Der Wunschzettel der Bundeswehr
Von Philip Tassev
Die deutsche Bourgeoisie möchte wieder einmal »die stärkste konventionelle Armee Europas« haben. Die entsprechende Ansage von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Mai dieses Jahres war nicht überraschend. Schon seit der damalige US-Präsident Barack Obama im Jahre 2011 den »Schwenk nach Asien« (Pivot to Asia) ausgerufen hatte, war abzusehen, dass die USA früher oder später Truppenteile aus Europa abziehen und auf den »indopazifischen« Schauplatz verlegen werden, um sie gegen die Volksrepublik China in Stellung zu bringen. Auch der gegenwärtige Aufmarsch der US-Marine vor der venezolanischen Küste muss in diesem Zusammenhang betrachtet werden.
Es war dementsprechend auch klar – und deutsche Politiker und Militärs betonen das immer wieder –, dass die BRD im Rahmen der NATO-internen Arbeitsteilung »mehr Verantwortung in Europa« übernehmen muss. Die Bundeswehr – in den vergangenen Jahrzehnten zu einer reinen Interventions- und Besatzungstruppe im Gefolge der USA verkommen – soll wieder in die Lage versetzt werden, es mit einem technologisch ebenbürtigen Gegner aufnehmen zu können: Russland.
Dazu braucht es – neben Personal – massenhaft neues Großgerät. Das Springer-Portal Politico durfte einen Blick auf den »Wunschzettel« der Bundeswehr werfen. Das 39seitige Papier – den Angaben zufolge eine Planungsübersicht über Rüstungskäufe, die im Haushalt 2026 konkretisiert werden sollen – listet demnach ungefähr 320 Beschaffungsprojekte in Höhe von rund 377 Milliarden Euro für alle Teilstreitkräfte auf: für Heer, Marine, Luftwaffe (samt dem ihr unterstellten Weltraumkommando) und die Cybertruppe.
Aus der Liste geht deutlich hervor, dass die Milliardenhochrüstung – neben der militärischen und geostrategischen – vor allem ökonomische Bedeutung hat: Sie ist ein großzügiges Konjunkturpaket für die deutsche Schwer- und Hightechindustrie. Wie Politico feststellt, haben von den 320 Projekten bisher 178 einen Vertragsnehmer. Und der heißt in 160 Fällen: Rheinmetall.
Der Waffenschmiede aus Düsseldorf und ihren Tochterunternehmen werden in dem Dokument insgesamt 53 Aufträge in Höhe von mehr als 88 Milliarden Euro zugeteilt. Davon gehen 32 Milliarden Euro direkt an den Konzern und weitere 56 Milliarden Euro an Ableger und Joint Ventures mit Rheinmetall-Beteiligung.
Dazu zählt das Gemeinschaftsprojekt mit dem deutsch-französischen Panzerbauer KNDS, der bis Anfang vergangenen Jahres noch unter dem Namen Krauss-Maffei Wegmann firmierte. Gemeinsam produzieren beide Unternehmen den Schützenpanzer »Puma« und den Multifunktionsradpanzer »GTK Boxer«. Die Bundeswehr plant laut Politico die Beschaffung von insgesamt 687 »Pumas« bis 2035. Bislang verfügt das Heer über 350 dieser zwar als modern und gut geschützt geltenden, aber auch sehr mängelbehafteten Panzerfahrzeuge. Das Verteidigungsministerium hatte Ende 2022 eine Großbestellung über mehr als 200 »Puma«-Schützenpanzer aufgrund von zahlreichen technischen Problemen zurückgezogen, nur um dann ein halbes Jahr später erneut 50 Stück für rund 1,5 Milliarden Euro zu ordern.
Von dem »Boxer«-Radpanzer besitzt die Bundeswehr bisher rund 400 Exemplare verschiedenster Versionen, weitere 350 sind bestellt. Die Kosten liegen je nach Variante zwischen etwa fünf und zehn Millionen Euro pro Stück.
Ein neuer »nationaler Champion«
Der Rheinmetall-Konzern profitiert auch von den Plänen zum Aufbau einer Drohnenabwehr. Die Armee möchte zu diesem Zweck 561 mobile Flugabwehrsysteme vom Typ »Skyranger« beschaffen, zuzüglich Munition und Raketen. Das System besteht im Grunde aus einer Schnellfeuerkanone, die auf ein Trägerfahrzeug montiert wird. Die Bundeswehr nutzt dafür ebenfalls den »GTK Boxer«. Ausgestattet werden soll der »Skyranger« zudem mit Boden-Luft-Raketen des Unternehmens MBDA, das seinen Deutschland-Sitz im oberbayerischen Schrobenhausen hat.
