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Aus: Ausgabe vom 03.11.2025, Seite 6 / Ausland
Menschenrechte

Mehr als tausend Hinrichtungen

Iran: UNO beklagt einen starken Anstieg der Zahl der Tötungen verurteilter Menschen. Angriffskrieg Israels hat die Situation verschärft
Von Yaro Allisat
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Justizpalast in Teheran: Die Todesstrafe gilt in Iran als geeignetes Mittel zur Verbrechensbekämpfung (18.1.2025)

Es ist zunächst eine gute Nachricht: Im Iran hat die Justiz das Todesurteil gegen die Frauenrechtlerin Scharifeh Mohammadi »in eine Freiheitsstrafe ersten Grades (30 Jahre) abgewandelt«. Das teilte ihr Anwalt am Mittwoch auf X mit. Die 46jährige Mohammadi war im Juli 2024 zusammen mit den Aktivistinnen Pachschan Asisi und Warisheh Moradi wegen »Rebellion« zum Tode verurteilt worden. Bei ihrer Festnahme in Rascht im Norden Irans war ihr laut AFP vorgeworfen worden, Mitglied der kurdischen Partei Komala zu sein, einer von Teheran als Terrororganisation eingestuften Gruppe mit Sitz im Irak. Im Oktober 2024 hob der Oberste Gerichtshof des Iran ihr Todesurteil allerdings auf und ordnete ein neues Verfahren an. Doch die nun erfolgte Umwandlung des Urteils ist lediglich ein Ausnahmefall. Allein dieses Jahr sind in der Islamischen Republik nach UN-Angaben schon 1.176 Personen hingerichtet worden, und die Zahl erhöht sich immer schneller. Die Lage ist so bedrückend, dass im größten Staatsgefängnis Irans, der Haftanstalt Ghezel Hesar in der nördlichen Stadt Karadsch, Mitte Oktober rund 1.500 zum Tode Verurteilte in den Hungerstreik traten.

Iran war laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) 2024 nach China das Land mit den meisten Hinrichtungen. Insgesamt waren es mehr als 1.000. Neben Irak und Saudi-Arabien ist Iran für den weltweiten Anstieg der Todesstrafen um 30 Prozent im Vergleich zu 2023 maßgeblich mitverantwortlich. Todesurteile werden in dem Land weiterhin auf Grundlage der iranischen Auslegung des islamischen Rechts verhängt und gelten der Regierung als legitimes Mittel zur Bekämpfung schwerer Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung oder auch Drogenhandel. Zudem werden die vage definierten Vergehen »Korruption auf Erden« und »Krieg gegen Gott« mit der Höchststrafe geahndet. Diese Begriffe werden dabei häufig so weit ausgelegt, dass insbesondere nach den Protesten unter dem Motto »Jin, Jiyan, Azadî« (Frau, Leben, Freiheit) auch politische Gegner, Aktivisten oder Demonstrierende darunterfallen können. Die Proteste waren infolge des mutmaßlich gewaltsamen Todes der kurdischen Iranerin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam im Jahr 2022 ausgebrochen. Menschenrechtsorganisationen wie AI kritisieren, dass die Todesstrafe im Iran zunehmend als politisches Druckmittel eingesetzt wird.

Dabei steht die Islamische Republik unter erheblichem Druck. So wurde nach dem zwölftägigen Angriffskrieg Israels im Juni, bei dem Angriffe des Gegners auch aus dem Inneren des Landes selbst geführt und unterstützt worden sein sollen, ein neues Spionagegesetz eingeführt. Das führte zu einem scharfen Anstieg der Zahl der Hinrichtungen. Eine Expertengruppe der UNO hielt im September in einem Bericht fest: »Das schiere Ausmaß der Hinrichtungen im Iran ist erschütternd und stellt eine schwerwiegende Verletzung des Rechts auf Leben dar. Mit durchschnittlich mehr als neun Hinrichtungen pro Tag in den vergangenen Wochen scheint der Iran Hinrichtungen in einem industriellen Ausmaß durchzuführen, das allen anerkannten Standards des Menschenrechtsschutzes widerspricht.« Nur ein Bruchteil der Hinrichtungen wird über offizielle Quellen bekanntgegeben, da die Verfahren vor den sogenannten Revolutionsgerichten hinter verschlossenen Türen stattfinden.

Viele der Verurteilungen beruhen auf erzwungenen Geständnissen und unfairen Gerichtsverfahren, die internationalen Rechtsstandards widersprechen. Nicht nur die Unterdrückung politischer Bewegungen, auch die Kontrolle über marginalisierte Gruppen spielt eine Rolle, insbesondere über sozial abgehängte Bevölkerungsgruppen und Minderheiten wie die Kurden, die überproportional häufig von Todesurteilen betroffen sind. Die Hinrichtungen sollen nicht nur einschüchtern und abschrecken. Sie haben laut UNO weitgehende Auswirkungen auf benachteiligte Gemeinschaften, die ohnehin unter wirtschaftlicher Not leiden.

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