Wie ist die Stimmung bei den Kollegen im Hafen?
Von Susann Witt-Stahl
Sie haben Ihre Gewerkschaft Verdi Hamburg im Sommer 2025 in einem offenen Brief um eine »klare Positionierung« gegen den Genozid in Gaza und um Solidarität gebeten. Wie hat Verdi reagiert?
Sie hat meine Forderungen ignoriert und schweigt – auffallend laut. Statt einer Antwort gab es nur ein Interviewangebot vom »Verdi-Arbeitskreis Frieden« in Hamburg. Das habe ich abgelehnt.
Warum?
Die israelische Besatzungsarmee hat mehr als 80 Mitglieder meiner Familie in Gaza, darunter mein Bruder Abood, und mehr als 130 meiner Freunde, Nachbarn und Kollegen massakriert. Im Mai 2024 hat sie unser Haus dem Erdboden gleichgemacht, mit der Bibliothek meines Vaters, Musikinstrumenten, Fotos – alle Erinnerungen wurden ausgelöscht. Ich bin 2015 nach Deutschland gekommen und seit 2023 fest angestellter Arbeiter im Hamburger Hafen. Dort werden in Containern Waffensysteme, Munition, IT-Hardware und so weiter für die israelische Armee verladen. Wir sollen den Tod Zigtausender, auch unserer eigenen Familien, verschiffen und dann noch unseren Mund halten. Für die Führungsetage von Verdi ist das alles kein Thema – nicht einmal, dass palästinensische Hafenarbeiter in diese Völkermordindustrie eingespannt werden. Verdi steht überhaupt nicht hinter uns. Was ist das bloß für eine Gewerkschaft?! Sie erfüllt nicht ihre Aufgabe.
Wie ist die Stimmung bei den Kollegen im Hafen?
Viele sind propalästinensisch, trauen sich aber nicht, ein Wort zu sagen. Meist nennen sie den Verdi-Vorstand als größtes Problem, weil er die Palästina-Solidarität an der Basis unterdrückt. Die meisten Kollegen sind aber gleichgültig und schauen einfach weg.
Was ist aktuell über den Umschlag von Rüstungsgütern für Israel im Hamburger Hafen bekannt?
In den vergangenen drei Jahren sind rund 17.000 Kisten nach Aschdod oder Haifa gegangen. Hauptsächlich Munition für Sturm-, Maschinen- und auch die Scharfschützengewehre, die für den genozidalen Kindermord benutzt werden. Weitere 60.000 Kisten wurden nach Singapur geliefert, und es ist so gut wie sicher, dass ein Großteil davon nach Israel weitergeleitet wurde, hauptsächlich über die Reederei Mærsk.
Sie haben Anfang dieses Jahres gemeinsam mit Kollegen wie dem »Komitee von Hafenarbeitern für eine kämpferische Verdi« sowie palästinasolidarischen Gruppen die Initiative »Waffenlieferungen stoppen Hamburg« mit ins Leben gerufen. Welche sind die Aktionsschwerpunkte des Bündnisses?
Wir beteiligen uns an der transnationalen Kampagne des Palestine Youth Movement gegen die Reederei Mærsk. Ziemlich erfolgreich. Während der Kundgebungen, die wir jeden Donnerstag vor der Hamburger Filiale abhalten, ist der Betrieb weitgehend lahmgelegt; die Belegschaft wird ins Homeoffice geschickt und darf nicht mit uns sprechen. Zudem bauen wir hier gerade eine Aktionsfront der »Block the Boat«-Kampagne der BDS-Bewegung für Proteste vor dem Büro des israelischen Schiffahrtsunternehmens ZIM auf.
Gibt es Repressalien?
Ja. Als zum Beispiel Aktivisten von uns nur vor Ort überprüft haben, ob die Adresse der ZIM-Filiale korrekt ist, wurde sofort der Staatsschutz des Landeskriminalamts Hamburg eingeschaltet. Unsere Leute wurden stundenlang von einem großen Polizeiaufgebot festgehalten, fotografiert, ihre Personalien wurden aufgenommen, wegen eines absurden Verdachts der Planung einer terroristischen antisemitischen Straftat.
Am 27. September haben Sie an der internationalen Hafenarbeiterversammlung »Dockers don’t work for war« der Basisgewerkschaft USB in Genua teilgenommen. Was läuft in Italien anders als in Deutschland?
Ich habe eine Rede über meinen Fall gehalten und große Solidarität von den internationalen Kollegen erfahren. Im Gegensatz zu Deutschland sind die Gewerkschaften in Italien kämpferisch und verfolgen viel mehr die Interessen der Arbeiter als die der Regierung. Gewerkschaftsvorstände, Vertrauensleute und andere Beschäftigte sind gemeinsam auf der großen Demo marschiert. Ich habe sogar miterlebt, wie Arbeiter durch Besetzung eines Terminals die Beladung eines ZIM-Schiffs mit Rüstungsgütern für Israel verhindert haben. Hier hingegen hat der DGB nichts Besseres zu tun, als die prozionistischen Propagandanarrative der Bundesregierung zu wiederholen und die Militarisierung Deutschlands zu unterstützen.
Mohammed Alattar ist Hafenarbeiter und Mitgründer der Initiative »Waffenlieferungen stoppen Hamburg«
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Marian R. (3. November 2025 um 09:38 Uhr)Ich kann die Erfahrungen des Hafenarbeiters mit der Gewerkschaft Verdi bzw. dem DGB nachvollziehen – auch meine Anfragen bezüglich einer Positionierung gegenüber Krieg bzw. dem Aufruf zur Beteiligung an Ostermärschen usw. wurden totgeschwiegen. Was ist nun besser – in solchen kapitalistischen Gewerkschaften bleiben (s. Lenin) – oder aber doch eigene Gewerkschaften gründen bzw. unterstützen (z. B. FAU)? Für jeden Denkanstoß bin ich dankbar.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (3. November 2025 um 12:42 Uhr)Es gibt auf deine Frage leider keine wirklich endgültige und befriedigende Antwort. Ich denke, viel hängt von den jeweiligen Kräfteverhältnissen ab. Gibt es Kräfte in den Gewerkschaften (und es gibt sie fast immer) bei denen man »andocken« kann, wäre es sträflich, sie alleine zu lassen. Gibt es eine Chance, eine wirkliche Massenbewegung ingang setzen zu können, wäre es genauso sträflich, diese Chanc ungenutzt zu lassen. Im Zentrum aller Überlegungen muss wohl immer stehen, wie man die Massen am wirkungsvollsten erreichen kann. Die Antwort darauf kann man nicht abstrakt geben. Solange kämpferische Gewerkschaften kaum existieren – soviel kann man wohl sagen –, wäre es wohl sträflich darauf zu verzichten, in den bestehenden um Einfluss zu kämpfen.
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