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Aus: Ausgabe vom 17.10.2025, Seite 10 / Feuilleton
Theater

Kein Wort über Putin!

»Die georgische Geliebte« – das neue Stück der Berliner Compagnie
Von Kai Köhler
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Niemand kann aus seiner Haut (Ensemblefoto)

So manches gemeinsame Essen im Verwandten- oder Bekanntenkreis endet im Streit – in Theater und Film wird dieses Setting dankbar übernommen. Und wenn sich eine politisch nicht ganz einheitliche Gruppe trifft, so gibt es ein paar Stichwörter, die einigermaßen zuverlässig zum Zerwürfnis führen. »Maskenpflicht« war eines zu Coronazeiten, »Putin« ist es heute: der Hauptschurke, das Böse schlechthin; der Autokrat, der die Verräter hierzulande bezahlt und nebenbei ein paar nützliche Idioten verführt.

Der Streit um Putin hat in »Die georgische Geliebte«, dem neuen Stück der Berliner Compagnie, schon in der Vorgeschichte eine Zusammenkunft gesprengt. Am Anfang sitzt ein älteres Paar auf der Bühne, linke Theaterleute mit kritischem Blick auf den Westen, die ein Stück über Georgien vorbereiten. Sie haben sich mit einer jungen georgischen Schauspielerin zerstritten, die die russische Regierung hasst und sich mit der westlich orientierten georgischen Opposition einig fühlt. Ihr Problem ist: ohne die Schauspielerin keine Aufführung, ohne Aufführung das Ende der Theatergruppe.

Die beiden haben also ein georgisches Menü gekocht, um die Georgierin und ihren Mann, einen deutschen Manager, zu versöhnen. »Kein Wort über Putin!« lautet die Parole, und natürlich lässt sich das nicht durchhalten. Das geplante Versöhnungsessen gerät zum politischen Schlachtfeld. Ana Hauck-Aleksishvili und Franziska Krumwiede, Rondo Beat und H. G. Fries spielen das mit der Regie von Elke Schuster überzeugend.

Besonders in der ersten Hälfte des Stücks ist durchaus unterhaltsam, wie Helma Fries mit Klischees über georgische Ess-, Trink- und Streitkultur spielt. Stark ist auch, wie sich die Aufführung, die man sieht, und das Stück, über das innerhalb der Handlung gestritten wird, wechselseitig durchdringen. Natürlich fragt man sich, ob in die »Die georgische Geliebte« eine wirkliche Auseinandersetzung innerhalb der Berliner Compagnie verarbeitet wurde. Hat die georgische Schauspielerin, die eine georgische Schauspielerin spielt, die eine Georgierin darstellen soll, mit westlichen NATO-kritischen Theaterleuten gestritten? Die Neugier ist Teil der Wirkung, aber eine Antwort darauf wäre ästhetisch uninteressant.

Denn da zählt, was sich aus der Konstellation ergibt. Auf der Bühne streitet man sich, welche Argumente in dem fiktiven Stück Gewicht bekommen; zugleich werden die Reden, über die man sich auseinandersetzt, tatsächlich auf der Bühne gehalten. Das Bemühen, ein Maximum an Informationen zu vermitteln, dehnt allerdings die Möglichkeiten der Situation bis zum Äußersten. Besonders manche Äußerungen der Alten tendieren zum Referat, etwa wo es um den Georgien-Krieg von 2008 geht, der von der westlichen Propaganda zum Beweis für Putins Aggressivität umgedeutet wurde. Die deutschen Theatermacher geben aus ihrer Distanz den tatsächlichen Verlauf wieder, nämlich dass Russland auf eine georgische Aggression reagierte. Die georgische Schauspielerin hingegen kennt die Erfahrung, wenn russische Bomben so nahe einschlagen, dass der Boden erzittert.

Schlägt die Erfahrung das Wissen? Auf der Theaterbühne vermutlich ja, auch wenn die alten Deutschen berichten, was sie geprägt hat: der US-Krieg in Vietnam etwa, oder wie die demokratisch gewählte linke Regierung Allende 1973 in Chile mit Vorbereitung durch die USA weggeputscht wurde. All das spielte sich jedoch weit weg ab, und die gegenwärtige Repression in Deutschland, die im Stück auch benannt wird, erreicht jedenfalls bislang nicht das Niveau von Georgien, wo die Regierung eine westlich orientierte Protestbewegung unterdrückt.

Gegen Ende des Stücks sprechen die Beteiligten aus, dass niemand aus seiner Haut kann. Vermutlich ist das richtig, und es anzuerkennen, ermöglicht eine Zusammenarbeit, wie sie sich schließlich doch ergibt. Im Kleinen ist das stimmig. Und selbstverständlich ist die russische Innenpolitik nicht eben progressiv, und ebenso ist der georgische Polizist, der einem Demonstranten mit dem Schlagstock eins drüberzieht, vermutlich kein Kämpfer für eine bessere Welt.

Das Ende des Stücks suggeriert als Lösung, gegen Unterdrückung überall zu sein. Darauf kann man sich einigen – kann man es? In der Welt, wie sie heute ist, lässt sich ein Machtvakuum nur schwer vorstellen, zumal in geopolitischen Brennpunkten. Wird die georgische Regierung gestürzt, hat man nicht einfach Freiheit, sondern eine neue Regierung, die im globalen Machtkampf Partei ergreifen und ihrerseits die Opposition unterdrücken wird. Das neue Stück der Berliner Compagnie behandelt einen wichtigen Konflikt, findet dafür eine theatralisch brauchbare Konstellation und vermittelt wichtige Erkenntnisse, auch durch ein materialreiches Begleitheft. Doch das Ende des Spiels weicht dem Konflikt aus. Theaterleute mögen sich zusammenraufen, die Welt wird es nicht.

Nächste Aufführungen: 17.10., 18.10., 19.10.

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