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Aus: Ausgabe vom 08.08.2025, Seite 6 / Ausland
Neukaledonien

Autonomie ist nicht genug

Neukaledonien: Befreiungsfront gegen Kompromissvorschlag zum künftigen Status der französischen Kolonie
Von Bernard Schmid, Paris
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Geste des guten Willens: Austausch von Geschenken bei Eröffnung eine Gipfels zu Neukaledonien (Paris, 2.7.2025)

Scheitert das erst unlängst am 12. Juli in Bougival bei Paris ausgehandelte Abkommen zwischen Vertretern des französischen Staates und sowohl Befürwortern als auch Gegnern der Unabhängigkeit im »Überseeterritorium« Neukaledonien? Derzeit steht es offenkundig auf der Kippe, nachdem am 31. Juli die politische Partei Union calédonienne (UC) offiziell ihre Ablehnung des weithin als Formelkompromiss aufgefassten Textes bekanntgab, der statt einer echten Unabhängigkeit eine Autonomie bzw. »Souveränität innerhalb Frankreichs« vorsieht, wie es in dem Text heißt.

Die UC ist die stärkste Einzelpartei, die neben drei anderen politischen Formationen der »Sozialistischen und kanakischen nationalen Befreiungsfront« (FLNKS) als gemeinsamer Frontorganisation angehört – ihr steht auch die Gewerkschaft USTKE nahe, obwohl sie der 1984 gegründeten FLNKS seit 1989 nicht mehr formal angehört. Kanaken sind die angestammte melanesische Bevölkerung des Archipels Neukaledonien. Zu ihr gehören derzeit rund 40 Prozent der Bewohner, zur europäischstämmigen Bevölkerung rund 30, weitere gut zehn Prozent entfallen auf sogenannte Mischlinge, der Rest auf polynesische sowie asiatische Gruppen.

Am Sonnabend soll nun der infolge anhaltender Debatten um eine Woche verschobene FLNKS-Kongress stattfinden. Vorab wird mit einer Bestätigung der Ablehnung gerechnet, nachdem sich am 29. Juli von Korsika aus, wo er an einer Veranstaltung dortiger Unabhängigkeitskämpfer teilnahm, auch der FLNKS-Vorsitzende Christian Tein gegen das Abkommen ausgesprochen hatte. Allerdings wird erwartet, dass Mitgliedsgruppen wie die in der kanakisch geprägten Nordprovinz der Hauptinsel ebenfalls aktive Palika (Kanakische Befreiungspartei) – eine der vier Mitgliedsparteien der FLNKS – das Abkommen auf dem Kongress noch verteidigen.

Zwar hatten auch einige FLNKS-Vertreter nach zehntägiger Verhandlung die Vereinbarung in Bougival unterzeichnet. Allerdings steht neben ihrer Unterschrift nicht, dass sie auf Dauer zu ihren Inhalten stehen müssen, sondern nur, dass sie sich »verpflichten, den Text zu verteidigen«, nämlich gegenüber ihrer Basis. Nach der Diskussion finden viele FLNKS-Mitglieder, dieser Pflicht sei dadurch hinreichend Genüge getan, jetzt könne man dieses Kapitel zuschlagen.

Der Kompromissversuch, dessen tatsächliche Annahme ohnehin noch den positiven Ausgang einer Abstimmung der Bevölkerung auf der Inselgruppe im Westpazifik voraussetzen würde, scheint damit vor dem Ende zu stehen. Letztlich ist nur fraglich, ob es dabei bleibt, dass sich nur die an der Zugehörigkeit zu Frankreich festhaltenden »Loyalisten« einerseits und der FLNKS plus Umfeld andererseits ablehnend gegenüberstehen – oder ob das Unabhängigkeitslager zusätzlich gespalten wird. Wobei inzwischen eine Umgruppierung der prokolonialen Fraktion stattgefunden hat: Sie besteht nicht mehr nur aus Konservativen und Vertretern der extremen Rechten, sondern es gibt eine neue Unterströmung, die direkt an das Lager des französischen Präsidenten Emmanuel Macron angelehnt ist.

Den Formelkompromiss von Bougival zerlegen in der Donnerstagausgabe der Pariser Tageszeitung Le Monde zwei Gastautoren, der frühere konservative Inselparlamentarier Laurent Chatenay – der sich in den vergangenen Jahren jedoch als unabhängige Stimme zu profilieren begann – und ein Juraprofessor aus der Inselhauptstadt Nouméa, Matthias Chauchat. Beide pflücken ihn auseinander, indem sie den Text als Instrument der Aufrechterhaltung der französischen Vorherrschaft mit scheinbar gegensätzlichen, doch nur symbolischen Vorzeichen darstellen. Chatenay spricht dabei von dem strategischen Anliegen der französischen Politik, Autonomiewünschen von »Französisch-Guyana« bis Korsika generell den Wind aus den Segeln zu nehmen, um Frankreich das zweitgrößte maritime Hoheitsgebiet des Planeten und damit seinen Großmachtstatus in Atlantik und Pazifik zu erhalten. Doch das kanakische Volk könne sich dabei, so Chatenay, »verraten fühlen«.

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