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Aus: Ausgabe vom 04.11.2025, Seite 4 / Inland
BSW

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BSW: Entwurf für Leitantrag an Parteitag. Weiter Druck für Neuauszählung der Bundestagswahl
Von Nico Popp
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BSW-Koparteichefin Amira Mohamed Ali und Generalsekretär Christian Leye am Sonntag in Berlin

Das BSW steht nicht ganz zwei Jahre nach der Gründung vor einem kleinen Neustart. Im Dezember findet in Magdeburg ein Bundesparteitag statt, bei dem eine Neuwahl der Parteispitze vorgesehen ist. Außerdem steht eine Umbenennung der Partei an (bei Beibehaltung des Kürzels). Und auch nach der Klausur des Vorstands mit den Landesvorsitzenden am vergangenen Wochenende gibt es vorerst keine klare Aussage dazu, welche Rolle die Parteigründerin und Namensgeberin Sahra Wagenknecht zukünftig im BSW spielen wird. Während ein vollständiger Rückzug nicht zur Debatte zu stehen scheint, ist nicht ausgeschlossen, dass sie den Parteivorsitz, den sie zusammen mit Amira Mohamed Ali innehat, abgibt. Aus gesundheitlichen Gründen hatte Wagenknecht nicht an der Klausur teilgenommen. Geplant sei, in dieser Woche einen Personalvorschlag für den neuen Vorstand vorzulegen, sagte Mohamed Ali am Sonntag.

Das wesentliche Resultat der Klausur ist der 15seitige Entwurf für einen Leitantrag, der als Standortbestimmung dem Bundesparteitag vorgelegt werden soll. Zur politischen Lage heißt es darin, die »schwarz-rote« Regierung sei jetzt schon so unbeliebt wie »die desolate Ampel nach drei Jahren«. Es drohten »rabiate Kürzungen bei sozialer Sicherheit, Gesundheit, Pflege und Rente«, um das Aufrüstungsprogramm zu finanzieren. Diese Regierungspolitik sei der »rote Teppich für die AfD ins Kanzleramt«. Gegen die »mediale Stimmungsmache« für die Aufrüstung heißt es in dem Antrag, die NATO sei Russland konventionell um ein Vielfaches überlegen: »Selbst die Rüstungsausgaben der europäischen NATO-Staaten übertreffen die der russischen Kriegswirtschaft deutlich.« Die Vorstellung, »Russland würde die mächtigste Militärallianz der Welt angreifen und stünde morgen vor dem Brandenburger Tor«, sei »ein Phantomschmerz, der uns auf einen gefährlichen Weg führt«. Nötig seien »Entspannungspolitik und Interessenausgleich«.

Die Opposition im Bundestag sei aber »ein Totalausfall«. Auch die Linkspartei habe den Aufrüstungskrediten im Bundesrat zugestimmt und befürworte zusammen mit den Grünen eine Verschärfung der Sanktionen im Energiebereich gegen Russland. In Richtung der AfD heißt es, die Partei unterstütze »das Wettrüsten, laviert bei der Wehrpflicht, will die Erben leistungsloser Millioneneinkommen von allen Steuern befreien und im Gegenzug soziale Leistungen kürzen«.

Bei den Landtagswahlen 2026 will das BSW »mindestens« in die ostdeutschen Landtage einziehen. Für Koalitionen, deren einziger Zweck es sei, »die AfD aus der Regierung zu halten«, stehe man anschließend nicht zur Verfügung. Die »Brandmauer« mache die AfD nur stärker. Das BSW wolle die Partei politisch stellen.

Auch die angestrebte Neuauszählung der Bundestagswahl ist ein Thema in dem Antragsentwurf. Inzwischen sei sicher, dass die Wahl »nicht korrekt ausgezählt« wurde. Merz sei »sehr wahrscheinlich der erste Bundeskanzler, der ohne demokratische Legitimation ins Amt gekommen ist«. Bekanntlich haben der Partei im Februar mit 4,981 Prozent Stimmenanteil lediglich 9.500 Stimmen zum Überspringen der Fünfprozenthürde gefehlt. Bei Teilüberprüfungen unmittelbar nach der Wahl sind auffallend viele Zählfehler zum Nachteil des BSW festgestellt worden, und die Parteiführung gibt sich überzeugt, dass das BSW im Parlament wäre, wenn flächendeckend neu ausgezählt werden würde. Eine nur für das BSW relevante Korrektur wäre das nicht: Alle jetzt im Bundestag vertretenen Parteien müssten ein paar Mandate abgeben, und die Regierung hätte keine Mehrheit mehr.

