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Aus: Ausgabe vom 19.09.2025, Seite 8 / Inland
Deutsch-israelische Rüstungsdeals

»Die Mehrheit ist gegen die Lieferungen«

Ökonom und Rüstungsforscher fordert Stopp von Waffengeschäften mit Israel. Ein Gespräch mit Shir Hever
Interview: Ignacio Rosaslanda
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»Keine Waffen für Israel«: Unterstützer der Boykottbewegung BDS protestieren gegen die Unterstützung der israelischen Streitkräfte (Leipzig, 22.3.2025)

Die EU-Kommission hat Wirtschaftssanktionen gegen Israel angekündigt. Seit Jahren schon fordern Organisationen weltweit, nicht nur die finanzielle Unterstützung, sondern auch Waffenlieferungen einzustellen, um dem Völkermord an den Palästinensern Einhalt zu gebieten. Waren Sie deshalb auch beim zurückliegenden Protestmarsch zum Leipziger Flughafen dabei?

Der Protest ist überall, gegen alle Waffenlieferungen, nicht nur hier in Leipzig. Aber ja, das war sehr beeindruckend, zu sehen, dass so viele Menschen in Leipzig sich gegen Rüstungsgeschäfte mit Israel engagieren. Vor Ort habe ich mehr als 1.000 Leute gesehen. Israel begeht einen Völkermord in Gaza, und ungefähr ein Drittel der Waffen kommt aus Deutschland.

Was für Waffen sind das?

Das reicht von U-Booten bis Drohnen, von Panzerteilen bis Kriegsschiffen. Laut internationalen Abkommen ist es verboten, diesen Handel mit Israel zu führen, also nicht nur Waffen nach Israel zu verkaufen, sondern auch Waffen aus Israel zu kaufen. Deutschland kauft Waffen aus den USA und transportiert sie zum Beispiel über den Flughafen Ramstein oder auf deutschen Schiffen.

Protestiert wurde zuvor auch in Ulm, wo Elbit Systems einen Standort hat. Wie umfangreich ist die israelische Beteiligung an der Rüstungsindustrie in Deutschland?

Elbit Systems und auch die anderen zwei großen Rüstungsfirmen in Israel haben Tochterfirmen in Deutschland. Das ist sehr wichtig für die israelische Armee. Sie verkaufen Waffen an die Bundeswehr, aber produzieren auch Teile für Waffen, die sie nach Israel schicken. Deutschland muss das verbieten. Aber die Interessen der deutschen Rüstungsindustrie sind so stark, dass es nicht so einfach ist, sie zu stoppen.

Wir sehen jeden Tag Bilder von Raketen, die Gaza zerstören. Wie können wir wissen, ob sie aus Fabriken in der BRD stammen?

Nach jedem Bombardement schießen israelische Soldaten 155-Millimeter-Granaten auf die Stelle, um Spuren zu zerstören. So kann der Schrott der eingesetzten Waffen nicht gefunden werden. Das passiert aber manchmal dennoch. Beispielsweise hat ein palästinensischer Journalist am 1. Juli 2024 ein Stück von einer eingeschlagenen Rakete fotografiert. Darauf hieß es »Made in Germany«. Das stammte von einer Firma in Fulda. Die produziert Klimaanlagen. Aber die verbauten Druckregler benutzte Israel für die Rakete, die die Armee im Westjordanland auf ein Flüchtlingslager abgeschossen hatte.

Und was kauft die BRD in Israel ein?

Sehr viel. Aber das größte Geschäft ist das zum »Arrow 3«-System. Die Raketenabwehrwaffen werden in Israel produziert, und Deutschland will sich damit gegen mögliche Raketenangriffe aus dem Osten schützen. Das ist ein ungetestetes System, aber Deutschland war bereit, vier Milliarden Euro zu bezahlen. Das ist der größte Rüstungsexport in der Geschichte Israels. Der Vertrag wurde zehn Tage nach der berühmten Rede des damaligen israelischen Verteidigungsministers, der im Oktober 2023 gesagt hatte, dass Palästinenser »menschliche Tiere« seien und kein Wasser, keine Nahrungsmittel, keine Medikamente bekommen sollten, unterschrieben.

Warum denken Sie, ist es wichtig, am Flughafen Leipzig/Halle gegen diese Rüstungskooperation zu protestieren?

Die Erklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz, neue Genehmigungen für Exporte von Waffen, die in Gaza eingesetzt werden können, nicht mehr zu erteilen, wäre nicht möglich, wenn er nicht verstanden hätte, dass sich die Meinung in Deutschland ändert. Die Mehrheit ist gegen die Waffenlieferungen und gegen den Völkermord. Seine Erklärung war nur ein erster Schritt und nicht genug. Wenn wir weiter protestieren, werden weitere Schritte kommen.

Shir Hever ist israelischer Wirtschaftswissenschaftler und lebt in der BRD. Er forscht zur Ökonomie der israelischen Besatzung und zur dortigen Rüstungsindustrie.

Video zum Gespräch: kurzlinks.de/shir-hever-leipzig

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