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Aus: Ausgabe vom 31.10.2025, Seite 2 / Ausland
Krise der Hilfsorganisationen

Wie geht UNICEF mit den enormen Einschnitten um?

Humanitären Organisationen werden weltweit die Gelder gestrichen, konstatiert Michael Blauensteiner
Interview: Dieter Reinisch
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Zum Hungern gezwungen, versuchen palästinensische Familien an einer Wohltätigkeitsküche etwas zu Essen zu erhalten (Rafah, 31.12.2023)

Wie steht es aktuell um das Budget von UNICEF?

Es ist eine sich schnell entwickelnde Situation. Für dieses Jahr stehen uns 20 Prozent weniger finanzielle Mittel als im Vorjahr zur Verfügung, und für das kommende Jahr erwarten wir eine ähnliche Entwicklung. Bei uns war es immer schon so, dass jedes Projekt, an dem wir arbeiten, und jedes Land, in dem wir arbeiten, nicht gänzlich ausfinanziert waren. Ein Beispiel: Im Sudan sind wir derzeit bei einer 25prozentigen Ausfinanzierung des Hilfsprojekts. Es gibt also ein riesiges Loch von 75 Prozent, und so ist es im Grunde in allen Hotspots: Gaza, DR Kongo, Haiti. Auf diese Krisen wirkt es sich stark aus, aber es betrifft auch die ständige Entwicklungszusammenarbeit im Bildungs- und Gesundheitsbereich, wenn es um sauberes Wasser und Hygienemaßnahmen und im weiteren Bereich dann auch um Müttersterblichkeit geht.

20 Prozent weniger Finanzmittel von einem Jahr auf das nächste sind ein enormer Einschnitt. Wie geht UNICEF damit um?

Derzeit sind es vor allem Einsparungen in der Verwaltung. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass sich die Einsparungen in der Feldarbeit noch in Grenzen halten. Aber etwa in Äthiopien hatten wir bis Juni 2025 beständig etwa 30 mobile Gesundheitsteams. Davon können wir aktuell nur sieben finanzieren. Wir sind also weiter aktiv, aber der mögliche Umfang der Hilfe verringert sich. Daneben versuchen wir mit unseren bestehenden Partnerorganisationen, mehr Synergien zu schaffen. So lagern wir mehr Versorgungsgüter in den Ländern oder in der Region, um weniger einfliegen zu müssen. Aber es gibt durchweg Einschnitte und Konsequenzen. Wir erwarten, dass bis Ende 2026 sechs Millionen Kinder aus dem Schulbetrieb ausscheiden werden, was dann wiederum deutliche langfristige Folgen haben wird. In den letzten Jahrzehnten hatten wir da wichtige Erfolge aufzuweisen. Doch Einschnitte in der Bildung führen in weiterer Folge auch zu Armut, und in vielen Fällen ruft eine verschärfte Armutssituation vermehrt Krisen und Kriege hervor. Investment in Bildung ist immer ein Investment in globalen Frieden und ein Investment in die Zukunft der Kinder der Welt.

Sechs Millionen Kinder werden aus dem Schulbetrieb ausscheiden, sagen Sie. Welche Länder sind davon betroffen?

Sicherlich werden ganz besonders viele Staaten in Afrika betroffen sein, wo auch bereits jetzt die Qualität im Bildungsbereich ein großes Problem ist. Wir sprechen hier von Schulklassen, in denen 90 Kinder auf dem Boden sitzen und keine Tische haben. Selbstverständlich ist das immer noch besser, als gar keine Bildung zu haben.

Wie setzt sich das Budget von UNICEF zusammen? Woher kommt das Geld?

Wir haben nie UN-Pflichtbeiträge erhalten. Durch Lobbyarbeit sind wir darauf angewiesen, als Organisation bei Staaten selbst Geld zu erhalten. Das machen wir in Österreich genauso wie in den USA. Doch sind die Gelder aus den USA um so ein Volumen größer, dass sie global weitreichendere Auswirkungen haben als das Kürzen der Gelder in Österreich. Wir sind aber zunehmend vom privaten Sektor abhängig und verstärken dahingehend unsere Bemühungen im Bereich der Unternehmenspartnerschaften und mit privaten Personen.

Gaza ist zumindest regelmäßig in den Medien, aber ein besonderes Zielgebiet von UNICEF ist der Sudan, der nicht diese globale Aufmerksamkeit findet.

Da haben Sie recht, er geht in der medialen Berichterstattung leider unter. Es ist die größte humanitäre Katastrophe der Welt. 30 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, davon sind 15 Millionen Kinder. Im Land gibt es zehn Millionen Vertriebene. Wir sind prinzipiell im Sudan aktiv und wollen das auch verstärken, aber es gibt Regionen, wie Al-Fascher, zu denen kein sicherer Zugang möglich ist. Die nötige Hilfe zu den Menschen zu bringen, ist ein großes Problem. Ebenso der Schulzugang: 14 von 17 Millionen schulpflichtigen Kindern können seit zwei Jahren keinen geregelten Schulzugang erhalten. Dann sind wir mit der außergewöhnlichen Situation konfrontiert, dass gleichzeitig zwei Hungersnöte weltweit ausgerufen wurden: in Gaza-Stadt und im Sudan. Das Land ist ein riesiger Hotspot, in dem wir enorm mit der Finanzierung zu kämpfen haben. Wie gesagt, nur 25 Prozent von notwendigen 4,2 Milliarden US-Dollar sind ausfinanziert.

Michael Blauensteiner ist Pressesprecher von UNICEF Österreich

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