Akman erneut entlassen
Von Susanne Knütter
Mehr als 22 Jahre arbeitete Orhan Akman hauptamtlich als politischer Sekretär für Verdi. Zwischen 2019 und 2022 sogar als Bundesfachgruppenleiter für den Bereich Einzelhandel. All das ohne vergleichbare Eskalationen, wie sie seit 2022 in einem fort auftreten. Fünf Kündigungsversuche zählt Akman inzwischen. Die letzten beiden fristlosen Entlassungen wurden am 28. und 29. Oktober ausgesprochen. Erstere wies Akman wegen Formfehlern zurück. Letztere stellte der Personalchef von Verdi, Andreas Fröhlich, persönlich unangemeldet per Hausbesuch zu.
Die Angelegenheit ist in mehrfacher Hinsicht brisant. Im Vorfeld bat Verdi beim Betriebsrat um Zustimmung zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung, die als »Tat- und vorsorglich als Verdachtskündigung« ausgesprochen werden sollte. Noch 2010 forderte Verdi selbst das Verbot von Verdachtskündigungen. Der Betriebsrat unterstützt diese Kündigung dementsprechend nicht und schilderte seine Bedenken in einer ausführlichen Stellungnahme, die jW vorliegt. Er wirft Verdi im Gegenteil sogar »Bossing« vor. Das Vorgehen von Verdi sei geeignet, »das Ansehen der Gewerkschaft zu beschädigen«.
Betrug oder Bossing?
Pikant ist auch: Nur wenige Tage vor der Entlassung informierte Akman den Gewerkschaftsrat, das höchste Verdi-Gremium zwischen den Bundeskongressen, offiziell darüber, was intern schon länger bekannt war: 2027 will er wieder für den Bundesvorstand kandidieren. Die Option, für die Position des Bundesvorsitzenden zu kandidieren, schloss er dabei nicht aus. In dem Zusammenhang warnte Akman, dass er etwaige disziplinarische Maßnahmen gegen ihn als Beschäftigten »auch unter dem Gesichtspunkt der Ver- und Behinderung« seiner Kandidatur bewerten werde. Aus Sicht von Akman ist die neuerliche Kündigung eindeutig ein weiterer Versuch, den Richtungskampf innerhalb der Gewerkschaft nicht politisch auszutragen, sondern über den arbeitsrechtlichen und disziplinarischen Weg. Verdi äußerte sich dazu nicht. Ohne auf den »Einzelfall eingehen zu können«, erklärte Pressesprecher Jan Jurczyk gegenüber jW, »dass einem einzelnen Verdi-Mitarbeiter aufgrund eines schwerwiegenden Pflichtverstoßes in Form von Arbeitszeitbetrug fristlos gekündigt wurde«.
Damit sind wir bei der dritten Merkwürdigkeit und beim Problem: der Begründung der Kündigung. Verdi wirft Akman vor, Ende September im Rahmen einer dreitägigen Reise mit dem Aufsichtsrat der Handelskette Rewe nach Ungarn zuviel Arbeitszeit notiert zu haben. Ein Sachverhalt, der unter anderen Umständen vermutlich unkompliziert gelöst werden würde. In diesem Fall aber nicht. Die aktuelle Vorgesetzte Akmans hatte Zweifel an den angegebenen Zeiten, forderte von ihm u. a. Einsicht in Einladung und Tagesordnung der Aufsichtsratssitzung. Akman verweigerte das mit Verweis auf die Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern, legte aber ein entsprechendes Schreiben des Rewe-Aufsichtsratsbüros vor. Das bestätigte Akmans Teilnahme an der Reise und den Sitzungen sowie die Flugzeiten und erläuterte den Sinn solcher jährlicher Reisen: die vertiefte Auseinandersetzung mit einer Einheit der Rewe-Gruppe und den Markt- und Wettbewerbsbedingungen in dem jeweiligen Land. Dazu gehörten u. a. Besuche bei Management, Belegschaft, Logistik, Lieferanten und Politikern.
Trotzdem: Nach Angaben von Akman nannte Verdi die Reise »freiwillig«. Sie hätte keinen »Bezug zu einer Aufsichtsratssitzung« gehabt. Darüber hätte Akman Verdi bewusst getäuscht; das Arbeitsverhältnis wäre deshalb zerrüttet. »Wir sind als solidarische, von Mitgliedsbeiträgen finanzierte Gewerkschaft gehalten, sehr sorgsam mit diesen Mitteln umzugehen, aus denen wir auch das Entgelt der Beschäftigten bezahlen«, erklärte Verdi-Sprecher Jurczyk gegenüber jW. »Um so ernster nehmen wir derartige Fälle.« Bekannt ist allerdings, dass eine weitere hauptamtliche Verdi-Kollegin an der Reise teilnahm. Sie wurde nicht entlassen. Auch von anderen disziplinarischen Maßnahmen ist nichts bekannt.
Kritik aus der Besenkammer
Dahinter lodert eine weitere Auseinandersetzung. Seit Juni hat Verdi die Gehaltszahlung an Akman eingestellt, weil er angeblich zu oft krank sei, aber ablehne, seine Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Akman verweist im jW-Gespräch auf Einschätzungen des Betriebsrats, der den jetzigen Arbeitsplatz als krankmachend bezeichne. Akman selbst betont, er hätte an einer anderen Stelle, z. B. als Verantwortlicher für etwa Techworker, internationale Arbeit oder Wertschöpfungs- und Lieferketten, wesentlich mehr Nutzen für die Gewerkschaft. Jetzt müsse er u. a. Rechtsgutachten von Professoren auf Lesbarkeit und Verständlichkeit prüfen. »Ich bin in einer Position, aus der heraus ich kritisieren kann. Zugleich mache ich konstruktive Vorschläge, wie wir die Krisen der Verdi überwinden. Aber die Möglichkeit, mit gutem Beispiel voranzugehen, die hat man mir genommen«, so Akman. Sowohl die Gehaltszahlungen als auch die Versetzung in die »Besenkammer«, wie Akman sagt, sind gegenwärtig Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen.
Akman dreht den Spieß nun um: Verdi habe die Aufsichtsratsreise als Unterhaltungsreise diffamiert, sich die Agenda des Aufsichtsrats illegal beschafft und Unbefugten zugänglich gemacht. Gegen seine Entlassung wird er klagen – wieder mit Rechtsschutz von Verdi – gegen Verdi.
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