Netanjahu geht aufs Ganze
Von Wiebke Diehl
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will sich um jeden Preis durchsetzen: Zur Beratung seines Plans, den Gazastreifen vollständig zu besetzen, sollte am Donnerstag abend das israelische sogenannte Sicherheitskabinett zusammenkommen. Am Nachmittag sagte der Premier wie zur Bestätigung gegenüber Fox News: »Genau das haben wir vor. Wir wollen Gaza nicht behalten. Wir wollen einen Sicherheitsgürtel, ohne ihn zu regieren.« Von einer zunächst geplanten Ausweitung des Militäreinsatzes sollen auch dichtbesiedelte Gebiete wie die Stadt Gaza im Norden der Küstenenklave betroffen sein. Für Khan Junis im Süden und Teile von Gaza-Stadt hatte das Militär am Mittwoch bereits neue »Evakuierungsaufrufe« veröffentlicht. Ultrarechte Minister im Kabinett Netanjahu fordern zudem eine Vertreibung der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens sowie eine erneute völkerrechtswidrige israelische Besiedlung des Gebiets.
Medienberichten zufolge ist das angebliche Ziel einer Ausweitung des Militäreinsatzes, die Hamas endgültig zu zerschlagen – ohne jede Rücksicht auf die Bevölkerung Gazas oder das Leben der dort noch verbliebenen 49 Gefangenen. Laut israelischen Medienberichten könnte eine Einnahme des gesamten Gazastreifens rund ein halbes Jahr in Anspruch nehmen. Derzeit kontrolliert Israel rund drei Viertel der weitgehend zerstörten Küstenenklave, in der rund zwei Millionen Menschen leben. Die Opposition und die Armeeführung warnen vor den Plänen Netanjahus. Generalstabschef Eyal Zamir meint, die Einnahme des gesamten Gazastreifens werde zu einer »Falle« für die israelische Armee und gefährde das Leben der Geiseln. Daraufhin griff ihn Netanjahus Sohn Jair auf der Plattform X an, seine Haltung gleiche »einer Rebellion und einem versuchten Militärputsch« wie in einer »Bananenrepublik im Mittelamerika der 70er Jahre« und sei »absolut kriminell«.
Vom israelischen TV-Sender Channel 13 am Mittwoch veröffentlichte geheime interne Protokolle der Regierung vom März belegen, dass Benjamin Netanjahu befürwortet hat, die Menschen in Gaza auszuhungern, um so den Widerstand der Hamas zu brechen und eine Kapitulation zu erzwingen. Der Premier schlug demnach den Rat hochrangiger Militärs und Geheimdienstler in den Wind, zu »Phase B« des Waffenstillstandsabkommens überzugehen, in dessen Rahmen alle Gefangenen freigelassen werden sollten. Der Stopp jeglicher Lieferung humanitärer Güter in den Küstenstreifen durch das israelische Kriegskabinett erfolgte also gezielt als Teil der Hungerstrategie. Aus den Transkripten geht außerdem hervor, dass Israel bei den Verhandlungen mit der Hamas entgegen der öffentlichen Darstellung nicht auf Widerstand stieß. Trotzdem eskalierte Tel Aviv und brach den Waffenstillstand.
Derweil befand die Hilfsorganisation »Ärzte ohne Grenzen« in einem auf eigenen medizinischen Daten, Aussagen von Patienten und Zeugenbeobachtungen basierenden Bericht, die Verteilzentren der von den USA und Israel unterstützte Gaza Humanitarian Foundation (GHF) seien »Orte orchestrierter Tötungen und Entmenschlichung«. Die GHF müsse sofort aufgelöst werden. »Israelische Streitkräfte und privates US-amerikanisches Sicherheitspersonal« habe »an den GHF-Verteilstellen gezielt Gewalt gegen hungernde Palästinenser und Palästinenserinnen verübt«. Auch die UNO und große Hilfsorganisationen werfen der GHF vor, in enger Kooperation mit der israelischen Armee zu agieren und gegen die international anerkannten Prinzipien der humanitären Hilfe zu verstoßen. Nach UN-Angaben wurden seit Ende Mai mindestens 1.373 Menschen getötet, als sie versuchten, an Nahrungsmittel zu gelangen. 849 der Tötungen erfolgten in der Nähe von GHF-Verteilzentren. Immer wieder sterben zudem Menschen, weil verzweifelte Hungernde sich auf die wenigen Lkw stürzen, denen Israel gestattet, Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bringen. Laut einem Medienbericht kamen gerade wieder mindestens 22 Menschen zu Tode, nachdem ein Lkw von der israelischen Armee auf eine unsichere Route gezwungen worden war. Als sich Menschen auf den Lkw stürzten, kippte er um und begrub sie unter sich.
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