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Aus: Ausgabe vom 30.10.2025, Seite 6 / Ausland
Jemen

Schwere Vorwürfe

Jemen: Ansarollah-Regierung wirft USA und Israel Infiltration von UN-Organisationen vor. Razzien und Festnahmen von Mitarbeitern
Von Wiebke Diehl
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Spionage? Beerdigung von Stabschef Al-Ghamari und Sohn (13) sowie zwei Leibwächtern am 20. Oktober in Sanaa

Die jemenitischen Ansarollah (»Huthis«) greifen die Vereinten Nationen an. Seit Monaten berichten insbesondere westliche Medien in diesem Tenor – zuletzt, nachdem sie am Wochenende Räumlichkeiten des Hauptquartiers des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in der Hauptstadt Sanaa durchsucht hatten. Dabei sollen mehrere Mitarbeiter zeitweise festgehalten, dann aber wieder freigelassen worden sein. Derzeit haben die Ansarollah nach Angaben der Vereinten Nationen noch 53, bereits in den vergangenen Monaten verhaftete UN-Mitarbeiter in ihrer Gewalt. Vergangene Woche waren zwölf internationale UN-Beschäftigte freigelassen worden.

Die Ansarollah bezichtigen die Inhaftierten der Spionage für die USA und Israel. Unter anderem hätten sie einen großen israelischen Luftangriff im August mit ermöglicht, bei dem der Premierminister der Regierung der nationalen Rettung der Ansarollah sowie fast die Hälfte seines Kabinetts getötet wurden. Die Beschuldigten seien unter dem Deckmantel humanitärer Organisationen mit fortschrittlicher Spionageausrüstung in die jemenitischen Kommunikationssysteme und in staatliche Institutionen eingedrungen und hätten Informationen an US-amerikanische und israelische Geheimdienste weitergegeben. Die Anschuldigungen richten sich nicht gegen internationale und UN-Organisationen in ihrer Gesamtheit, sondern gegen Einzelpersonen, die diese infiltriert hätten und ausnutzten, so eine am Sonnabend veröffentlichte Erklärung des Ministeriums für äußere Angelegenheiten der Ansarollah-Regierung, das zugleich seine Wertschätzung der Arbeit humanitärer Organisationen zum Ausdruck brachte.

Die Vorwürfe sind nicht neu: Im Juni 2024 gaben die Ansarollah bekannt, sie hätten eines der größten US-amerikanisch-israelischen Spionagenetzwerke im Jemen aufgedeckt. Das Netzwerk habe insbesondere Finanzierungsquellen für Einrichtungen der Armee, Geheimdienstaktivitäten und die militärischen Fähigkeiten der Ansarollah ausspioniert, den USA und Israel seien entsprechende Koordinaten zugespielt worden. Zudem seien staatliche Behörden infiltriert und jemenitische Persönlichkeiten, insbesondere im Öl- und Handelssektor, rekrutiert worden. Durch das Einschleusen von Spionen ins Landwirtschaftsministerium sei versucht worden, die nationale Produktivität zu untergraben und die Abhängigkeit des Jemen von Importen zu erhöhen. Dazu seien sogar Schädlinge und giftige Pestizide eingeführt, nicht nachhaltige Saatgutarten subventioniert, Viehseuchen verursacht und die Bodenqualität durch schädliche Düngemittel verschlechtert worden. Auch habe man Krankheiten und Epidemien in die von den Ansarollah kontrollierten Gebiete eingeschleust.

Schon damals lautete der Vorwurf, die meisten Mitglieder des Spionagenetzwerks hätten unter dem Deckmantel internationaler und UN-Organisationen agiert, nachdem Washington zuvor über die US-amerikanische Botschaft laufende Aktivitäten im Februar 2015 eingestellt habe. Und schon damals machte Mohammed Ali Al-Huthi, Mitglied des Obersten Politischen Rates der Ansarollah, deutlich, man richte sich keinesfalls gegen UN- und andere humanitäre Organisationen und sei zudem bereit, die gegen die Beschuldigten gewonnenen Erkenntnisse an eine neutrale dritte Partei zu übergeben. Kürzlich haben mehrere arabische Medien aufgedeckt, dass der israelische Geheimdienst über bezahlte Anzeigen in sogenannten sozialen Medien versucht, Opponenten der Ansarollah zu rekrutieren. Zugleich bauen die Vereinigten Arabischen Emirate in Kooperation mit Israel seit Jahren Militär- und Geheimdienststützpunkte auf mehreren jemenitischen Inseln aus.

Die Spionagevorwürfe richten sich nicht ausschließlich gegen die USA und Israel: Im Januar erklärte die Ansarollah, ein Spionagenetzwerk des britischen Geheimdienstes MI6 und des saudischen Geheimdienstes enttarnt zu haben. Dessen Ziele seien die Gewinnung von Informationen über Raketenanlagen, Militär- und Sicherheitseinrichtungen sowie die Verfolgung hochrangiger militärischer und politischer Ansarollah-Mitglieder gewesen.

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