Dachschäden
Von Arnold Schölzel
Am Donnerstag meldet dpa: »Ein in Polen nach dem Eindringen russischer Drohnen beschädigtes Haus ist nach Regierungsangaben höchstwahrscheinlich von der Rakete eines westlichen Kampfjets getroffen worden.« Das hatte der Koordinator der polnischen Geheimdienste, Tomasz Siemoniak, bereits am Mittwoch gesagt.
Da waren die Bilder vom beschädigten Dach eines Hauses im ostpolnischen Dorf Wyryki, 15 Kilometer von der Grenze zu Belarus entfernt, um die Welt gegangen, waren von »Tagesschau« und anderen als Nachrichtensendungen firmierenden deutschen Formierungsformaten gezeigt worden, dabei hatte die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita das bereits am Montag berichtet. Geschätzter Raketenwert: 850.000 Euro. Verletzt wurde bei dem Einschlag niemand. Der Rzeczpospolita-Bericht fand keinen Eingang in »Tagesschau« etc., das schaffte erst die dpa-Meldung. Selbstverständlich nicht in die 20-Uhr-Sendung.
Die Dachschäden in deutschen Propagandastäben, genannt Redaktionen, durch Ignoranz gegenüber allem außer Putin jenseits der Oder, sind notorisch. Wo Ina Ruck (ARD) oder Sabine Adler (DLF) sich fast täglich dessen Kopf zerbrechen und das als Journalismus durchgeht, gibt es sonst fast nichts von Nachrichtenwert.
In Polen beharkten sich zum Beispiel bereits nach dem Rzeczpospolita-Artikel Präsident Karol Nawrocki und Ministerpräsident Donald Tusk. Nawrockis Büro forderte am Dienstag auf der Plattform X von Tusk eine sofortige Aufklärung. Es dürfe keine Information verheimlicht werden. Tusks Antwort: »Die gesamte Verantwortung für die Schäden am Haus in Wyryki liegt bei den Urhebern der Drohnenprovokation, also bei Russland.« Was niemand, schon gar nicht Nawrocki, bestritten hatte (wobei laut einer Umfrage in Polen 40 Prozent die Ukraine für den Urheber des Drohnenschwarms vom 10. September halten). Tusk weiter: »Pfoten weg von polnischen Soldaten.« Das klang, als sei ihm etwas auf den Kopf gefallen.
Tusk hatte bereits am 10. September die Gelegenheit zur Hysterie genutzt: Konsultationen nach Artikel 4 des NATO-Vertrages. Die NATO-Europäer folgten willig und bestellten russische Botschafter zur Abmahnung ein. In Washington geschah das nicht. An den Drohnentrümmern fand sich kein Sprengstoff und der Generalstabschef von Belarus, Pawel Murawejko, erklärte noch am 10. September, Litauen und Polen seien von Belarus über die anfliegenden Drohnen informiert worden, Belarus habe selbst einige abgeschossen, und beide Länder hätten ihrerseits Informationen geliefert. Am 11. September brummelte Trump dann auch noch in Fernsehmikrofone zum Drohnenschwarm: »Es könnte ein Fehler gewesen sein.« Tusk fauchte auf X am Freitag zurück, das sei kein Fehler gewesen: »Das wissen wir.«
Geschah aber im Osten, also im NATO-, EU- und deutschen Hinterhof. Da gibt es bis auf Putin nichts Nennenswertes. Ins Nachrichtenloch fiel zum Beispiel so auch die Mitteilung von Murawejko zur Bilanz des russisch-belarussischen Manövers »Sapad-2025«, das am Dienstag zu Ende ging: Zu den wichtigsten Aufgaben hätten »die Planung und Prüfung des Einsatzes nichtstrategischer Atomwaffen, die Bewertung und der Einsatz des ›Oreschnik‹-Raketensystems« gezählt. Anders gesagt: Die Hyperschallrakete ist in Belarus angekommen. Sechs Minuten bis Ramstein. Unwichtig für deutsche Medien.
Das gilt aber auch für Bestimmtes aus Washington: Am selben 10. September verabschiedete das US-Repräsentantenhaus die Leitlinien des National Defense Authorization Act (NDAA), den Militäretat 2026: Er sieht erstmals in der Geschichte Ausgaben von mehr als einer Billion US-Dollar vor – inflationsbereinigt deutlich mehr als im Kalten Krieg und im Vietnamkrieg. Noch ein Dachschaden.
Die Hyperschallrakete ist in Belarus angekommen. Sechs Minuten bis Ramstein. Unwichtig für deutsche Medien.
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