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Aus: Ausgabe vom 13.11.2025, Seite 4 / Inland
AfD und Russland

Zwischen NATO und Noworossija

AfD-Spitze untersagt Abgeordneten Treffen mit Medwedew. Chrupalla sieht keine russische Gefahr
Von Philip Tassev
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Der ostdeutsche Handwerksmeister Tino Chrupalla und die Unternehmensberaterin aus NRW, Alice Weidel, teilen sich den AfD-Vorsitz (Berlin, 6.11.2025)

Der AfD-interne Umgang mit einer geplanten Russland-Reise von Abgeordneten der Partei offenbart einmal mehr den Widerspruch zwischen der transatlantischen und der eurasischen Fraktion. Vergangene Woche hatte das Nachrichtenportal T-online berichtet, dass mehrere AfD-Politiker vorhätten, vom 13. bis zum 16. November an einem von der Russischen Akademie der Wissenschaften organisierten BRICS-Symposium im Schwarzmeerbad Sotschi teilzunehmen – und sich dabei möglicherweise mit Dmitri Medwedew zu treffen. Der gegenwärtige Vorsitzende der Regierungspartei Einiges Russland ist zugleich Vizechef des russischen Sicherheitsrates, gilt als loyaler Gefolgsmann von Präsident Wladimir Putin und wird im Westen von NATO-Anhängern für seine mitunter ziemlich provokanten Verbalattacken besonders gehasst.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Rainer Rothfuß hatte gegenüber T-online bestätigt, dass er plane, am Abend vor der Konferenz an einer Diskussionsrunde mit Medwedew teilzunehmen. Diese Runde sei schon im Jahr zuvor ein »lohnender Termin« gewesen und habe einen »so differenzierten wie intensiven Blick« ermöglicht. Neben Rothfuß wollten auch der Bundestagsabgeordnete Steffen Kotré, der EU-Abgeordnete Hans Neuhoff und der sächsische AfD-Landeschef Jörg Urban nach Sotschi reisen.

Zumindest aus dem Treffen mit Medwedew wird wohl aber nichts werden. Nach dem T-online-Bericht brach in der deutschen Presse- und Parteienlandschaft ein Sturm los, CSU-Generalsekretär Martin Huber schimpfte auf die »Landesverräter«, die SPD-Vizefraktionschefin Sonja Eichwede sah in den Reiseplänen einen »gezielten Angriff« auf die BRD. Daraufhin ruderte die AfD-Führung zurück und untersagte ihren Parteimitgliedern ein Treffen mit Medwedew.

Am Dienstag verkündete AfD-Kochefin Alice Weidel im Bundestag dann, der Abgeordnete Rothfuß habe sich »nach diversen Gesprächen mit Kollegen« ganz »aus eigenen Stücken« entschieden, überhaupt nicht mehr an der Reise teilzunehmen. Aus den Reihen der AfD-Bundestagsfraktion werde nur noch Kotré nach Sotschi fliegen. Zugleich drohte sie aber mit Disziplinarmaßnahmen. Es seien »sehr klare« Rahmenbedingungen vorgegeben worden. »Derjenige, der sich nicht daran hält, muss die Konsequenzen tragen, und das wird hochgehen bis zum Parteiausschluss«. Sie könne sowieso »nicht verstehen, was man da eigentlich soll«, würde selbst »dort nicht hinreisen« und es »auch niemandem empfehlen, weil ich nicht weiß, was letztendlich das Ergebnis sein soll«. Es habe wegen der fehlenden »Sinnhaftigkeit der Reisen« große »Unzufriedenheit« in der Fraktion gegeben. Zwar werde es Frieden in »Europa« nur »mit Russland geben und nicht gegen Russland«. Aber ob Gespräche in Sotschi der richtige Kanal seien, »lasse ich mal dahingestellt«, so Weidel.

Schließlich kündigte sie auch Beratungen in der Fraktionsführung darüber an, »wie wir unsere Reisen zukünftig reglementieren«. So wie bisher »sollten wir nicht weitermachen, das können wir uns nicht leisten«. Der Genehmigungsprozess müsse »anders strukturiert werden«.

Weidels Kovorsitzender Tino Chrupalla hingegen schlug in der ZDF-Sendung »Markus Lanz« am Dienstag abend ganz andere Töne an. In der ansonsten von strammen NATO-Apologeten besetzten Gesprächsrunde stellte der in der DDR aufgewachsene Politiker fest, was auch schon ganz andere Organisationen wie etwa Greenpeace erkannt haben: »Ich sehe aktuell durch Russland keine Gefahr für Deutschland«. Den Exkanzler Gerhard Schröder (SPD) verteidigte Chrupalla als den letzten Bundeskanzler, »der Deutschlands Interessen wahrgenommen« habe. Und Medwedew sei einfach nur »der Herr Kiesewetter Russlands«.

Ob jetzt wirklich der Konflikt mit Weidel »eskaliert«, wie man sich das bei Springers Bild offenbar wünscht, bleibt abzuwarten. Die Arbeitsteilung zwischen den beiden Vorsitzenden funktioniert bisher gut. Während die Weidel-Fraktion für Akzeptanz beim transatlantischen Establishment wirbt, fängt der Flügel um Chrupalla die von der Westanbindung enttäuschten ostdeutschen Massen ein und integriert diese somit wieder in das parlamentarische System. Das ist kein Landesverrat, eher eine Stabilisierung der herrschenden Verhältnisse. Die CSU sollte dankbar sein.

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  • Leserbrief von Volker Wirth aus Berlin (17. November 2025 um 14:36 Uhr)
    »Noworossija«? Im Text kommt der »Ländername« nicht vor. Und Sotschi liegt ganz woanders. Nach 1783 gab es das mal. Was ist »Noworossija« aber heute?

    Es gab vor über 20 Jahren das linksutopische Projekt einer Föderation »Noworossija« aus den acht mehrheitlich russischsprachigen Oblasti im Osten der Ukraine. Nur die Donezker Volksrepublik und die Lugansker Volksrepublik erblickten dann aber »das Licht der Welt«. (»Um des lieben Friedens willen« blieben z. B. Charkow und Odessa unter der Herrschaft der »Ukronationalisten« bzw. Faschisten.)
    Immerhin gab es aber in diesen »Volksrepubliken« sowie Cherson und Saporoschje 2022 Volksabstimmungen über den Anschluss an Russland, wie in den beiden o.g. Volksrepubliken 2014 über den Austritt aus der Ukraine. Kiew wollte sowas immer notfalls gewaltsam verhindern, sogar mit dem Einsatz der Armee gegen das eigene Volk. Es kam, wie es kommen musste.

    Nimmt man die ukrainischen Wahlergebnisse seit etwa 2000 zum Ausgangspunkt, dann liegt »Noworossija«, traditionell die Basis der »prorussischen« Partei der Regionen und des Präsidenten Janukowitsch, später, bis zu deren Verbot, der »Oppositionsplattform«, ostwärts der westlichen Gebietsgrenzen von Odessa – Nikolajew-Saporoschje – Dnepropetrowsk – Charkow. Davon ist bisher, in rund dreieinhalb Jahren, nur ein Teil durch Russland erobert oder befreit und annektiert worden. Da speziell Britannien und Deutschland es zum Feind erklärt haben, die USA u. a. m. es faktisch weiter als solchen behandeln, darf es sich auch nicht zu sehr hier engagieren, sondern muss auf einen langen Abnutzungskrieg setzen. »Noworossija« wird danach wohl Südwestrussland sein.
    Volker Wirth, Berlin

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