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Aus: Ausgabe vom 08.11.2025, Seite 5 / Inland
Politisch erzeugte Krise

Kein Wintermärchen

Deutsche Wirtschaft im Stimmungstief. Positive Signale fehlen oder sind überbewertet
Von Klaus Fischer
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Konsumenten nicht in Kauflaune – Folge: Die produzierten Vehikel mit den Elektromotoren aus Grünheide bleiben auf Halde

Der »traurige Monat November« macht seinem Namen alle Ehre. Als Heinrich Heine 1844 »Deutschland. Ein Wintermärchen« schrieb, konnte er nicht ahnen, dass das Land 181 Jahre später in einer ähnlich depressiven Phase stecken würde. Die anhaltende Wirtschaftskrise hat gerade bei jenen, die maßgeblich für das materielle Wohl aller verantwortlich sind (genannt Wirtschaft), tiefe Zweifel hinterlassen. Vertreter von Kapital und Arbeit verlieren die Hoffnung auf Besserung. Die Ursachen jedoch werden nur verbrämt benannt oder durch Festhalten an realitätsfremden »Erzählungen« konterkariert.

»Betriebe im Stimmungstief« leitete dpa am Donnerstag die Berichterstattung über eine Umfrage ein. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) hatte in 23.000 Betrieben gefragt, wie denn der Stand der Konjunktur ist. Das Ergebnis entsprach den Erwartungen. Jedes vierte Unternehmen rechne mit einer Verschlechterung. »Die Stimmung hat sich seit Regierungsantritt nicht verbessert, sondern im Gegenteil leicht eingetrübt«, zitierte die Nachrichtenagentur DIHK-Hauptgeschäftsführerin Helena Melnikov.

Konzerne, Mittelstand und Handwerk äußerten Besorgnis. Und alle weisen auf die Politik. Denn der Kern der Krise, die die größte EU-Volkswirtschaft im Zangengriff hält, liegt darin, dass sie letztlich ein politisch erzeugtes Problem ist. Auch und vor allem in Deutschland. Drei grundlegende politische Entscheidungen führten dazu, dass sie besonders toxisch wirkt: Die zunehmende Energieknappheit mit hohen Stromkosten verringert die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen. Der Wirtschaftskrieg gegen Russland seit 2022 sowie die fehlende Gegenwehr bezüglich der global-ökonomischen Reconquista des US-Kapitals (Zollkrieg, Sanktionen, Erpressung). Die Fehlallokation von Steuergeld in den vermeintlichen Versuch, das Klima durch Verbote, Vorschriften und Strafzahlungen auf Energieverbrauch zu »retten«.

Gerettet wurde eher Tesla-Chef Elon Musk. Als Profiteur des Klimawandels soll er von seinen Aktionären mit fast 1.000 Milliarden US-Dollar Bonus bedacht werden und steigt zum ersten US-Billionär auf. Ein Großteil der Profitabilität des E-Auto-Herstellers beruht darauf, dass Hersteller von Kfz mit Verbrennungsmotoren wie Ford oder GM von Musks Unternehmen Verschmutzungszertifikate kaufen müssen.

Gleichzeitig verschieben sich die Gewichtungen der Weltwirtschaft weiter zugunsten Chinas, Indiens, Indonesiens und vieler Staaten Südostasiens – die allerdings auch unter der Disruption der globalen arbeitsteiligen Prozesse durch die Trump-Administration leiden. Die alten Mächte Europas verharren in gesellschaftlicher Agonie, während sie einen nicht gewinnbaren Krieg gegen Russland führen. Stahlerzeugung in der EU gerät zum abenteuerlichen Spektakel, CO2-Preise – die Staat und EU abpressen – werden wie ein feudales Lehen behandelt. Und wirken auch so – ohne tatsächlich Grundrente zu sein.

In der BRD indes herrscht geschäftige Ratlosigkeit. Die Kapitallobby fordert einen Politikwechsel und verlangt vom Staat bzw. Steuerzahler Kompensationen. Handwerkspräsident Holger Schwannecke fasste die Lage am Donnerstag so zusammen: »Die Zuversicht, die in weiten Teilen des Handwerks mit dem Regierungswechsel verbunden war, ist weitgehend aufgebraucht.« Und nun?

Es gibt auch »gute Nachrichten«. Überraschend seien die BRD-Exporte in die USA im September um 1,4 Prozent im Vergleich zum Vormonat gewachsen, berichtete Reuters am Freitag. Übersetzt: Seht, alles ist gar nicht so schlimm. Dummerweise bringt das wegen der Zölle kaum Profit, und zugleich schrumpften die Exporte nach China. Hier gingen die Ausfuhren im Vormonatsvergleich zurück, und der Rückgang im Vorjahresvergleich war wie bei US-Exporten zweistellig.

Und da ist noch BRD-Umweltminister Carsten Schneider (SPD). Der erklärte mit Blick auf die gigantische Klimakonferenz in Brasilien am Freitag in der ARD stolz: Deutschland setze »alles daran, dass wir bis 2045 klimaneutral sind«. Schneider will die industrielle Basis in Deutschland erhalten und modernisieren, um sie auf Märkte vorzubereiten, »die weltweit im Entstehen sind, die klimaneutral sind und auf Clean Tech setzen«. Das sei »der neue Exportschlager«.

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