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26.05.2017, 17:40:06 / No G20

»Die Bundeswehr ist nicht die Caritas«

Hamburg: Bündnis »Bildung ohne Bundeswehr« will geplante G-20-Proteste inhaltlich unterfüttern. Ein Gespräch mit Alison Dorsch
Von John Lütten
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Unter dem Titel »Wir wollen eure Kriege nicht!« organisieren Sie mehrere Veranstaltungen, die im Vorfeld des G-20-Gipfels über Ursachen und Interessenlagen verschiedener internationaler Konflikte aufklären sollen. Worauf wollen Sie damit hinaus?

Ein Großteil der Anti-G-20-Arbeit, die bereits angelaufen ist, ist unmittelbar aktionistisch ausgerichtet. Uns ist es aber wichtig, dass vorab auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den beteiligten Staaten stattfindet. Insbesondere die USA und die EU sind heute für Ausbeutung, Elend und Kriege im kapitalistischen Weltsystem verantwortlich. Die Linke hierzulande muss sich damit auseinandersetzen, warum und wie unsere herrschenden Klassen diese Konflikte forcieren und dadurch weite Teile des Globus verwüsten.

Welche Relevanz besitzt der Gipfel Ihrer Meinung nach für die beteiligten Wirtschaftsmächte?

Die G-20-Staaten stehen sich zwar vielfach in politischen und militärischen Auseinandersetzungen gegenüber. Dennoch haben sie gleichzeitig auch gemeinsame Interessen. Wenngleich in unterschiedlichem Maße, profitieren sie vom kapitalistischen Weltsystem. Treffen wie der G-20-Gipfel sind Strukturen, die es den Herrschenden ermöglichen, trotz interner Konkurrenzen und Widersprüche vorübergehend Kompromisse auszuhandeln und punktuell strategisch zusammenzuarbeiten.

Ihre Reihe behandelt u. a. die Beziehungen des Westens zu den Golfmonarchien, den Ukraine-Konflikt und die »Afrika-Strategien der imperialistischen Mächte«. Alles Themen, denen auch die hiesige Linke eher wenig Beachtung schenkt.

Wir wollen bewusst auf diese blinden Flecken aufmerksam machen. Wer »internationale Solidarität« wirklich hochhält, der muss eben auch über den Krieg im Jemen, die Beteiligung von bekennenden Faschisten an einer vom Westen gestützten ukrainischen Regierung und die Ambitionen der Bundesregierung in Afrika reden. Eine schlagkräftige Linke muss erklären können, wo die Ursachen für diese Krisen liegen. Nur so kann sie die beteiligten Akteure politisch beurteilen und wirksame Strategien des Protests und Widerstands entwickeln. Wir müssen die außenpolitische Staatsräson Deutschlands und die NATO zur Disposition stellen, wenn wir den Menschen auf der Welt ein Mindestmaß an Selbstbestimmung ermöglichen wollen.

Fehlt Ihnen also ein antiimperialistischer Fokus bei den geplanten G-20-Protesten?

Nicht nur dort. Es mangelt der deutschen Linken auch über die Anti-G-20-Proteste hinaus an klaren friedenspolitischen, antimilitaristischen und antiimperialistischen Positionen. Darum wird der Propaganda des »Menschenrechtsimperialismus« auch von Linken viel zu oft Glauben geschenkt. Imperialistische Kriege sind jedoch eine systemimmanente Notwendigkeit im globalen kapitalistischen Konkurrenzkampf und werden nicht für Frauen oder Demokratie geführt. Die Bundeswehr ist nicht die Caritas. Die internationalen Beziehungen sind ein globales Netz von ökonomischen Ausbeutungsketten. Es wäre Aufgabe der Linken, sich diese Erkenntnisse kritischer Gesellschaftstheorie anzueignen und aus ihr eine Praxis abzuleiten, die an den Kriegsursachen ansetzt.

Sie selbst werden im Juli über die »Bundeswehr im Einsatz an der Heimatfront« referieren. Was erwarten Sie diesbezüglich vom G-20-Gipfel?

Wir gehen davon aus, dass die Bundeswehr im Kontext der Proteste gegen den Gipfel eingesetzt wird. Kooperation von Polizei und Bundeswehr ist längst Alltag – zum Beispiel bei politischen Großereignissen wie dem G-8-Treffen in Heiligendamm 2007 oder dem OSZE-Gipfel in Hamburg vergangenes Jahr. Derzeit sind vor allem unter dem Stichwort »Terrorabwehr« Vorstöße zu beobachten, die bestehende Kooperation und den Einsatz der Armee im Inland auszubauen und sie ideologisch sowie juristisch besser abzusichern.

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