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Exportaufschwung ausgeschlossen

Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs
Von Lucas Zeise
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Gerhard Schröder ist bei der fast Allparteienkoalition im Land verhasst, weil er an den geschäftsmäßig guten Beziehungen zum Erzfeind Russland (billige Energie gegen Fertigprodukte) festhält. Zugleich wird er über den grünen Klee gelobt, weil er mitten in der Wirtschaftskrise 2000 bis 2003 die Agenda 2010 durchsetzte. Sie war auf ganzer Linie erfolgreich. Ein großer, nur zum Teil staatlich subventionierter Niedriglohnsektor wurde geschaffen und das Lohnniveau in Deutschland wurde auf breiter Front abgesenkt. Das verschaffte dem deutschen Industriekapital einen enormen Vorteil gegenüber allen Wettbewerbern auf dem Weltmarkt, besonders gegenüber denen in der Euro-Zone, die ihre Produktion nicht mehr durch eine Abwertung auf klassische Weise billiger machen konnten. Ab 2005 rasten die Ausfuhren Deutschlands hoch. Die Einfuhr dagegen blieb schwächlich, weil die Regierung Merkel, auch damals zusammen mit den Sozialdemokraten (unter Franz Müntefering), die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte erhöhte und die Kaufkraft der Ärmeren im Land zusätzlich minderte.

Deutschland wurde damit in klassischer Weise durch einen Exportboom aus der Rezession gezogen. So müssen wir es heute wieder machen, raten die Wirtschaftsverbände, die superschlauen Ökonomen und die aufs Nachplappern trainierten Journalisten der Regierung, die nicht recht weiß, wie und wo sie noch kürzen kann und sich deshalb mit ökonomischem Kleinkram wie der Kürzung des kümmerlichen Bürgergelds aufhält. Sie vergessen dabei, dass Kostensenkung allein noch nie einen Aufschwung produziert hat. Auch die lebhafte Nachfrage aus dem Ausland nach deutschen Industrieprodukten war 2005 nicht einfach so aus dem Nichts entstanden. Vielmehr hatte die US-Regierung nach dem Zusammenbruch der Dotcom-Finanzblase die Endnachfrage mit Konjunkturprogrammen in Schwung gebracht. Wahrscheinlich bedeutsamer: Die Notenbank Fed hatte, noch unter Alan Greenspan, die Zinsen deutlich gesenkt, den langen Boom der Hauspreise verlängert und die Finanzspekulation mit verbrieften Subprime-Hypotheken zugelassen. Der 2003 einsetzende US-Konsumboom war damit zum großen Teil vom Ausland finanziert, stellte aber für andere Exportnationen wie China oder Deutschland einen grandiosen Absatzmarkt dar.

Heute sieht es etwas anders aus. Die USA schotten ihren Inlandsmarkt mit Zöllen und Sanktionen ab. China hat nach der großen Finanzkrise 2008 die eigenen Produktionskapazitäten dramatisch gesteigert. Jetzt gibt es dort Überkapazitäten just in den Branchen, in denen deutsche Exporteure stark waren. Der heimische EU-Binnenmarkt expandiert seit der von der deutschen Politik mitverursachten Euro-Krise nicht mehr. Dazu kommt, dass seit dem Boykott der Energieeinfuhren aus Russland ein Kostenvorteil der deutschen Industriekapitalisten dauerhaft weggefallen ist. Das Ergebnis sind die bisher längste Rezession, niedrige Investitionen und die Deindustrialisierung des Landes.

Den Binnenmarkt zu stärken, wäre ein Ausweg. Dazu allerdings müssten die Aufträge zur Sanierung von Verkehrswegen, Schulen und Krankenhäusern etc. auch erteilt werden.

Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Aachen.

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