Gab es auch physische Angriffe durch Neonazis?
Interview: Henning von Stoltzenberg
Im Wahlkreis Siegen-Wittgenstein, den sie im Bundestag vertreten, versucht die Neonazipartei »Der III. Weg« sich seit Jahren zu etablieren. Mit Julian Bender hat sie seit September einen Vertreter im Stadtrat. Hat Sie das überrascht?
Leider nicht. Durch das Großaufgebot der Neonazis im Wahlkampf und das Nichtantreten der AfD in Hilchenbach war absehbar, dass der »III. Weg« die Lücke füllen würde. Das Ergebnis von etwas mehr als drei Prozent der Stimmen ist unter diesen Umständen noch vergleichsweise moderat.
Aktuell gibt es einen Rechtsstreit mit der Stadt Hilchenbach um eine Immobilie. Wie kam es dazu?
Die sollte ursprünglich von Bender erworben werden. Die Stadt übte ihr Vorkaufsrecht aus. Dagegen hat er im Eilverfahren Klage erhoben. In zweiter Instanz hat die Stadt das Verfahren verloren, die Revision wurde jedoch zugelassen – das Verfahren läuft also noch. Parallel dazu stellte die Stadt fest, dass der Notar einen Formfehler gemacht hatte. Die Stadt nahm daraufhin Kontakt mit dem Verkäufer auf, woraufhin dieser das Gebäude an die Stadt veräußerte. Gegen diesen Zweitkauf klagte Bender unter Berufung auf Sittenwidrigkeit. Ihm wurde recht gegeben, so auch im anschließenden Hauptverfahren. Der Fall liegt nun beim Oberlandesgericht.
Die Stadt hat als vermeintliche Eigentümerin eine Räumungsklage eingereicht und zudem ausstehende Mietrückstände eingeklagt. Julian Bender wiederum fordert Schadenersatz und hat Strafanzeige gegen den Bürgermeister wegen Amtsmissbrauchs und Veruntreuung gestellt. Die Eigentumsverhältnisse sind derzeit nicht abschließend geklärt. Eine endgültige Entscheidung kann sich noch über Jahre hinziehen.
Die Aktivitäten der Partei dürften sich nicht auf Immobiliengeschäfte beschränken.
Seit ihrem Einzug in Hilchenbach 2022 ist die lokale Gruppe des »III. Weges« auf verschiedenste Weise aktiv, mehrheitlich organisiert und angetrieben durch Bender. Diese Aktivitäten lassen sich in vier Kategorien einteilen: Veranstaltungen von und für die Neonaziszene; dann welche, die Anwohner ansprechen sollen; und drittens Aktionen, die sich explizit gegen politische Gegner richten. Neu hinzugekommen ist in diesem Jahr die vierte Kategorie: Wahlkampfaktivitäten. Für den Kommunalwahlkampf ließ Bender zuletzt mehrfach junge Faschisten nach Hilchenbach bringen, die Flyer und Blumensträuße verteilten, an Haustüren klingelten oder mit einem Lautsprecherwagen durch die Stadt fuhren.
Einiges davon fand anfangs auf öffentlichen Plätzen statt. Da dies aber immer mit reichlich Gegenprotest, Polizeiaufgebot und journalistischer Dokumentation verbunden war, haben sich die Neonazis mittlerweile fast vollständig auf ihr Grundstück zurückgezogen.
Gab es auch physische Angriffe?
In Hilchenbach gab es keine körperlichen Angriffe, von denen ich weiß. Bedrohliche Situationen aber durchaus. Bei Infoständen von lokalen Bündnissen wurden die Beteiligten mehrfach provoziert und fotografiert. Auch vor den Häusern von politisch aktiven Anwohnern sollen schon Anhänger des »III. Weges« aufgetaucht sein. Ebenfalls sehr eindeutig in der Botschaft war eine Aktion vor dem Rathaus, bei der die Partei einen Galgen aufstellen ließ. Die beliebteste Einschüchterungsstrategie scheint mir aber weiterhin der juristische Weg zu sein: Sobald einzelne Personen den Faschisten unangenehm werden, wird ein Grund gesucht, diese Menschen anzuzeigen, um sie unter Druck zu setzen und an Informationen zu gelangen.
Es entsteht also auf verschiedenen Ebenen ein Bedrohungsszenario: Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, werden öffentlich markiert, um den Protest zum Schweigen zu bringen. Das Ausbleiben von Gewaltexzessen in Hilchenbach selbst lässt sich vermutlich auf die Strategie zurückführen, im Ort langfristig Fuß zu fassen. Prügelorgien sind einfach nicht gut fürs Image.
Katrin Fey ist Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke
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