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Aus: Ausgabe vom 24.09.2025, Seite 1 / Titel
Nahostkonflikt

Blutbad zum Jubiläum

In New York steht die 80. Generaldebatte der Vereinten Nationen im Zeichen des Gazakriegs
Von Jakob Reimann
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Mehr als ein symbolischer Akt: Palästinenser in Ramallah feiern die Anerkennung ihrer Staatlichkeit (23.9.2025)

Sie wird überschattet vom Völkermord: Am Dienstag begann die 80. Generaldebatte der UN-Vollversammlung, und Israels Krieg gegen die Zivilbevölkerung in Gaza dominiert die Gespräche beim historischen Treffen der Staatenlenker. Immer mehr traditionelle Verbündete wenden sich – wohl in erster Linie aus Selbstschutz – von der Netanjahu-Regierung ab. So erkannten nach Großbritannien und Kanada weitere G7-, NATO- bzw. EU-Staaten wie Frankreich, Belgien, Luxemburg und Malta Palästina als Staat an. Sehen Kritiker hierin reine Symbolhandlungen ohne tatsächliche Folgen, unterstrich auch der palästinensische Premierminister Mohammed Mustafa am Dienstag, dass diese internationalen Bemühungen ein konkretes Bekenntnis zur Zweistaatenlösung und eine Ablehnung der israelischen Besetzung und Menschheitsverbrechen darstellten.

»Wir sind in ein Zeitalter verheerender Zerrüttungen und unaufhörlichen menschlichen Leids eingetreten«, warnte Generalsekretär António Guterres in der Eröffnungsrede in New York am Dienstag morgen (Ortszeit) mit Blick auf die »Invasion souveräner Nationen« und den Missbrauch von Hunger als Waffe. Frieden breche »unter der Last von Straflosigkeit, Ungleichheit und Gleichgültigkeit zusammen«. Der ehemalige Generalsekretär des portugiesischen Partido Socialista trug eine leidenschaftliche Verteidigung der universellen Menschenrechte vor und fand klare Worte zum Völkermord: »In Gaza nähert sich der Horror einem dritten monströsen Jahr. Er ist das Ergebnis von Entscheidungen, die grundlegende Menschlichkeit missachten. Das Ausmaß von Tod und Zerstörung übertrifft jeden anderen Konflikt in meinen Jahren als Generalsekretär.«

Im Anschluss sprach die am 9. September ins Amt eingeführte Präsidentin der Generalversammlung, Annalena Baerbock, deren Rede von Plattitüden, moralischen Klischees und hohlen Phrasen über »Pfade« und »Scheidewege« gespickt war. Nach Selbstkritik klang ihre rhetorische Frage nach der Verantwortung für das anhaltende Massaker in Nahost jedenfalls nicht: »Wenn Zivilisten, Kinder in Gaza getötet werden – liegt die Schuld dann beim humanitären Völkerrecht, weil es sie nicht zu schützen vermag?« Schließlich hatte sie vor nicht einmal einem Jahr im Oktober in einer weltweit viral gegangenen Bundestagsrede behauptet, »zivile Orte« – sie nannte explizit Schulen – könnten »ihren Schutzstatus verlieren«, wenn sich dort angebliche »Terroristen« versteckten.

Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva verurteilte unmissverständlich Israels Verbrechen in Gaza, ebenso die jüngsten US-Angriffe auf angebliche »Drogenboote« in der Karibik. US-Präsident Donald Trump folgte mit teils grotesken Lügen zu Wirtschaft, Migration, Außenpolitik und Palästina, die es kaum lohnt, einzeln zu wiederholen, scharfen Angriffen gegen die UNO, Gebrabbel über seine Vergangenheit als Immobilienhai und Angeberei mit seinem völkerrechtswidrigen Bombardement Irans.

In den kommenden Tagen werden mehr als 150 Staats- und Regierungschefs in New York sprechen – nicht jedoch Bundeskanzler Friedrich Merz. Offiziell wird die Haushaltsdebatte als Grund vorgeschoben, doch liegt dem Fernbleiben wohl eher die politische Ignoranz des Kanzlers zugrunde. Unangenehmen Gesprächen und Klagen möchte er wohl aus dem Weg gehen – schließlich isoliert sich nicht nur Israel zunehmend auf der Weltbühne, sondern im blinden Gleichschritt auch die Bundesrepublik.

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  • Leserbrief von Reinhold Schramm aus 12105 Berlin (24. September 2025 um 15:52 Uhr)
    Nachtrag Ein Staat Palästina ohne Zukunft im Nahen Osten? {...} Fazit: Für fünf Millionen arabische Palästinenser im Nahen Osten wäre eine Umsiedlung und ein wirtschaftlicher und sozialer Neuanfang auf dem Territorium der (parasitären) Golfstaaten denkbar. Die Staaten der parasitären Bevölkerungen, deren Monarchen und Prinzen, verfügen über die ökonomischen Mittel, um eine Aufnahme und sozialpolitische Existenz und Zukunft zu gewährleisten und (dauerhaft) zu finanzieren. 24.09.2025, R.S.
  • Leserbrief von Reinhold Schramm aus 12105 Berlin (24. September 2025 um 15:50 Uhr)
    Ein Staat Palästina ohne Zukunft im Nahen Osten? Es handelt sich wie seit Jahrzehnten auch um »reine Symbolhandlungen ohne tatsächliche Folgen«. Noch in guter Erinnerung: Meine israelische Freundin studierte in den 1970er Jahren Psychologie in Westberlin. Auf das Leid der arabischen Bevölkerung angesprochen, reagierte sie mit Aggression, was zu meiner Trennung von unserer freundschaftlichen Beziehung führte. ► Die wechselseitigen persönlichen, gewaltsamen und überlieferten Erfahrungen der arabisch-islamischen und israelischen Bevölkerungen, vor und nach der Staatsgründung Israels. Die terroristischen wie militärischen Aggressionen über mehr als drei Generationen bis in die Gegenwart. Das nachfolgende Abschlachten der israelischen Bürger vom Oktober 2023 und infolgedessen die mörderische Aggression im Gaza und die massive Enteignungs- und Vertreibungspolitik in den arabischen Territorien. Alles schließt für weitere Generationen eine Verständigung und Übereinkunft zwischen den arabischen und israelischen Völkern im Nahen Osten aus. Ein staatliches Palästina mit einer gemeinsamen Staatsgrenze zu Israel bleibt ebenso ausgeschlossen wie der verständliche Wunsch einer kleinen idealistisch-humanistischen Minderheit nach einem gemeinsamen Staat im Nahen Osten. ► Ein Rückblick in die europäische Geschichte nach Kriegsende 1945 dient allenfalls, einer Lösung näherzukommen: Mehr als zwölf Millionen Deutsche wurden von ihren Besatzungsgebieten in Osteuropa und aus ihrer (vormals) deutschen Heimat gewaltsam vertrieben. Sie fanden vor allem in Westdeutschland eine neue wirtschaftliche Existenz und ihre soziale Zukunft. Infolgedessen hatte die große Mehrheit ihre Hoffnung auf eine Rückkehr aufgegeben. {...}

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