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Aus: Ausgabe vom 31.10.2025, Seite 6 / Ausland
Irans Atomprogramm

Wiener Abkommen gilt weiter

Iran stellt Gültigkeit von Vereinbarung nach Wiederaufnahme von Sanktionen in Frage
Von Knut Mellenthin
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Grossis Behörde sieht keine Anzeichen für Anreicherungsaktivitäten im Iran (15.9.2025)

Der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, hat der UN-Vollversammlung am Mittwoch seinen Jahresbericht 2024 vorgestellt. Zum Zustand der iranischen Nuklearindustrie nach den zwölftägigen Luftangriffen Israels und der USA im Juni sagte er, der IAEA seien keine Anzeichen für eine Wiederaufnahme der Anreicherung von Uran in den zerstörten Anlagen Natanz, Fordo und Isfahan bekannt. Diese Aussage ist allerdings hauptsächlich auf Satellitenaufnahmen gegründet, denn Grossis Inspektoren haben dort seit Juni keinen Zutritt mehr.

Irans Außenminister Abbas Araghtschi bestätigte diese Tatsache am Montag gegenüber dem Parlament. Lediglich Routinevorgänge hätten im Beisein von Beobachtern der IAEA stattgefunden: im Atomkraftwerk Buschehr und im Teheraner Versuchsreaktor, einem Geschenk der USA aus der Zeit der Schah-Herrschaft. Im Übrigen hat die iranische Regierung die Zusammenarbeit mit Grossis Behörde, einer Unterorganisation der Vereinten Nationen, seit dem Junikrieg weitgehend eingestellt. Eine Vereinbarung mit der IAEA, die am 9. September in Kairo unterschrieben worden war, wurde von iranischer Seite kurz darauf für ungültig erklärt, nachdem Frankreich, die BRD und Großbritannien den »Snapback-Mechanismus« – eine Klausel der Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrats, mit der dieser das 2015 ausgehandelte Wiener Abkommen (JCPOA) begleitete – in Anspruch genommen hatten. Ende September traten damit die zuvor ausgesetzten Sanktionen wieder in Kraft. Die Entscheidung über Inspektionsersuchen der IAEA trifft jetzt Irans Oberster Nationaler Sicherheitsrat und muss sich dabei an einem Gesetz orientieren, das vom Parlament am 25. Juni einstimmig beschlossen wurde.

Nach iranischer Interpretation, die von Russland und China unterstützt wird, hat die Resolution 2231 am 18. Oktober ihre Gültigkeit verloren. Die Beurteilung dieser Frage hängt aber davon ab, ob man den Griff der drei europäischen Staaten nach dem »Snapback-Mechanismus« für rechtmäßig hält. In diesem Fall wäre die Laufzeit von zehn Jahren, die in der Resolution festgelegt ist, außer Kraft gesetzt. Das ist die Position, die die Mehrheit der Mitglieder des UN-Sicherheitsrats vertritt.

Eindeutig falsch ist auf jeden Fall die Behauptung der iranischen Regierung, mit dem Auslaufen der Resolution 2231 sei am 18. Oktober auch die Geltungsdauer des Wiener Abkommens zu Ende gegangen und Iran sei an die dort festgelegten Beschränkungen seines Atomprogramms nicht mehr gebunden. Ein solcher Zusammenhang besteht weder rechtlich noch logisch. Einige zentrale Bestimmungen des JCPOA gelten 15 Jahre lang, also bis 2030. Dazu gehört die Beschränkung der Anreicherung von Uran auf einen Reinheitsgrad von maximal 3,67 Prozent, eine Obergrenze von weniger als 300 Kilo für die im Iran gelagerte Menge an angereichertem Uran, und die Festlegung von Natanz als einzigem Standort der Anreicherung. Außerdem soll die Produktion von Gaszentrifugen für die Anreicherung 20 Jahre lang, also bis 2035, von der IAEA überwacht werden, und der Abbau von Uran sogar 25 Jahre lang. Das lässt sich schnell und mühelos im Internet überprüfen, aber viele westliche Medien folgen trotzdem der falschen iranischen Behauptung.

Sachlich falsch ist auch die Mitteilung an Grossi, sein Mandat zur Berichterstattung über das iranische Atomprogramm sei abgelaufen, die sich in einem auf den 24. Oktober datierten Brief der ständigen Vertreter Irans, Russlands und Chinas an den IAEA-Chef findet. Der Generaldirektor der Behörde bleibt im Gegenteil ausdrücklich verpflichtet, vor jeder Sitzung des Boards of Governors der IAEA – also alle drei Monate, viermal im Jahr – einen solchen Bericht vorzulegen, solange sich aus dem Wiener Abkommen noch Verpflichtungen und Beschränkungen für Iran ergeben.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf Gerkan aus Hannover (31. Oktober 2025 um 12:29 Uhr)
    Dass der JCPOA weiter gilt, möchte ich sehr bezweifeln, wo er von den USA 2018 aufgekündigt worden war. Pacta sunt sevanda, das ist ein allgemeingültiger Rechtsgrundsatz. Die UN-SR-Resolution 2231 fordert zudem auch die USA zur Einhaltung des JCPOA auf; und die Resolution zitiert den Iran, dass er sich nur so lange an den JCPOA gebunden fühle, wie er auch von den anderen Vertragsparteien beachtet werde. Alles andere würde ja wohl auch den Sinn von Verträgen ad absurdum führen. Gewiss, der Westen praktiziert gern Vertragsverletzungen und fordert die Einhaltung der von ihm selber gebrochenen Verträge von der anderen Vertragspartei dann sehr massiv drängend ein. Das Schicksal der Minsker Vereinbarungen oder des Gaza-Waffenstillstandes sind da nur zwei weitere Beispiele. Wenn Israel 100 Palästinenser tötet, gilt das viel weniger als eine Verletzung des Waffenstillstandes als wenn ein Palästinenser einen einzigen Israeli tötet. Und dass der Westen die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen konsequent hintertrieben hatte, ist ihm auch vollkommen egal. Die Schuld schiebt man Moskau in die Schuhe, das faktisch freilich nur sehr wenig gegen die vertragswidrigen westlichen Lockungen einer militärischen Lösung des Donbasskonfliktes auszurichten vermochte. Kiew gab sich den Lockungen leider hin. Wie soll man sich denn gegen das westliche Predigen und Praktizieren von militärischer Stärke und Gewalt stemmen? Auch im Fall Iran gaben die USA dieses Jahr der militärischen Lösung den Vorzug vor der Verhandlungslösung des JCPOA und warfen ihre kräftigsten Bomben auf die iranischen Atomanlagen ab. Der JCPOA ist längst tot. Getötet von den USA, zunächst mit Worten, dann mit Sanktionen und schließlich mit Bomben. Toter geht's doch wohl kaum. Mit dem Auslösen des snapback-Mechanismus' so zu tun, als ob noch Leben im Vertrag wäre, zeugt nur einmal öfter von westlicher Blindheit gegenüber der eigenen Schofeligkeit.

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