Linker Weg bevorzugt
Von Gerrit Hoekman
Nach der vorgezogenen Parlamentswahl vom Mittwoch wurden in den Niederlanden am Sonntag noch fleißig Briefwahlstimmen ausgezählt. Diesen Montag soll das amtliche Endergebnis dann feststehen. Die Agentur ANP hatte bereits am Freitag die Vorhersage gewagt, dass die linksliberale Democraten 66 (D66) knapp vorne liegen werde. Geert Wilders und seine Partij voor de Vrijheid (PVV) müssen in die Opposition. Nach Sitzen liegen sie mit jeweils 26 gleichauf. D66 könnte laut ANP aber noch ein Mandat hinzubekommen.
Sollte sich ANP nicht täuschen, wird also Rob Jetten als D66-Spitzenkandidat mit der Regierungsbildung beauftragt. »Ich bin unglaublich glücklich«, reagierte der 38jährige auf die Nachricht. »Gleichzeitig spüre ich auch eine große Verantwortung.« In dem hauchdünnen Sieg sind drei Premieren verborgen: Jetten wäre der jüngste Ministerpräsident der Niederlande, D66 würde zum ersten Mal stärkste Kraft – und noch nie reichten dafür weniger als 30 der 150 Sitze in der Tweede Kamer, dem Haager Parlament. Das liegt in erster Linie am Wahlsystem, das keine Prozenthürde kennt. Etwas mehr als ein Prozent sind genug, um einen Sitz zu ergattern. 15 Parteien ist es auch diesmal gelungen, D66 käme auf 16,9 Prozent.
Wilders fällt es schwer, die Niederlage und den Verlust von elf Sitzen zu schlucken. Er tut das, was Ultrarechte in solchen Fällen meistens tun – er sät Zweifel am Wahlergebnis und verbreitet in sozialen Netzwerken das Gerücht, dass 15 volle Container mit ausgezählten Stimmzetteln vernichtet worden seien. »Solche Meldungen erreichen uns aus dem ganzen Land. Ich weiß nicht, ob sie alle stimmen, aber es wäre gut, wenn sie untersucht würden«, schrieb Wilders auf X. Außerdem teilte er einen Post, in dem die Unparteilichkeit der Wahlkommission in Frage gestellt wird. Die verwendete Software sei vor der Wahl von einer Firma gecheckt worden, die eng mit D66 verbunden sei. »Stimmt das?« fragte Wilders auf X scheinheilig. Seine Quellen legte Wilders nicht offen. Tatsächlich hatte die betreffende Firma in der Vergangenheit für die Wahlkommission gearbeitet, aber dieses Jahr nicht.
Für Jetten könnte auf den Rausch des Sieges bald der Kater folgen. Vor ihm liegt die schwere Aufgabe, aus dem Sammelsurium der 15 Parteien im Parlament eine Koalition zu bilden. Ab Dienstag will er sie anpacken. Zwei Wege stehen offen: Der eine führt »über links«, der andere »über rechts«. Jetten hat im Wahlkampf angekündigt, dass er den Weg über links gehen möchte, also mit den grünen Sozialdemokraten von Groenlinks-PvdA. Gemeinsam mit dem christdemokratischen CDA und der rechtsliberalen VVD hätte das Bündnis eine stabile Mehrheit.
Aber es gibt ein Hindernis: VVD-Spitzenkandidatin Dilan Yeşilgöz schließt eine Zusammenarbeit mit Groenlinks-PvdA aus. »Ich werde keine linke Regierung möglich machen!« stellte sie vor der Wahl klar. 2023 hatte sie keine Skrupel, eine Allianz mit Wilders einzugehen. Was sie davor auch weit von sich gewiesen hatte. Yeşilgöz will eine strengere Asylpolitik und Kürzungen im Sozialetat – mit den Linken nicht zu machen. Deshalb schlägt die Nachfolgerin von Mark Rutte als Spitzenkandidatin der VVD eine Koalition mit dem CDA vor, zu der noch die beiden rechtslastigen Parteien JA21 und Boer Burger Beweging (BBB) stoßen müssten. Zwei Kröten, die für Jettens Wähler kaum zu schlucken sein dürften. 2023 bestraften sie D66 für das Bündnis mit Rutte, das an einem unüberbrückbaren Zwist zwischen beiden Parteien in der Asylpolitik zerbrochen war. Jetten, Exminister für Klima und Energie im letzten Kabinett Rutte, müsste also gewarnt sein.
Ohne die Rechtsliberalen wird der linke Weg steinig. Neben D66 und Groenlinks-PvdA müsste in jedem Fall der CDA mit im Boot sitzen, was unter dessen Vorsitzendem Henri Bontenbal durchaus vorstellbar ist. Anders als die VVD hat der CDA den im September von der extremen Rechten ins Parlament eingebrachten Antrag, die Antifa als terroristische Vereinigung zu verbieten, nicht unterstützt. Mit der einmal mehr gerupften Socialistische Partij (SP) kämen 67 Stimmen zusammen. Dazu noch die radikalen Tierschützer der Partij voor de Dieren (PvvD), Denk, die Partei der Migranten, und ganz eventuell auch die christdemokratische Christenunie. Es braucht aber eine Menge Phantasie, um sich vorzustellen, wie eine Koalition aus sieben Parteien funktionieren soll. Vermutlich reichte nicht einmal die Anzahl der Ministerien, damit alle im Kabinett entsprechend ihrem Gewicht vertreten sind.
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