Wenn also Politico einzig Rheinmetall als den großen Gewinner des Aufrüstungspakets darstellt, ist das nur die halbe Wahrheit. Der Konzern, der selbst auch Komponenten für die Autoindustrie produziert, ist längst auf dem Weg, eine ähnlich zentrale Stellung in einem Geflecht aus Zulieferern einzunehmen, wie sie lange Zeit die großen Autohersteller innehatten. Bisweilen ist vom Entstehen eines neuen »nationalen Champions« die Rede.
Das Beispiel »Puma« zeigt das deutlich. An der Produktion dieses 30-Millionen-Euro-Gefährts ist neben den Düsseldorfern und KNDS mindestens ein Dutzend weiterer Firmen – zumeist deutsche – beteiligt, darunter der Radarbauer Hensoldt, Getriebehersteller Renk, Motorenproduzent MTU, Heckler & Koch und Jenoptik. Mehrere Zulieferbetriebe der Autoindustrie wie die Schaeffler AG oder Deutz sind inzwischen in die Belieferung von Rüstungskonzernen eingestiegen oder planen, dies zu tun.
Auf künftige Großbestellungen kann sich auch Diehl Defence freuen. Der in Überlingen am Bodensee ansässige Konzern ist vor allem als Hersteller des Flugabwehrsystems IRIS-T bekannt. Die Bundeswehr möchte davon laut der »Wunschliste« 14 Stück für rund 3,2 Milliarden Euro beschaffen, dazu rund 700 Raketen für fast eine weitere Milliarde.
Aber nicht nur Drohnenabwehr, sondern auch eigene Drohnen finden sich auf der Liste. Für etwa 1,6 Milliarden Euro soll demnach ein Dutzend Fluggeräte vom Typ »Luna NG« beschafft werden. Die ebenfalls von Rheinmetall produzierten unbemannten Aufklärer werden bei der Bundeswehr unter der Bezeichnung HUSAR eingeführt. Die Marine soll mindestens vier Drohnen vom Typ »uMAWS« für den Preis von schätzungsweise 675 Millionen Euro erhalten.
Transatlantische Abhängigkeit
Während also bisher vorgesehen ist, einen Großteil der künftigen Bewaffnung und Ausrüstung der Bundeswehr bei der heimischen Industrie zu kaufen, fallen für Bestellungen bei der US-Rüstungsindustrie »nur« ein paar Milliarden ab. Insgesamt seien in der internen Planung der Bundeswehr etwa 25 Auslandsprojekte in Höhe von rund 14 Milliarden Euro ausgewiesen – also weniger als fünf Prozent der insgesamt beantragten Ausgaben in Höhe von 377 Milliarden Euro.
Diese fünf Prozent haben es allerdings in sich. Sie beinhalten nämlich, wie auch Politico feststellt, beinahe die gesamten Fähigkeiten sowohl zum Einsatz von Nuklearwaffen und weitreichenden Marschflugkörpern als auch zur luftgestützten Fernaufklärung und U-Boot-Bekämpfung.
Zum einen ist der Erwerb von 15 weiteren Kampfjets vom Typ Lockheed Martin F-35 »Lightning II« geplant – zusätzlich zu den bereits bestellten 45 Maschinen. Die Kosten dafür werden mit 2,5 Milliarden Euro angegeben. Die Luftwaffe ist auf diese Flugzeuge angewiesen, wenn sie weiterhin an der »nuklearen Teilhabe« der NATO beteiligt sein will, zumal es mit der Entwicklung eines europäischen Kampfflugzeuges der 6. Generation (FCAS) aufgrund von Streitigkeiten zwischen deutscher, französischer und spanischer Industrie nicht vorangeht.
Weiter plant die Bundeswehr die Beschaffung von Cruise-Missiles vom Typ »Tomahawk«. Die Marschflugkörper mit bis zu 2.500 Kilometern Reichweite samt den dazugehörigen Abschussvorrichtungen sollen – ebenso wie die F-35 – über das US Foreign Military Sales Program direkt beim US-Militär erworben werden. Kosten: rund 1,15 Milliarden Euro für 400 »Tomahawks« und 220 Millionen für drei Raketenstartrampen aus US-Beständen. Auch direkt aus dem Arsenal der US-Streitkräfte kommt der neue Seefernaufklärer und U-Boot-Jäger Boeing P8 »Poseidon« – vier Stück für 1,8 Milliarden Euro.
Alles in allem ergibt sich so das Bild einer umfassenden Förderung der heimischen Industrie bei gleichzeitiger Beibehaltung einer gewissen Abhängigkeit von den USA, vor allem bei den Fähigkeiten zur strategischen Kriegführung.
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