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Aus: Ausgabe vom 18.09.2025, Seite 4 / Inland
Aufrüstung

Hunger nach Milliarden

Bundestag: Debatte über Rüstungshaushalt gerät zur Propagandashow. Kritik an Kürzungen bei humanitärer Hilfe
Von Kristian Stemmler
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Einmal mehr Sternstunden der parlamentarischen Debatte am Mittwoch in Berlin

Ein Aufrüstungshaushalt wie lange nicht mehr: In der Haushaltsdebatte am Mittwoch wurde nach der Generaldebatte über »Verteidigungsausgaben« mit einem Gesamtvolumen von rund 86,49 Milliarden Euro debattiert. Davon entfallen 62,43 Milliarden auf den regulären Wehretat, 24,06 Milliarden Euro kommen aus dem »Sondervermögen Bundeswehr«. Um diese gewaltige Summe zu rechtfertigen, fuhren Union und SPD schwere propagandistische Geschütze auf. Dabei diente der Einflug russischer Drohnen in den polnischen Luftraum vor einigen Tagen als Aufhänger, um der Öffentlichkeit zu suggerieren, ein russischer Angriff stehe gleichsam kurz bevor.

Den Vogel schoss der CDU-Abgeordnete Andreas Mattner ab, der von einem »russischen Angriff auf den NATO-Partner Polen« sprach. Die »Kreml-Diktatur« zeige täglich, »dass ihr Hunger nach Eskalation ungebrochen ist«, rief Mattner erregt aus und setzte hinzu: »Putin will keinen Frieden«, er brauche den Krieg »zur Bereicherung für sich und seine Gefolgschaft«. Der Wehretat sende das Signal: »Wir werden jeden Tag verteidigungsfähiger.« Die große Mehrheit der Menschen im Land wolle sich »Russland nicht unterwerfen«, so Mattner.

In dasselbe Horn stieß der Koalitionspartner. Die SPD-Abgeordnete Bettina Lugk konstatierte mit Blick auf die aktuellen Drohnenvorfälle: »Der russische Imperialismus bedroht auch uns.« Daher müsse Vorsorge getroffen werden. Ihr Fraktionskollege Andreas Schwarz bezeichnete die Verletzung des polnischen Luftraums als »weiteres bedrohliches Signal«. Die rund 86 Milliarden Euro seien angemessen, Sicherheit sei »nicht zum Nulltarif zu haben«, so der SPD-Abgeordnete.

Aus der Opposition kam nur wenig Widerspruch gegen den Aufrüstungskurs von »Schwarz-Rot«. Sebastian Schäfer von Bündnis 90/Die Grünen hatte erwartungsgemäß nichts dagegen einzuwenden. Er machte sich lediglich Sorgen, dass die NATO »nicht gut vorbereitet« sei, wie die jüngsten Drohnenvorfälle gezeigt hätten. Die Redner der AfD zeigten sich ebenfalls einverstanden mit dem Ziel einer »starken Bundeswehr«. Sie wandten sich allerdings dagegen, Waffen an die Ukraine zu liefern.

Kritik kam nur von der Linksfraktion. Ihr ehemaliger Vorsitzender Dietmar Bartsch blieb dabei allerdings eher zurückhaltend. Er betonte, auch Die Linke wolle sich natürlich »Putin nicht unterwerfen« – und selbstverständlich müsse die Bundeswehr »angemessen ausgestattet sein«. Der Etat sei in dieser Höhe aber »maßlos« und lege »die Axt an den Sozialstaat«. Deutlicher wurde Bartsch’ Fraktionskollegin Desiree Becker. Sie sprach von einem »gigantischen Aufrüstungsprogramm«, das finanziert werde von »Menschen, die ohnehin wenig im Portemonnaie haben«. Die Angst vor Krieg werde systematisch geschürt. »Und bei der Rüstungsindustrie knallen die Champagnerkorken«, so Becker.

Voraussetzung der Aufrüstung sind Kürzungen anderer Etats, etwa des Auswärtigen Amtes, der zuvor debattiert worden war. Die Grünen und Die Linke kritisierten vor allem die Kürzungen bei der humanitären Hilfe und der Krisenprävention. Der Ansatz soll hier von 2,69 Milliarden Euro in 2024 auf 1,43 Milliarden Euro im Jahr 2025 schrumpfen. Boris Mijatović (Grüne) sprach von einem »außenpolitischen Totalausfall«. Angesichts der Not auf der Welt sei die Kürzung der Hilfen um mehr als die Hälfte »unverantwortlich«. »Millionen von Menschen werden im Stich gelassen«, rief der Abgeordnete aus.

Katrin Fey (Linke) bezeichnete den Haushalt des Auswärtigen Amtes als »Desaster«. In einer Zeit humanitärer Katastrophen kürze die Regierung die humanitären Hilfen um 53 Prozent, sei damit auch mitverantwortlich für Millionen Tote auf der Welt. Feys Fraktionskollegin Cansu Özdemir warf der Bundesregierung Doppelmoral vor. Sie spreche von »wertegeleiteter Außenpolitik«, schließe aber im selben Atemzug Deals mit »Autokratien« ab, so mit dem afghanischen Taliban-Regime.

Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) ging auf die Kritik an den Kürzungen bei den humanitären Hilfen nicht ein. Er erklärte nur allgemein, Deutschland habe als wohlhabendes Land die Verpflichtung, dort zu helfen, »wo Hunger und Elend herrschen«. Das sei auch wichtig, um »Fluchtbewegungen zu verhindern«.

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