Deutscher Scharfschütze auf der Flucht
Von Philip Tassev
Der junge Münchner, der als Scharfschütze der israelischen Armee in Gaza Unbewaffnete und Wehrlose erschossen haben soll, findet im politischen Berlin bisher wenig Beachtung. Ausgerechnet ein Bundestagsabgeordneter der Grünen will nun den Fall auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Rechtsausschusses setzen, die für den 8. Oktober angesetzt ist. Dem Spiegel sagte Helge Limburg, der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, am Mittwoch: »Es geht um das wichtige Signal an die Opfer und in die Welt hinaus, dass das Völkerstrafrecht für alle gilt.« Offenbar geht es also vor allem um das Image der BRD auf der internationalen Bühne.
Ähnlich argumentierte der Kovorsitzende der Linkspartei, Jan van Aken. Er kritisierte gegenüber dem Magazin die Zurückhaltung, »die Verbrechen dieses Krieges anzusprechen«, und mahnte, die BRD müsse ihrer »Verantwortung« nachkommen und dem Völkerrecht Geltung verschaffen, und zwar »unabhängig davon, wer die mutmaßlichen Täter sind«. Denn Rechtsstaatlichkeit dürfe nicht vor »falscher politischer Rücksichtnahme« haltmachen.
Der Spiegel, das ZDF, der britische Guardian, die belgische Zeitung De Tijd sowie das Netzwerk »Arab Reporters for Investigative Journalism« hatten vergangene Woche Recherchen veröffentlicht, wonach der in Deutschland geborene Daniel G. im Gazastreifen Zivilisten erschossen haben soll. Als Belege wurden zahlreiche Videos, Fotos, digitale Analysen sowie Interviews mit Experten, Exsoldaten und Juristen angeführt. Von zentraler Bedeutung ist dabei ein gefilmtes Interview, das Anfang Oktober 2024 vom palästinensischen Journalisten Younis Tirawi auf der Plattform X veröffentlicht wurde und in dem ein als »Sergeant D.« bezeichneter US-amerikanischer Scharfschütze erzählt, wie er mit Daniel G. ein für Scharfschützen übliches Duo gebildet hatte. Der Freiwillige aus Chicago prahlte damit, gemeinsam mit seinen Kameraden für 100 bis 120 Tote verantwortlich zu sein. Dem Rechercheteam gelang es, mehrere der Opfer zu identifizieren. Die Videoaufnahmen von einigen der Tötungen zeigen nach Einschätzung von Völkerrechtlern keine Anzeichen dafür, dass die erschossenen Palästinenser bewaffnet waren oder anderweitig eine Bedrohung für das israelische Militär darstellten.
Israelischen Medien zufolge befand sich Daniel G. zum Zeitpunkt des Erscheinens der Rechercheergebnisse in der BRD, rettete sich aber umgehend außer Landes, um einer Festnahme zu entgehen. Aber unabhängig davon, wo er sich im Augenblick befindet, hätten deutsche Behörden »eine rechtliche und moralische Verpflichtung, den Fall zu untersuchen«, wie die Völkerrechtlerin der Universität von Oxford, Janina Dill, gegenüber Spiegel erklärte. Die Menschenrechtsorganisation »European Center for Constitutional and Human Rights« hatte nach Bekanntwerden der Vorwürfe bei der Bundesanwaltschaft Anzeige erstattet.
Der Fall des deutschen Staatsbürgers, der in Gaza mutmaßlich Kriegsverbrechen begangen hat, beschäftigt zwar bisher nicht die Bundespolitik, aber die Vereinten Nationen. Ein Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres nannte den Bericht und die Videoaufnahmen am Montag eine »erschütternde Lektüre« und betonte, dass grundsätzlich die Tötung von Zivilisten »eindeutig gegen das humanitäre Völkerrecht« verstoße.
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