Zu den Waffen
Stell dir vor, es ist Musterung, und keiner geht hin. Vorerst möchte man bei der Wehrpflichtregelung auf Freiwilligkeit setzen. 2027 soll ein kompletter Jahrgang von 300.000 Männern gemustert werden, um einen Überblick über das vorhandene Humanmaterial zu gewinnen. Sollte die Begeisterung der Jugend ausbleiben, will man über andere Formen der Rekrutierung nachdenken, Zwangseinzug via Losverfahren zum Beispiel. Bis dahin greifen Anreize wie ein monatliches Bruttogehalt von 2.500 Euro. Ein Betrag, für den man sich gern anschreien lässt. Nach den Tarifregelungen besagten Jahres 2027 läge das Gehalt immerhin 23 Euro über dem gesetzlichen Mindestlohn. Sieben weniger als jene dreißig, die Jesus einst kostete.
Ob der Heiland heute zur Musterung erschiene, lässt Militärbischof Franz-Josef Overbeck gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur offen. Die Frage nach der Wehrpflicht beantwortet er dagegen klar mit Jein: Eine Pflicht zum Wehrdienst greife in die Freiheitsrechte ein, doch wäre sie dann »legitim, wenn trotz aller Bemühungen die freiwillige Rekrutierung nicht ausreicht und der Bundestag in einem demokratischen Verfahren über eine Bedarfswehrpflicht entscheidet«. Sie ist also falsch, es sei denn, sie wird beschlossen. Aus höheren Gründen, versteht sich, denn »eine zentrale Erkenntnis der Zeitenwende ist doch die folgende: Nicht nur die Armee, die ganze Gesellschaft muss resilient sein.« Durchmilitarisierung bis in den Alltag hinein – der Feldgeistliche, den man vielleicht noch Kanonen wird segnen sehen, fordert, was längst begonnen hat.
Große Sorgen macht sich auch Ralph D. Thiele, Oberst a. D. Im Interview mit Die Zeit fordert er, dass »wir künftig systematisch alle potentiell wehrdienstfähigen jungen Männer erfassen wollen. Wir wissen dann endlich, wo sie wohnen«. Freiwilligkeit habe »noch nie wirklich funktioniert«. Dass Rekruten rasch wieder quittieren, führt der Militärmann auf die schlechte Ausrüstung zurück. Von den Panzerhaubitzen nämlich, »die funktionieren, geht die Hälfte in die Ukraine«. Es gäbe da eine praktische Lösung, auf die der Oberst aus beruflichen Gründen nicht kommen wird.
Das Bild genannte Fachblatt für Patriotismus nutzt das Leserzitat als bewährte Technik, dennoch zu sagen, was zu gehässig wäre, es selbst zu sagen: »Tja, warum soll es den heutigen Jungerwachsenen besser gehen als uns?« Warum sollte es ihnen nicht besser gehen als uns? War das nicht eigentlich mal der Grund, aus dem wir morgens aufgestanden sind, der jungen Garde die Stullen zu schmieren? (fb)
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