei Die Linke treten dabei vor allem für gerechten Welthandel und globale Gerechtigkeit ein sowie für eine Zukunft in Frieden. Andere werden vorrangig auf die Parole »Stoppt den Klimawandel« setzen. Viele Kurden werden teilnehmen, um eine dauerhafte friedliche Autonomielösung für die Kurden zu erreichen – und um gegen den beim Gipfel anwesenden türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu protestieren.

    Das Bündnis plant unter anderem, den reibungslosen Ablauf des G-20-Machtspektakels empfindlich zu stören.

    Das betrifft nicht die Demonstration am 8. Juli in Hamburg, sondern wahrscheinlich eher das Bündnis, das für den 7. Juli zu Blockaden aufgerufen hat. Für die Abschlusskundgebung ist eine große Breite geplant; Menschen, die einen Kinderwagen schieben, und Rollstuhlfahrer sollen teilnehmen können. Darüber sind wir uns alle im Bündnis einig, auch die linksradikalen Gruppen. Sollte es dort also zu Gewalt kommen, kann dies nur von seiten der Polizei sein. Am 2. Juli wird es eine große Auftaktaktion in Hamburg geben und unter der Woche eine Gegenkonferenz.

    Gibt es Streit, wie radikal Aktionen sein sollen?

    Nein, unterschiedliche Gruppen tragen verschiedene Aktionen mit; einige nur zwei oder drei davon, andere alle. Wir als Partei Die Linke rufen vor allem zur Demo am 8. Juli auf. Wir finden aber eine Vielfalt von Herangehensweisen gut und distanzieren uns nicht davon.

  • · Interviews

    »Widerstand entschlossen auf die Straße tragen«

    Am 7. und 8. Juli 2017 soll in Hamburg der G-20-Gipfel stattfinden. Das Bündnis »G 20 entern« ruft zu Protesten auf. Ein Gespräch mit Noah Kramer
    Dr. Seltsam

    So, liebe Freunde, ich darf euch präsentieren: einen Genossen vom Bündnis »G 20 entern«. Ihr wollt uns alle hier aufrufen, dass wir zu den Aktionen gegen G 20 nach Hamburg kommen. Informierst du uns kurz über die Basics?

    Vom 7. bis 8. Juli findet der Gipfel statt. Vom 2. Juli bis zum 9. Juli gibt es ein Protestcamp. Wir werden auch schon in den Tagen vor dem eigentlichen Gipfel beginnen, verschiedenen Profiteuren von Krieg und Neoliberalismus in Hamburg Besuche abzustatten und diese kenntlich machen. Darüber hinaus wird es am 11. Februar in Hamburg eine Aktionskonferenz geben. Da wollen wir inhaltlich diskutieren, in welchem Stadium sich der Kapitalismus befindet, was der Imperialismus gerade anrichtet. Dort wollen wir auch das praktische Rüstzeug vermitteln, das es braucht, damit wir im Juli unseren Widerstand entschlossen auf die Straße tragen können.

    Man darf also gespannt sein. Aber, man hat ja schon in den Nachrichten gesehen, dass das umfassend eingezäunt und abgesichert wird. Wird man überhaupt demonstrieren können?

    Wir können guten Gewissens alle Menschen nach Hamburg einladen, um sich an den vielfältigen Aktionen gegen den Gipfel zu beteiligen. Wir haben gerade mit dem OSZE-Treffen im vergangenen Dezember in Hamburg die Erfahrung gemacht, was es heißt, wenn weit über 10.000 Polizisten mit allem, was dazu gehört, also Wasserwerfern, gepanzerten Fahrzeugen und Hubschraubern, eine Stadt quasi besetzen. Gleichzeitig ist es für uns der Ansporn zu sagen, jetzt gehen wir erst recht dorthin. Jetzt gehen wir erst recht auf die Straße. Wenn sich die G 20 in Hamburg treffen wollen, dann wird das nicht ungestört ablaufen. Da sind wir ganz entschlossen.

    Wer Hamburg ein bisschen kennt, der weiß, es ist alles sehr kleinteilig. Das Treffen ist wahrscheinlich im Kongresszentrum am Bahnhof Dammtor. Das kann man doch gar nicht »abdichten«. Ich meine, da geht man links aus der S-Bahn raus, da ist man direkt dort. Dann ist das Schanzenviertel eine S-Bahn-Station weiter. Und das müsst ihr alles in eins kriegen, dass nun die Gegenkräfte sich nicht gegenseitig auf die Zehen treten.

    Ich glaube, Hamburg ist groß genug. Wir werden uns auch nicht von der Polizei vorschreiben lassen, wo wir zu demonstrieren haben, wo wir unseren Widerstand artikulieren. Wir sind da breit aufgestellt, auch der Hafen wird dieses Mal ins Visier genommen werden, um auch wirklich der Hamburger Wirtschaft einen empfindlichen Schlag zu versetzen. Wenn sie uns diesen Gipfel und ihre Besatzungsmacht aufzwingen werden, dann werden wir das so nicht hinnehmen. Und wir haben auch schon beim OSZE-Treffen im Dezember erlebt, dass die vielen Polizisten, die Scharfschützen, die Hubschrauber, die gepanzerten Fahrzeuge, dass die sicherlich auf den ersten Eindruck sehr massiv wirken und auch dazu dienen sollen, Leute einzuschüchtern. Aber genau das hat nicht geklappt.

