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Aus: Ausgabe vom 08.11.2025, Seite 4 / Inland
Berlin Freedom Week 2025

Festwoche des Imperialismus

Beginn der »Berlin Freedom Week« unter Schirmherrschaft von CDU-Bürgermeister Wegner. Veranstaltungen versammeln Regime-Change-Akteure
Von Susann Witt-Stahl
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Wird noch viele Hände schütteln dürfen: Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) in Berlin (17.7.2025)

Die Hauptstadt badet seit diesem Sonnabend in einem Meer von Freiheit. Hatten die Berliner in der Vergangenheit selbst die schlimmsten Heimsuchungen von Hohepriestern wie Ronald Reagan gegen das »Evil Empire« (»Tear down this wall!«) 1987 überstanden – so etwas haben sie noch nicht (üb-)erlebt: Eine ganze »Freedom Week«, die der Generalsekretär des »World Liberty Congresses« (WLC), Leopoldo López, ausdrücklich als »Aufruf« verstanden haben will, »die neuen Mauern niederzureißen – von Zensur, Furcht und Unterdrückung«, wie es auf der Website zur »Berlin Freedom Week« heißt.

Dass 2025 viel mehr als die zum Jahrestag der DDR-Grenzöffnung 1989 gewohnte Tunnel-, Gräber- und Mauer-Segler-Nostalgie auf dem Programm steht, macht allein das auf eine hoffnungsfrohe Zukunft fokussierte Motto »It can happen again« der sogenannten Freiheitswoche deutlich. Ebenso, dass in deren Rahmen im Berliner Abgeordnetenhaus die Generalversammlung des im Jahr der Eskalation des Ukraine-Konflikts 2022 gegründeten World Liberty Congress (WLC) abgehalten wird – der angeblich größten »Aktionsbewegung« gegen »Autokratien« weltweit. Das auf der WLC-Homepage zu bewundernde Schurken-Lineup wird, mutmaßlich aus aktuellem Anlass, von Venezuelas Präsident Nicolás Maduro angeführt, gefolgt von dem iranischen Religionsführer Ali Khamenei, Wladimir Putin, Xi Jinping etc. Vor genau einem Jahr warnte der WLC auf der Plattform X eindringlich vor dem Kommunismus als »totalitärem Relikt, das die freie Welt nach wie vor bedroht«. Und so steht »libertad en Cuba« mit auf seiner Agenda.

Höhepunkt der zu erwartenden Regime-Change-Weltfestspiele unter der Schirmherrschaft von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Mitwirkung der SED-Opferbeauftragten beim Deutschen Bundestag, Evelyn Zupke, dürfte die »Berlin Freedom Conference« am Montag sein – auch ein Novum anlässlich des »Mauerfall«-Gedenkens. Neben Leopoldo López, der bereits 2002 den schließlich abgewehrten Putsch gegen den damaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez unterstützt hatte, werden auf der »Bühne der Freiheit« der 2024 vom Westen zum »Präsidenten« Venezuelas ernannte Edmundo González Urrutia sowie die jüngste Friedensnobelpreisträgerin María Corina Machado für die nötige »Wechselstimmung« sorgen. Denn möglicherweise stehen eine US-Militärintervention und ein Versuch, Maduro zu stürzen, kurz bevor.

Obligatorisch ist die Teilnahme des russischen »Dissidenten« und Schachweltmeisters Garri Kasparow wie der ukrainischen »Freiheitsheldin« Olexandra Matwijtschuk, Leiterin des in Kiew ansässigen Center for Civil Liberties (CCL), Euromaidan-Promoter und Initiator des »Tribunals für Putin«. WLC und CCL verbindet, dass sie vom selbst in den USA als Champion der aggressiven Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Länder gehandelten National Endowment for Democracy (NED) mitfinanziert werden, wie sie auf ihren Internetseiten informieren. NED wird auf der Berliner »Freiheitskonferenz« prominent mit seinem Präsidenten Damon Wilson vertreten sein. Und wenn es ums Grobe geht, darf Ben Hodges nicht fehlen. Der US-General a. D. trommelt in nahezu jeder deutschen Talkshow für eine härtere Gangart im Krieg gegen Russland. In einem am 17. April veröffentlichten Interview mit dem ZDF behauptete er, die Ukraine werde als souveräner Staat nicht existieren dürfen, »solange Wladimir Putin noch lebt«.

Die »Berlin Freedom Week« erinnert an die »Captive Nations Week« (CNW) in den USA. Diese wird bis heute jährlich von der jeweiligen Regierung in Solidarität mit den von ihr unterm Joch der »Achse der Autoritären« ausgemachten Völkern veranstaltet. Die CNW wurde 1959 in einer der heißesten Phasen des Kalten Krieges von Präsident Dwight D. Eisenhower eingeführt – auf Betreiben der Lobby des Bandera-Flügels der faschistischen Organisation Ukrainischer Nationalisten, der gegenwärtig wieder mit in der ersten Reihe der Kriegstreiber steht.

Das Angebot von mehr als 130 Konferenzen, Ausstellungen, Theater- und Filmaufführungen, Lesungen und weiteren Veranstaltungen der »Berlin Freedom Week« gestalten auch die »Atlantik Brücke«, die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, Botschaften von NATO-Ländern und die Taipeh-Vertretung in der BRD mit. Ein Kernanliegen ist erwartungsgemäß, die Revision der Geschichte des Realsozialismus voranzubringen. Polen etwa lädt zum Symposium »Echos des Imperiums: Sowjetische Denkmäler und die Maschinerie der Desinformation«. Einen Kessel Buntes an »Wahrheit versus Totalitarismus« des »Unrechtsstaats« liefern »DDR-Experten« wie Ilko-Sascha Kowalczuk.

Unbelehrbare Freiheitsdienstverweigerer unter den Berlinern dürfen bis 15. November nicht auf Pardon hoffen. Kommen sie nicht zu ihr, kommt sie zu ihnen: Ein »Berlin Freedom Week«-Mobil mit Freiheitsglocke und Audiostationen wird fünf Stunden täglich in der Stadt unterwegs sein.

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