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Aus: Ausgabe vom 18.11.2025, Seite 3 / Feuilleton
»Queertactics« in Österreich

Warum braucht Wien ein queeres Filmfestival?

Viele Festivals hatten nie den Anspruch, sich mit queeren Filmen zu beschäftigen, finden Katja Wiederspahn und Dagmar Fink
Interview: Barbara Eder
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Eine lesbische Kojotin, die sich bei ihrer Mutter outet: Der Film »Bouchra«, zu sehen beim »Queertactics«-Festival

Warum braucht Wien ein queer-feministisches Filmfestival?

Katja Wiederspahn: Ich bin in Frankfurt – und später in Wien – mit der Selbstverständlichkeit eines queeren Filmfestivals groß geworden. In Frankfurt war es das »LesBiSchwule Filmfestival«, in Wien »Identities«. Mainstreamfestivals wie die Viennale schmücken sich mit einschlägigen Filmen, hatten aber nie den Anspruch, sich mit queerem Filmschaffen auseinanderzusetzen. Ein queerfeministischer Ansatz umfasst sowohl die Auswahl der Themen als auch den Anspruch, die filmischen Verfahren einem Publikum vorzustellen und darüber zu diskutieren. Zugleich ist »Queertactics« eine alternative Plattform für internationale Perspektiven auf queere Zusammenhänge.

Dagmar Fink: Im Mainstreamkino kommen queere Lebensweisen kaum vor – und wenn, dann in Hochglanzversion. Es ist dringend notwendig, Festivals wie »Queertactics« zu haben, um verschiedenste queere Lebensweisen repräsentiert zu sehen und sich darüber auszutauschen. Ein Filmfestival ist ein Ort des Austauschs: Menschen aus verschiedenen queeren und feministischen Zusammenhängen treffen aufeinander, die sich sonst vielleicht nicht begegnet wären. Es ist uns ein Anliegen, mit unserem Publikum im Gespräch zu sein.

Nach welchen Kriterien haben Sie das Programm zusammengestellt?

K. W.: Es gibt den Wunsch, möglichst divers zu programmieren. Wir achten besonders darauf, keinen nordamerikanischen Überhang zu haben. Ein Fokus der letzten Jahre ist die Auseinandersetzung mit Transthemen, die heuer wieder stark vertreten sind. Früher hatten wir »Fixsterne«, etwa die »Lesbenschmonzette« eine lesbische Neuinterpretation des Groschenromans. Wir wollen die Verbindung zwischen klassisch lesbischen Filmfiguren und neuem queeren Kino unbedingt halten.

D. F.: Kuratieren bedeutet für uns auch: kontextualisieren. Wir überlegen, mit welchen Communitys oder Initiativen ein Film verschränkt werden kann. Wenn ein Film die AIDS-Epidemie in Chile thematisiert, bringen wir Stimmen aus Wien dazu, historische oder aktivistische Erfahrungen einzubringen.

Der brasilianische Filmemacher Ricky Mastro war in diesem Jahr Ihr Gast. Warum der Fokus auf Lateinamerika?

D. F.: In den vergangenen Jahren kamen einige der innovativsten queeren Filme aus Brasilien. Auch ohne speziellen Fokus hatten wir zuletzt zwei brasilianische Produktionen im Programm, die uns begeistert haben. In Prag trafen wir Ricky Mastro, der uns sein »Moscow Queer Brazil«-Projekt vorstellte – das war inhaltlich und formal so interessant, dass sich ein Schwerpunkt geradezu aufdrängte.

K. W.: Ansonsten sind wir nur wenig auf Festivals, weil Reisen Geld kostet und »Queertactics« kein großes Budget hat. Zwei Festivalbesuche im Jahr können wir uns leisten – Rotterdam und Berlin, wo viel queeres Kino läuft und die Reisen erschwinglich sind. Den Löwinnenanteil der Filme bestellen wir uns, weil wir vorab darüber lesen. Jedes Jahr zeigen wir auch einige Filme, die eingereicht wurden.

Schafft das Festival einen temporären Raum gegen queerfeindliche Zumutungen?

D. F.: Ja, aber ohne die Illusion eines »Safe Space«. Den gibt es nicht. Wir können nur Bedingungen schaffen, unter denen Menschen sich sicherer fühlen. Deshalb haben wir seit einigen Jahren auch ein Awareness-Team bei der Festivalparty. In diesem Jahr haben wir nach langen Diskussionen Inhaltshinweise eingeführt – bewusst keine Triggerwarnungen. Sie sollen informieren, nicht bevormunden.

K. W.: Wir haben nicht alle dieselbe Perspektive auf das, was Kino sein kann. Für mich war das auch ein Ort des Abenteuers, wo ich mich Dingen aussetze, von denen ich nicht weiß, was sie sind. Andere Generationen wollen mehr Vorabinformationen – das respektieren wir. Wer sensibel auf bestimmte Inhalte reagiert, kann nachlesen, aber niemand muss. So ermöglichen wir einen Kompromiss.

Katja Wiederspahn und Dagmar Fink riefen »Queertactics – Queer Feminist Film Festival Vienna« 2019 ins Leben und leiten das Festival seither

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