Hebel der Integration
Von Nico Popp
Die Meinungsverschiedenheiten über den »Russland-Kurs« in der AfD sind, zusammengenommen mit der politisch-medialen Begleitung von außen, eine lehrreiche Sache. Hier deutet sich an, auf welchem Weg – vorerst noch mehr tastend als bewusst – eine Integration der AfD in das für akzeptabel erachtete politische Spektrum und damit eine umfassend handlungsfähige »schwarz-blaue« Mehrheit im Bundestag perspektivisch zustande kommen wird: auf dem »langen Weg nach Westen«, den ja, wie ein Hofhistoriker herausgefunden hat, die ganze Nation zurücklegen musste, um auf der Höhe der Geschichte zu sein. Warum also nicht auch die AfD?
Ein Anlass für ernste Richtungskämpfe ist das allerdings nur sehr bedingt für die AfD selbst. Der Dissens zwischen denen, die nach Russland reisen, und denen, die das lieber bleiben lassen wollen, hat allenfalls taktische Qualität.
Während Weidel (»Ich selbst würde dort nicht hinreisen. Ich würde es auch niemandem empfehlen«) verstanden und auch gar kein Problem damit hat, dass eine Integration mit der abschließenden Zulassung zu einer Bundesregierung nur zu haben sein wird, wenn die vom Standpunkt der Staatsräson tatsächlich grundsätzliche Frage der Loyalität zum »transatlantischen Bündnis« und zu der für verbindlich erklärten Außenpolitik eindeutig beantwortet ist (Auskünfte dazu erteilen die interessierten Akteure in der Linkspartei), gibt es in der AfD weiterhin Kräfte, die diese Frage nicht so schnell so eindeutig beantworten wollen. Der Grund dafür ist nicht rätselhaft: Chrupalla etwa kommt aus einem Landesverband, der mit einer CDU konkurriert, deren Landesvorsitzender und Ministerpräsident regelmäßig vorgibt, mit der deutschen Russland-Politik zu hadern, weil es in Sachsen (wie in den anderen Ost-Ländern auch) mehr Stimmen kostet als einbringt, in dem Ruf zu stehen, man befolge Befehle aus Washington. Nur Verblendete allerdings schließen daraus, dass es in der AfD so etwas wie eine Russland-Fraktion gibt.
Eine Variante dieser »Nicht so schnell«-Haltung ist das Postulat, die AfD sei bereit, international mit »allen relevanten Akteuren« zu reden. Dass man über Gesprächskontakte nach Washington, Moskau und Beijing verfüge, hat der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, am Donnerstag noch einmal betont. Genau hier nimmt Weidel aber nun implizit eine wichtige Qualifizierung vor: Kontakte nach Moskau sind nicht nur nicht von solcher Güte wie jene nach Washington, sondern womöglich sogar unerwünscht. Die kürzlich erteilte Lektion im Fall Frohnmaier – eine für 2026 angekündigte Russlandreise des Abgeordneten zog den Vorwurf des Landesverrats nach sich, während an einer USA-Reise kurz zuvor kein Mensch etwas auszusetzen hatte – trägt Früchte. Hier zeigt sich die Funktion der Verbotsdebatte und der Verratsvorwürfe: Sie sind Hebel zur Herstellung der Salonfähigkeit der AfD. Dafür reichen ein paar Reisetips.
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