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Aus: Ausgabe vom 03.11.2025, Seite 4 / Inland
Abschiebungen nach Syrien

Warnschüsse von rechts

Außenminister Wadephul sieht angesichts der Trümmerlandschaft in Syrien derzeit keine Perspektive für schnelle Abschiebungen. CSU reagiert empört
Von Marc Bebenroth
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Johann Wadephul (M.) während seines Aufenthalts in Syrien (Damaskus, 30.10.2025)

Die jüngste Reise des Außenministers ins nun von NATO-freundlichen Dschihadisten kontrollierte Syrien brachte den CDU-Politiker wieder auf den Spitzenplatz der Abschussliste der Springer-Presse. Bei einem Besuch in Harasta, einem von der Zerstörung des Kriegs zum Sturz von Langzeitpräsident Baschar Al-Assad gezeichneten Vorort von Damaskus, bezeichnete Johann Wadephul schnelle Abschiebungen syrischer Geflüchteter aus Deutschland als schwer vorstellbar. »Kurzfristig können sie nicht zurückkehren«, zitierte das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) ihn am Freitag. Die Infrastruktur sei zerstört, »hier können wirklich kaum Menschen würdig leben«.

Diese amtliche Feststellung eines obersten Vertreters der Regierung, die an kaum etwas so vehement zu arbeiten scheint wie an der systematischen Abschiebung staatlich unerwünschter Ausländer, stößt entsprechend nicht nur Bild am Sonntag übel auf. Aus den Reihen der CSU, die mit Alexander Dobrindt an der Spitze das Innenministerium kontrolliert, wurde die politische Maßgabe betont, Syrerinnen und Syrer schnellstmöglich aus der BRD abzuschieben. Wo Wadephul Trümmer vor Augen hatte – der mitgereiste Münchner Merkur zitierte ihn am Sonntag mit den Worten »Ein dermaßen großes Ausmaß an Zerstörung habe ich noch nicht gesehen« –, will man im fernen Bayern davon offenbar nichts wissen.

»Der Bürgerkrieg in Syrien ist endlich beendet, das ist Grund für Zuversicht«, sagte CSU-Generalsekretär Martin Huber gegenüber Bild am Sonntag. Nun müssten »Menschen ohne Fluchtgrund« dorthin zurückkehren, und es gelte jetzt, »das Land zu stabilisieren und Infrastruktur wie Wohnraum instand zu setzen«. Huber betonte zugleich, dass »Straftäter und Menschen ohne Duldung« abgeschoben werden müssten. »Daran arbeiten wir mit Hochdruck.« Dazu sei es »absolut notwendig und richtig«, dass Wadephul »Vereinbarungen mit Syrien erarbeitet«, erklärte der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Hoffmann, gegenüber Bild am Sonntag. Dabei feilt das von Dobrindt geleitete Innenministerium bereits an einem Deal mit Damaskus. Auf Anfrage des RND teilte es dem Bericht vom Freitag zufolge mit, »an einer Vereinbarung mit Syrien« zu arbeiten, »damit Rückführungen möglich werden«.

Die syrische Volkswirtschaft ist ebenso auf Rückkehrer angewiesen, wie deutsche Kapitalisten sich mittlerweile auf die Arbeitskraft der zahlreichen hier lebenden Geflüchteten verlassen, unter anderem im Gesundheitswesen. Viele dieser Menschen seien gut ausgebildet, befand der Außenminister. »Jeder und jede, die nach Syrien zurückkehren wollen, werden von uns mit einer Träne verabschiedet werden«, ließ sich Wadephul im Merkur zitieren. Wer sich aber zunächst einen direkten Eindruck von der Situation in dem Land verschaffen will – zum Beispiel, um eine Rückkehr vorzubereiten –, riskiert weiterhin den Schutzstatus in der BRD. An dieser Praxis hält die Bundesregierung »nach eingehender Prüfung« fest, wie das Innenministerium am Freitag gegenüber dpa erklärte.

Nach UN-Angaben vom 23. Oktober sind seit dem 8. Dezember 2024 mehr als eine Million Menschen nach Syrien zurückgekehrt, die meisten davon aus der Türkei und dem Libanon. Viele von ihnen »ins Nichts«, wie die EU-Abgeordnete Hannah Neumann (Bündnis 90/Die Grünen) nach einer Delegationsreise dem RND am Freitag sagte. Heimkehrende seien schockiert, wie schlecht die medizinische Versorgung sei und wie wenig Schulen es gebe. Die meisten Wohnhäuser seien zerstört, Baumaterial sei kaum zu bekommen. »Noch immer leben 90 Prozent der Menschen in Syrien unterhalb der Armutsgrenze«, sagte Neumann.

Derweil warnt die UN-Untersuchungskommission für Syrien in einer Mitteilung vom Donnerstag davor, dass wiederholte Massaker und Menschenrechtsverletzungen, »darunter auch solche, die angeblich von Mitgliedern der Sicherheitskräfte der Übergangsregierung begangen wurden«, das Land erneut in einen – bewaffneten – Konflikt stürzen könnten.

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