Beirut will Hisbollah entwaffnen
Von Karin Leukefeld
Die israelische Armee hat den Süden des Libanon erneut mit einer heftigen Angriffswelle überzogen. 19mal bombardierten bewaffnete Drohnen in der Nacht zu Donnerstag Dörfer und Ortschaften entlang der »Blauen Linie«, die nach dem Krieg 2006 von den Vereinten Nationen als Waffenstillstandslinie neu markiert worden war. Aus Deir Siryan, im Bezirk von Marjayoun, wurden drei Verletzte gemeldet, die nicht versorgt werden konnten, weil fortlaufende Angriffe die Rettungskräfte daran hinderten, den Ort zu erreichen. Angriffe gab es auch in Khiam, Sheeba, Ain Arab, Al Wazzani und Bridal in der Bekaa-Ebene. Erst am Mittwoch war der 12jährige Ali Mar’i Awwaleh getötet worden, als ein israelischer Drohnenangriff auf sein Elternhaus in dem Ort Touline (Bezirk Marjayoun) die Garage zerstörte, in der der Junge und sein Vater sich aufhielten. In sozialen Netzwerken kursierte ein Foto des Jungen, auf dem er stolz in die Kamera blickt. In den Händen hält er einen Pokal und ein Ticket nach Scharm Al-Scheich (Ägypten). Dorthin war er am 5. Juli 2025 wegen eines Wettbewerbs im Kopfrechnen geflogen.
Die Angriffe in der Nacht zum Donnerstag folgten einer Entscheidung der libanesischen Regierung, derzufolge die libanesische Armee beauftragt wird, innerhalb eines Monats einen Plan vorzulegen, wie die Hisbollah bis zum Ende des Jahres entwaffnet werden kann. Sie sorgte für Aufregung und Kritik, zumal Präsident Joseph Khalil Aoun mit den verschiedenen politischen Lagern zuvor darüber gesprochen hatte, welches der zahlreichen Szenarien, die seit Monaten diskutiert worden waren, bei der Kabinettssitzung am Dienstag auf der Tagesordnung stehen sollte. Aoun, der lange Jahre Oberkommandierender der Streitkräfte war, gilt als Mann des Dialogs, der seit Amtsantritt versucht, die tiefe politische Spaltung im Land zu überbrücken. Nach seiner Vorstellung sollte die Übergabe der Waffen der Hisbollah an die libanesische Armee Schritt für Schritt erfolgen, ohne Zeitdruck. Dafür sollte Israel zuerst die Angriffe auf Libanon und das Töten von Libanesen einstellen sowie die Waffenruhe vom November 2024 einhalten. Aoun hatte keine grundsätzliche Entscheidung für die Kabinettssitzung vorgesehen, zumal etliche Minister nicht anwesend waren und auch der Oberkommandierende der Streitkräfte, Rodolph Haykal, nicht teilnehmen konnte. Auch die Armeeführung hatte bereits erklärt, unter Zeitdruck bis Ende des Jahres eine Entwaffnung bzw. eine Übergabe der Waffen nicht durchführen zu können.
Doch es kam anders: Unbestätigten Berichten zufolge soll Ministerpräsident Nawaf Salam in Absprache mit Parlamentspräsident Nabih Berri den Plan von Aoun »sabotiert« haben, so die libanesische Tageszeitung Al Akhbar. Sie steht der Hisbollah nahe. Salam habe Präsident Aoun darüber informiert, dass er bei der entscheidenden Regierungssitzung das Papier vorlegen werde, das ihm vom US-Sonderbeauftragten für Libanon Tom Barrack vorgelegt worden war und das auf einen Zeitplan besteht. Salam soll weiterhin mitgeteilt haben, dass er aus dem Ausland enorm unter Druck gesetzt werde. Der Libanon sei in Gefahr, wenn man den Forderungen der USA nicht nachkomme.
Letztlich endete die Regierungssitzung nach mehr als fünf Stunden mit der Ankündigung, dass die Armee einen Plan erstellen und die Entwaffnung der Hisbollah bis Ende des Jahres durchführen müsse. Die Hisbollah reagierte umgehend: Man werde sich so verhalten, als gebe es die Entscheidung nicht, und werde weitere Regierungsberatungen abwarten. Sie böten die Möglichkeit, die Entscheidung zu korrigieren. Am Donnerstag kam das Kabinett erneut zusammen, bis jW-Redaktionsschluss wurde jedoch kein Ergebnis bekannt. Das Geschehen zeigt, wie schwierig es im Libanon ist, angesichts der fortlaufenden israelischen Angriffe und des stetigenden Drucks aus den USA und von deren Verbündeten, politischen und gesellschaftlichen Konsens im Zedernstaat zu erreichen. Die USA fordern und drohen, Saudi-Arabien bezahlt (Politiker), Israel bombardiert. Der Libanon bleibt zerstritten.
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