Das BSW ist bei dem Thema in den vergangenen Monaten am Ball geblieben und hat in dieser Frage eine gewisse Unterstützung außerhalb der Partei mobilisieren können. Zuletzt forderten Wagenknecht und Mohamed Ali Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) schriftlich auf, dafür zu sorgen, dass der Wahlprüfungsausschuss so schnell wie möglich über die dort vorliegende Beschwerde des BSW entscheidet. »Sollte das Verfahren weiter hinausgezögert werden«, sehe man sich gezwungen, das Bundesverfassungsgericht »wegen des dann offenkundigen Verstoßes« gegen die vom Gericht aufgestellten Anforderungen an die Wahlprüfung anzurufen, heißt es laut Stern in dem Schreiben an Klöckner. Auch Johannes Fechner, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, sprach sich kürzlich gegenüber der Märkischen Allgemeinen dafür aus, in der Sache noch 2025 zu entscheiden. Lehnt der Bundestag eine Neuauszählung ab, kann das BSW in Karlsruhe klagen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (4. November 2025 um 14:31 Uhr)
    Und da isse wieder: die totalitaristische Fünfprozenthürde. Seit 36 Jahren frage ich mich, wann endlich eine repräsentative Erhebung modern (zeitgemäß/angesagt/-gebracht) erscheint, die unter den hiesigen Wahlberechtigten aufklärend wirkt? Vier Fragen zu jener ominösen Voraussetzung der gefährdeten Politikfähigkeit von Parlamenten: 1. Welche Partei würden Sie bei der Dreiprozenthürde wählen? 2. Welche bei der Einprozenthürde? Welche ohne Hürde? 4. Welche bei einer 15-Prozent-Hürde? Denn dieses vollkommen demokratiefeindliche und überzogene Fünfprozentkonstrukt zwingt zu taktischen Wahlentscheidungen, die bei Millionen Teilnehmenden den tatsächlichen Interessen widersprechen. – Aber nichts wird sich ändern lassen. Denn im Bundestag besteht kein Interesse an realer Interessenvertretung nach den Fragen zwei und drei. Schlagender Beweis: der Umgang mit der Forderung des BSW in eigener Sache. Nicht ein MdB – erst recht nicht eine Partei – unterstützt das BSW. Diese Demokratie schreit zum Himmel. Denn sie kennt Volksentscheide nur dem Namen nach. Der Begriff ist ein Idyll.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (3. November 2025 um 21:29 Uhr)
    Die Entwicklung der letzten Wochen und Monate zeigt eines ganz deutlich – das BSW wird gebraucht. Und zwar im Bundestag! Als einzige konsequente Friedens- und Antikriegspartei, als Partei, die sich dagegen stemmt, dass die prekär Beschäftigten und die Menschen mit kleinen Renten für den Rüstungswahn von Merz und Co. bluten müssen. Bluten im doppelten Sinne – einerseits über ihre Haushaltskassen, andererseits selbst oder über ihre Familienmitglieder, die im Falle eines Falles Futter für den Fleischwolf an der Front sind, dem Machthunger des Westens dienen sollen. 2,5 Millionen Menschen haben dem BSW bei der Bundestagswahl 2025 ihre Stimme gegeben - 2,5 Millionen werden ins Abseits gestellt. Sollte so etwas in China, Russland oder sonst wo in der Welt geschehen, wären das für den wertegeleiteten Westen Autokratien, undemokratische Diktaturen. Es muss endlich vorwärtsgehen mit der Neuauszählung! Alle Mitglieder der Wahlprüfungskommission sollten endlich begreifen, was hier passiert, das beendet die eh schon sehr marode Demokratie in Deutschland endgültig! Und macht den wirklich antidemokratischen Kräften den Weg frei. Lernt endlich aus 1933!!!
    • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (5. November 2025 um 10:40 Uhr)
      »Die Entwicklung der letzten Wochen und Monate zeigt eines ganz deutlich – das BSW wird gebraucht.« Der Meinung bin ich auch und würde BSW wählen, wenn mir hier örtlich durch die Laufzeiten der Zusendung der Wahlunterlagen die Briefwahl nicht unmöglich gemacht werden würde. Da geht es den in Russland lebenden deutschen Staatsbürgern ebenso, wie den in Russland lebenden moldauischen Staatsbürgern. Deren Stimmen eliminiert man auf diese Weise, weil man mit Recht vermutet, dass diese im Ausland lebenden Bürger mit großem Anteil oppositionell gestimmt – und mit der deutschen Politik nicht einverstanden sind. Tatsache ist aber, dass ca. 95 Prozent der in Deutschland lebenden Wahlberechtigten, die an der Wahl teilnahmen, der Meinung sind, dass das BSW eben nicht gebraucht wird. Die erdrückende Mehrheit findet, dass die jetzt im Bundestag vertretenen Parteien genügen. So muss man konstatieren, dass nahezu die Mehrheit der deutschen Wählerschaft eine Mitverantwortung dafür trägt, dass sich die Kriegsgefahr erhöht. Sie können dieses Mal später nicht behaupten: »Aber davon habe ich ja gar nichts gewusst«, da sehr wohl in der Öffentlichkeit eine Flut von Informationen über Parteien wie das BSW oder über Medien abseits des Mainstreams vorliegen, wesentlich mehr als vor 1945. Man darf nicht alles auf die Propaganda schieben und die Bürger von der Selbstverantwortung frei sprechen. Es macht sich halt besser, bei den Einkünften, im Beruf bei der Karriere, bei den Nachbarn, Berufskollegen und in der Familie bei Meinungsäußerungen nicht das schwarze Schaf spielen zu wollen. So denken Abgeordnete, Richter, Journalisten, Kabarettisten usw. Käme das BSW doch noch in den Bundestag, könnte sich der Wähleranteil später zwar verdoppeln und mehr. Aber das würde im Prinzip an all dem nichts ändern. Ich glaube, der größte Hemmschuh für den Wahlerfolg ist es, wenn eine Partei wie das BSW an den gesunden Menschenverstand appelliert. Das Personal dort ist zum Hetzen nicht geeignet.

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