  • · Interviews

    »Es wird von der berechtigten Kritik abgelenkt«

    Aktivisten gegen G-20-Gipfel 2017 in Hamburg werten Veranstaltungsort mitten in der Stadt als Provokation. Gespräch mit Martin Dolzer
    Kristian Stemmler
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    Für den 8. Juli 2017 ist eine Großdemo gegen den G-20-Gipfel in Hamburg angemeldet. Worum geht es dem Bündnis?

    Die G20 sind ein durch nichts demokratisch legitimierter Zusammenschluss von Regierenden, die sich anmaßen, Entscheidungen von weltpolitischem Ausmaß zu treffen. Diese Regierungen sind hauptverantwortlich für die Destabilisierung der Welt durch Krieg, asymetrische Handelsbeziehungen, Rüstungsproduktion und zunehmende soziale Ungleichheit. Bei den G-20-Treffen verhalten sie sich als »Weltregierung« und versuchen, Kompetenzen zu erschleichen, die – wenn überhaupt – den Vereinten Nationen zustehen würden.

    Und effektiv sind diese Gipfel wohl auch eher nicht.

    Ja. G-20-Gipfel werden immer kostspieliger, produzieren vor allem Publicity für die austragenden Regierungen sowie eine Menge wertloser Absprachen. Dagegen hat sich ein breites Bündnis formiert, das auch einen Gegengipfel durchführen wird, auf dem thematisiert wird, wie sich die Mehrheitsbevölkerung, eine friedliche und sozial gleiche Welt vorstellt. Ich bin mir sicher, dass eine Mehrheit der Hamburger, ähnlich wie gegen Olympia, auch gegen eine Austragung des G-20-Treffens ist.

    Hamburgs Justizbehörde schafft im Knast in Billwerder Kapazitäten für Festnahmen beim Gipfel, baut außerdem auf der Elbinsel Hahnöfersand dafür einen früheren Frauenknast um. Was läuft da?

    Diese Pläne sind zynisch. Der Senat steckt Geld in den Bau einer Kurzzeit-U-Haftanstalt, während Resozialisierung und Betreuungsintensität im benachbarten Jugendvollzug in Hahnöfersand heruntergefahren werden. Die Haftbedingungen werden zunehmend unerträglich. Justizbeamte klagen über Überlastung. Gebäude rotten vor sich hin. Das ist verfehlte Justizpolitik mit dem Fokus auf Repression. Eine kritische Auseinandersetzung mit den G20 soll so delegitimiert und kriminalisiert werden. Es ist zu befürchten, dass wie bei den Protesten gegen Castortransporte und die G8 in Heiligendamm rechts- und verfassungswidrig gegen berechtigten Protest vorgegangen werden soll.

    Die Welt munkelte im August von zum Gipfel anreisenden »militanten Linksextremisten aus Italien, Griechenland und Frankreich«, die »als deutlich gewaltbereiter als ihre deutschen Genossen« gelten. Wie militant können die Proteste werden?

    Durch eine Fixierung auf Militanz und Gewalt wird von der berechtigten Kritik an den G20 abgelenkt. Die Gipfel wurden lange Zeit bewusst nicht in Metropolen ausgetragen, um Eskalationen zu vermeiden. Seit einiger Zeit werden sie jedoch in Städten wie Toronto im Jahr 2010 durchgeführt. Der Etat für die Sicherheitsmaßnahmen dort betrug eine Milliarde Dollar. 20.000 Polizisten sperrten die Innenstadt komplett ab. Das war eine neue Stufe der Militarisierung.

    Droht das auch in Hamburg?

    Ein ähnliches Szenario wird mit der Absperrung ganzer Stadtteile und der Erprobung von »Aufstandsbekämpfung« mit unverhältnismäßigen Mitteln für Hamburg angedacht. Den Gipfel am Rande des Schanzenviertels, einem Hamburger Szenestadtteil, durchzuführen, ist eine absurde und auf Eskalation angelegte Machtdemonstration, die militante Proteste geradezu provoziert.

    Erfahrungen wie bei den Protesten gegen die EZB-Zentrale in Frankfurt am Main zeigen, dass Ausschreitungen vom Mainstream zur Propaganda gegen links und für einen Law-and-Order-Diskurs genutzt werden. Wie entgeht man dieser Falle?

    In Frankfurt wurde der Linken-Politiker Ulrich Wilken, Anmelder der Demonstration, diffamiert, weil er sich nicht ausreichend von Gewalt distanziert hätte. Ich finde wichtig, den Gesamtzusammenhang zu sehen. Es ist verständlich, dass besonders junge Menschen ohnmächtig oder auch wütend werden, wenn sie alltäglich mit Perspektivlosigkeit, Krieg, Angriffen auf ihre oder anderer Menschenwürde, der Zerstörung von solidarischen und kulturellen Räumen und der Arroganz der Herrschenden konfrontiert sind. Diese strukturelle Gewalt wird am stärksten von der Troika, der Bundesregierung oder auch den G20 repräsentiert, durch martialische Polizeiaufgebote und Einschränkungen der Versammlungsfreiheit die Ohnmacht verstärkt. Deshalb ist es wichtig, auf einem Gegengipfel Positionen zu diskutieren und Kritik auch auf der Straße zum Ausdruck zu bringen.