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Aus: Ausgabe vom 08.08.2025, Seite 6 / Ausland
Bolivien

200 Jahre unabhängig

Bolivien: Wirtschaftliche Probleme, politische Intrigen und drohende Rückkehr der Rechten überschatten Feiern
Von Volker Hermsdorf
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Zum 200. Unabhängigkeitstag können die Bolivianer alles andere als zufrieden sein mit der Situation des Landes (La Paz, 2.6.2025)

Inmitten innenpolitischer Spannungen hat Bolivien am Mittwoch den 200. Jahrestag seiner Unabhängigkeit begangen. Bei dem Festakt in der Hauptstadt Sucre, in der 1825 die Unabhängigkeit von der spanischen Kolonialmacht proklamiert worden war, erinnerte Präsident Luis Arce vor internationalen Gästen an die »heldenhafte Geschichte des bolivianischen Volkes«. Doch die Feierlichkeiten waren überschattet von wirtschaftlichen Problemen, politischen Intrigen und einer drohenden Rückkehr der Rechten. Die Wahlen am 17. August könnten das Ende eines vor zwei Jahrzehnten begonnenen historischen Projektes einleiten, das der indigenen Mehrheit erstmals Würde, Rechte und Mitbestimmung garantierte.

Unter Präsident Evo Morales (2008–2019) und der lange von ihm geführten Bewegung zum Sozialismus (MAS) verringerten sich Armut, Analphabetismus und soziale Ungleichheit wie nie zuvor. Doch während Tausende Menschen auf den Straßen feierten, wurde Arce im Parlament zeitweise ausgebuht. Das Erstarken der Rechten ist nicht ihr eigenes Verdienst, sondern Resultat der Zerstrittenheit des progressiven Lagers. Arce hatte in seiner Rede zunächst auf die Errungenschaften der MAS-Regierungen hingewiesen. »Wir haben die Grundlagen für eine neue Wirtschaftsordnung gelegt. Die Industrialisierung unserer Rohstoffe ist der Weg zur wahren Souveränität«, sagte er. Zugleich räumte er wirtschaftliche Schwierigkeiten wie Kraftstoffknappheit, Devisenmangel und Preissteigerungen ein, die er als »vorübergehend« bezeichnete.

Vizepräsident David Choquehuanca, der als Stimme indigener Bewegungen gilt, warnte vor den Folgen der Zersplitterung: »Nur gemeinsam können wir die neokolonialen Angriffe abwehren.« Seine Kritik am »Caudillismo« – die Bezeichnung für einen autoritären männlichen Politiker – richtete sich unüberhörbar gegen seinen einstigen Förderer und Vertrauten, Expräsident Evo Morales, der parallel in Cochabamba eine Gegenveranstaltung abhielt.

Morales, der in Teilen der MAS-Basis noch immer über großen Einfluss verfügt, rief erneut zum Boykott auf. Sein Kalkül: Sollten genug MAS-Anhänger dem Aufruf folgen, könnte die Wahl annulliert werden. Doch sein Appell droht auch die linken Kräfte weiter zu schwächen. Die jüngsten Umfragen zeichnen ein düsteres Bild für die MAS. Die Rechten Samuel Doria Medina und Jorge Quiroga liegen laut einer am 30. Juli vom Fernsehsender Unitel veröffentlichten Umfrage mit 21,5 und 19,6 Prozent vorn, während MAS-Kandidat Andrónico Rodríguez nur auf 6,1 Prozent kommt. Von den 34 Prozent der noch unentschlossenen Wähler könnten viele Morales’ Aufruf folgen. »Die rechte Opposition hat keine eigenen Stärken, sie profitiert nur von unseren Fehlern«, analysiert Gewerkschaftsführer Juan Carlos Huarachi.

Tatsächlich bieten Medina und Quiroga kaum mehr an als eine Rückkehr zum neoliberalen Modell der 1990er Jahre – mit Privatisierungen, Sozialkürzungen und Annäherung an die USA. Doch in Gewerkschaften, indigenen Bewegungen und MAS-Basisorganisationen regt sich Widerstand.

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