Generalstreik in den Anden
Von Volker Hermsdorf
Ecuador versinkt in einer tiefen politischen und sozialen Krise. Seit Montag legt ein unbefristeter Generalstreik weite Teile des Landes lahm. Zigtausende folgen dem Aufruf der Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador (Conaie) zum Widerstand gegen unsoziale Maßnahmen der Regierung. Auslöser war die Entscheidung des rechten Präsidenten Daniel Noboa, die Subventionen für Diesel zu streichen, wodurch der Preis für den Kraftstoff um 56 Prozent gestiegen ist. Die Empörung vieler Bürger richtet sich jedoch nicht nur gegen dessen Energiepolitik, sondern gegen ein ganzes Bündel neoliberaler Maßnahmen, die die soziale Schieflage im Land verschärfen.
Die Situation ist angespannt. Seit Beginn des Streiks kommt es landesweit zu Protestmärschen und Straßenblockaden, insbesondere in den Andenprovinzen. Die indigene Bevölkerung, aber auch Bauern, Gewerkschaften und soziale Kollektive fordern die Rücknahme des Dekrets 126, mit dem Noboa die Subvention abschaffte. »Der Dieselpreis wird das Leben aller Ecuadorianer verteuern, vom Transport über die Lebensmittel bis zur Produktion«, warnt Marlon Vargas, Präsident der Conaie. Doch die Forderungen gehen weit darüber hinaus: Sie umfassen ein Ende neuer Bergbau- und Ölkonzessionen in indigenen Territorien, Investitionen in das marode Gesundheits- und Bildungssystem sowie die Ablehnung von Noboas Plänen für eine neue Verfassung.
Der Bananenunternehmer an der Spitze des Staates reagiert auf die Forderungen der Bevölkerung mit verschärfter Repression. Er verlegte den Sitz seiner Regierung kurzerhand in die Andenstadt Latacunga und verhängte über acht von 24 Provinzen den Ausnahmezustand. In fünf Provinzen gilt zudem eine nächtliche Ausgangssperre. Straßen sind voller Militär, Panzer patrouillieren. Die Polizei ging bereits am ersten Streiktag mit Tränengas und scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Örtlichen Medien zufolge gab es Dutzende Festnahmen und Verletzte. Die Conaie verurteilte die »brutale Repression« und berichtet von willkürlichen Hausdurchsuchungen und sogar Schüssen auf die Bevölkerung. Regierungssprecherin Carolina Jaramillo versuchte hingegen, die Proteste herunterzuspielen, und behauptete, sie würden lediglich von »kleinen Gruppen« unterstützt. Dazu im Widerspruch warf Noboa den Streikenden vor, das Land zu destabilisieren. »Wir werden keinen Millimeter weichen«, erklärte er. Der Staatschef kündigte an, »terroristische Handlungen und Blockaden« hart zu bestrafen. Diese Rhetorik heizt die Stimmung weiter an. Die indigene Bewegung rief daraufhin einen »gemeinschaftlichen Ausnahmezustand« aus und verbot Noboas Einsatzkräften das Betreten ihrer Territorien.
Am Montag heizte die Nachricht von einem Massaker in der Haftanstalt Machala im Süden des Landes die explosive Stimmung weiter an. 14 Gefangene wurden bei Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Banden getötet, 13 sind geflohen. Auch ein Wachmann wurde erschossen, mehrere Polizisten verschleppt. Solche Blutbäder haben seit 2021 mehr als 600 Todesopfer gefordert. Die Eskalation vollzieht sich in einem Land, das ohnehin im Chaos versinkt. Ecuador verzeichnete 2024 mit 39 Morden pro 100.000 Einwohner die höchste Mordrate Lateinamerikas. »Es gibt Morde auf offener Straße, Überfälle in Bussen und Morde an Busfahrern«, so die Vertreterin der Conaie, Nelly Colimba, in einem jW-Interview. Statt soziale Ursachen der Krise wie Armut, Arbeitslosigkeit oder die Folgen neoliberaler Politik anzugehen, setze die Regierung auf Gewalt und Schuldzuweisungen, kritisierte sie.
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