Gegründet 1947 Montag, 6. Oktober 2025, Nr. 231
Die junge Welt wird von 3036 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 24.09.2025, Seite 6 / Ausland
Krieg gegen Gaza

»Weil jemand das sehen muss«

Hilferuf aus Gaza: Zwei australische Ärztinnen prangern das israelische Dauerbombardement an und dokumentieren Kriegsverbrechen
Von Ina Sembdner
6.JPG
Unermessliches Leid: Beerdigung eines Angehörigen auf dem Gelände des Schifa-Hospitals (Gaza-Stadt, 23.9.2025)

Die australische Allgemeinmedizinerin Nada Abu Alrub und die ebenfalls aus Australien stammende Anästhesistin Saya Aziz unterstützen aktuell die medizinische Versorgung im Gazastreifen, waren zunächst in Gaza-Stadt und sind jetzt im Norden des Kriegsgebiets. Die junge Welt dokumentiert an dieser Stelle in Auszügen ihr vor wenigen Tagen online veröffentlichtes Video, in dem sie Zeugnis vom Krankenhausalltag in der von Israel abgeriegelten Enklave ablegen:

Wir kamen zuerst im Al-Aksa-Krankenhaus an, wo die Lage katastrophal war. Es gab weder Wasser noch Essen, und überall im Krankenhaus lebten Menschen. Es war sehr schwer für uns, überhaupt reinzukommen, und es gab viele Einschränkungen. Wir durften keine Babynahrung und kein Geld mitbringen, die Karte funktionierte nicht. Als wir jedoch nach Norden zum Al-Schifa-Krankenhaus kamen, war es ein Alptraum. Wir drehen dieses Video, weil wir wissen, dass wir jeden Moment sterben könnten.

Eine Bombardierung folgte der nächsten, mit »Apache«-, F-35 und F-16, Militärrobotern, allen möglichen Waffen, die uns von überall rund um das Krankenhaus angriffen. Die Zahl der Patienten und der Toten, die hierher gebracht werden, ist unglaublich. Es gibt weder Internet noch Strom. Wir haben immer noch kein WLAN, so dass wir nicht mit unseren Familien kommunizieren können. Wir dürfen keine Fotos veröffentlichen und werden gebeten zu schweigen. Wir dürfen die Fotos nicht zeigen, weil sie so traumatisch sind, und ich darf sie nicht posten. Aber wir dokumentieren das für die Zukunft, weil jemand das sehen muss. Nur ein Beispiel von heute: Ich hatte eine enthauptete Frau, die im neunten Monat schwanger war und die wir in der Notaufnahme per Notkaiserschnitt entbinden mussten. Glücklicherweise ist das Mädchen wohlauf.

Ich bin Anästhesistin. Ich kann gar nicht beschreiben, wie schrecklich die Situation aus anästhesiologischer Sicht ist. So viele Dinge sind einfach nicht vorhanden, man muss sich eine Absaugvorrichtung teilen. Es gibt nichts, um irgend etwas zu reinigen. Es ist ein Wunder, dass wir überhaupt etwas schaffen. Nun, das sind wir. Die Menschen aus Gaza, die Mitarbeiter im Gesundheitswesen arbeiten Tag und Nacht. Sie leisten 48-Stunden-Schichten. Sie sind alle dünn, erschöpft und seit zwei Jahren unterernährt. Wenn man sieht, mit welcher Hingabe sie sich um jeden einzelnen Patienten kümmern, um jedes einzelne Leben zu retten – ich habe große Achtung vor ihnen. Ich weiß nicht, wie sie das seit zwei Jahren schaffen. In den Räumen sind überall Fliegen. Es gibt keine Möglichkeit, irgendeine Form von Sterilität aufrechtzuerhalten. Das Gesundheitswesen bricht nicht gerade zusammen. Es ist bereits zusammengebrochen.

Und dann fallen auch noch ständig Bomben, den zweiten Tag in Folge vor der Eingangstür des Krankenhauses. Heute hatten wir überhaupt kein Internet, wir können mit niemanden kommunizieren. Das ist wie absichtliche psychologische Kriegführung. Sie müssen aufhören, Bomben zu werfen. Wir brauchen uneingeschränkte medizinische Hilfe. Wir brauchen Lebensmittel, Nahrung. So können die Patienten unmöglich genesen. Das Schlimmste daran ist, dass es sich ausschließlich um Kinder, Frauen und junge Familien handelt. Das ist ein Schandfleck für unsere Menschlichkeit. Ich schäme mich, Australierin zu sein, die im Grunde genommen geschwiegen hat. Ich würde jeden Minister im australischen Parlament auffordern, einen Tag hier mit uns zu verbringen. Und dann sollen sie entscheiden, ob ihre F-35-Teile nichttödlich sind. Wir brauchen jetzt ein Waffenembargo. Genug ist genug.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (24. September 2025 um 16:54 Uhr)
    Niemand war zur Stelle? Keine Botschaftsstelle? Nix UNO oder EU? HILFE nicht in Sicht? - Diese verdammten Arschlöcher, die diesen Dämon Bibi Netanjahu immer noch nicht begriffen haben - mit dem und seiner Corona muss Schluss sein! Das sind verbriefte Massenmörder und gebens auch gerne öffentlich zu. Auf welcher Seite steht also dieser Bundeskanzler?
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (24. September 2025 um 16:41 Uhr)
    Unfassbar, oder? Seit zwei Jahren Völkermord in Gaza, aber dieser Merz, der selbsternannte neue Führer Europas, erklärt: Wir stehen an der Seite Israels. - Meine Tochter hat mich heute nachmittags um halb drei gefragt: Sind wir polnisch oder russisch oder jüdisch? Ich: Sag immer, dass wir polnisch sind. BITTE!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (23. September 2025 um 21:21 Uhr)
    Vielen Dank für diese bewegende Info! Leider konnte ich das Video nicht finden. Gibt es einen spez. Link?
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Klaus W. aus Leipzig (24. September 2025 um 11:42 Uhr)
      https://youtu.be/EleAxzihkMA?si=FPfnX0Z_TrPSNwDF

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

Ähnliche:

Mehr aus: Ausland