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Aus: Ausgabe vom 08.08.2025, Seite 2 / Ausland
Radikale Linke

»Uns fehlt Vertrauen in die kollektive Stärke«

Französische Parteien berichten bei Austauschtreffen in Berlin von zentralen Kämpfen der Gegenwart. Ein Gespräch mit Philippe Poutou
Interview: Gitta Düperthal
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Als ehemaliger Präsidentschaftskandidat und derzeitiger Stadtrat der Neuen Antikapitalistischen Partei, NPA, in Bordeaux waren Sie jüngst im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin und trafen dort Genossinnen und Genossen von »Berlin insoumise«. Wie verlief die Diskussion?

Wir haben über die politische und soziale Lage verschiedener Länder diskutiert. Inmitten einer tiefen Krise des Kapitalismus, mit gesellschaftlichen Entwicklungen hin zu brutalem Ultraliberalismus und autoritären Regimen – während die extreme Rechte an Einfluss gewinnt – ist es entscheidend, Begegnungen, gemeinsame Initiativen und einheitliche Aktionsrahmen zu verstärken. Wir wollen kämpferische Beziehungen zwischen politischen Organisationen der Linken – insbesondere der radikalen Linken – pflegen, auch zu gewerkschaftlichen oder gesellschaftlichen Organisationen.

Wie radikal ist die Politik Ihrer Partei?

Unsere Radikalität liegt in unserem Antikapitalismus, in antirassistischen, antikolonialen, ökologischen, feministischen und LGBTI-Kämpfen. Wir treten dafür ein, die Wirtschaft zu sozialisieren, Großkonzerne zu enteignen. Wir streben eine von Arbeiterinnen und Arbeitern selbstverwaltete Wirtschaft an, führen gemeinsame Kämpfe mit sozialen Bewegungen.

Ist die Partei Die Linke kämpferisch?

Da ich in Frankreich aktiv bin, möchte ich der Partei nicht sagen, was sie tun sollte. Scheinbar gibt es aber tiefen Dissens über die Situation in Gaza. Gemeinsam mit La France insoumise (»Unbeugsames Frankreich«, 2016 vom Politiker Jean-Luc Mélenchon gegründete Partei, jW) stehen wir klar an der Seite des palästinensischen Volkes, das leidet. Wir unterstützen dessen Kampf für seine Rechte und Unabhängigkeit, verurteilen den Genozid. Wir fordern, Bombardierungen, Blockade und Besatzung zu beenden. Wir verurteilen die Repression der deutschen und französischen Regierungen gegen propalästinensische Mobilisierungen, sehen sie als Komplizen einer kriminellen israelischen Politik.

Gelingt es in Frankreich, Menschen für radikal-linke Politik zu gewinnen?

Ehrlich gesagt: nein! Wie andere Organisationen der sozialen, politischen Linken befinden wir uns in einer schwachen Position zwischen Spaltung und Zersplitterung. Uns fehlt Vertrauen in unsere kollektive Stärke, obwohl sie real vorhanden ist. Die Weltlage ist schrecklich. Mit der Krise des kapitalistischen Weltsystems rücken koloniale Aggressionen und Kriege gegen Völker ins Zentrum. Unsere Antwort darauf ist die internationale Solidarität der Unterdrückten. Dass es Potential gibt, war etwa 2023 im Kampf gegen die Rentenreform zu sehen, aktuell in ökologischen und feministischen Bewegungen. Der kommende Herbst könnte ein Wendepunkt sein.

Stichwort Ökologie: In Frankreich wurde das »Duplomb«-Agrargesetz verabschiedet, das unter anderem den Einsatz bestimmter Pestizide wie Acetamiprid erlaubt. Welche Folgen hat das?

Es zeigt, wie egal machthabenden Kapitalisten die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung sind. Wir müssen dieses gefährliche System überwinden, das fast ausschließlich auf kurzfristiger Profitlogik beruht. Zunehmend radikalisierte Kampfformen der Umweltbewegungen sind eine wirksame Antwort. Dieses Gesetz ist neben der Politik gegen Migration, neben absurden, umweltzerstörenden Projekten wie Megastaubecken oder Autobahnbau und der Einschränkung öffentlicher Freiheiten eine von vielen unsozialen Maßnahmen. Engagierte, wenn auch verstreute Kräfte stellen sich dem entgegen – mit Petitionen, Demonstrationen, Besetzungen, Sabotage, Streiks.

Über die Lohnabhängigen in Frankreich ergab eine Studie, dass sie mehr als die in der BRD arbeiten. Premierminister François Bayrou will den Druck erhöhen. Wie lautet Ihre Antwort darauf?

Feiertage verteidigen, bezahlten Urlaub erkämpfen. Die Kämpfe um Arbeitszeitverkürzung und eine Rente mit 60 oder früher sind zentral. Die arbeitenden und unterdrückten Klassen müssen sich zurückholen, was ihnen die Kapitalisten nahmen. In Krisenjahren eigneten sie sich Reichtümer an. Es ist eine Machtfrage: Wer entscheidet und organisiert die Wirtschaft? Für mehr Erholung und das Recht auf Müßiggang zu kämpfen, bedeutet, die kapitalistische Ausbeutung grundsätzlich in Frage zu stellen.

Philippe Poutou war französischer Präsidentschaftskandidat und ist Stadtrat in Bordeaux für die Neue Antikapitalistische Partei (NPA)

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