Höher, schneller, teurer
Von Kristian Stemmler
Die Allgemeinheit zahlt, das IOC kassiert. Auf diese Formel lassen sich alle vier Jahre die Resultate der Olympischen Sommerspiele bringen, die längst zu einer Profitmaschine mutiert sind. Obwohl das kaum mehr ernstlich bestritten wird, konkurrieren in der Bundesrepublik gleich vier Bewerber um die Ausrichtung des Spektakels: Berlin, Hamburg, München und die Region Rhein-Ruhr. In München befürworteten am Sonntag bei einer Bürgerbefragung 66,4 Prozent der Abstimmenden eine Bewerbung um die Sommerspiele 2036, 2040 oder 2044, 33,6 Prozent lehnten das ab. »Das ist ein guter Tag für München«, jubelte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD).
Reiters Aussage darf bezweifelt werden, denn das von Politik, Wirtschaft und Leitmedien mit Blick auf die deutschen Bewerbungen wieder verstärkt bemühte Bild von den Spielen als »Investitionsbooster«, der eine ganze Region neu erblühen lässt, hält der Wirklichkeit nicht stand. In Hamburg, wo ein Referendum für das Frühjahr 2026 geplant ist, scheint dieser Umstand eher durchgedrungen zu sein als in München. In einer am Sonntag publizierten Umfrage des NDR sprachen sich 60 Prozent der Befragten gegen die Olympia-Bewerbung aus. Die Mehrheit nimmt dem »rot-grünen« Senat das Konzept »nachhaltiger Spiele«, für die auf große Neubauten verzichtet werden solle, offenbar nicht ab.
Für Martin Wolter, sportpolitischer Sprecher der Linke-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, ist das Umfrageergebnis keine Überraschung. Er hofft, dass das im Frühjahr 2026 geplante Referendum genauso ausgeht wie das im Jahr 2015, als sich 51,6 Prozent der Hamburger gegen die damals von einflussreichen Interessengruppen vorangetriebene Olympia-Bewerbung aussprachen. »Die Spiele bedeuten Stress für Hamburg, zum Beispiel in Form von Mietsteigerungen, Vertreibungen, Verkehrskollaps, Hubschrauberlärm, Nachtflügen, ›Overtourism‹ und der Gefahr weiterer Kürzungen im Sozial- und Kulturbereich«, erklärte Wolter am Dienstag gegenüber junge Welt.
Der Abgeordnete verweist auf Studien, denen zufolge »nachhaltige positive Veränderungen in der Ausrichterstadt durch die Spiele ausbleiben«. Tatsächlich verpuffen Effekte im Tourismus und in der Bauwirtschaft nach Ende der Spiele relativ schnell. Das Portal Sportschau.de zitierte am Sonntag Klaus Wolrabe vom kapitalnahen Münchener Ifo-Institut mit der Aussage, langfristige wirtschaftliche Effekte könne es lediglich bei der Infrastruktur und dem Wohnungsbau geben.
Auch in Berlin, das bisher gar kein Referendum plant, stellt sich die Linke gegen eine Olympia-Bewerbung, dort gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen. Die beiden Fraktionen im Abgeordnetenhaus forderten einen Verzicht auf die Kandidatur und kritisierten, dass der »schwarz-rote« Senat sechs Millionen Euro für die Bewerbung ausgeben will. Kristian Ronneburg, in der Linksfraktion für Sport zuständig, erklärte, der Senat müsse »jetzt die Reißleine in diesem absurden innerdeutschen Wettkampf ziehen« und die Steuermillionen »nachhaltig in unsere Sportinfrastruktur investieren«. Das sieht auch Klara Schedlich so, sportpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. »Eine wenig aussichtsreiche Olympia-Bewerbung zum jetzigen Zeitpunkt voranzutreiben, ist die völlig falsche Prioritätensetzung«, sagte sie gegenüber jW. Das Geld müsse »in unsere Schwimmbäder und maroden Sportstätten fließen, damit jedes Kind schwimmen lernen und einen Verein besuchen kann«.
Nicht ganz so eindeutig ablehnend wie seine Parteikollegen in Hamburg und Berlin äußert sich Christian Görke, sportpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag, zum Olympia-Projekt. Die Linke stehe einer deutschen Olympia-Bewerbung »skeptisch« gegenüber, solange Bund, Länder und Kommunen »keinen vernünftigen Schulsport und Schwimmunterricht« absichern könnten und die Sportstätten saniert würden, sagte er gegenüber jW. Voraussetzung für eine Zustimmung der Linkspartei zur Bewerbung sei neben der Zustimmung durch die Bevölkerung ein Sofortkonzept, mit dem die Missstände im Schul-, Breiten-, Gesundheits- und auch Spitzensport beseitigt werden könnten.
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (beide CDU) bekräftigten angesichts des Münchener Votums vom Sonntag, an ihren Olympia-Bewerbungen festzuhalten. In Bayern wird das Ja in der Landeshauptstadt indes als Vorentscheidung verstanden. Mit den Worten »Jetzt fluten wir den DOSB mit unseren Argumenten« kündigte der CSU-Vorsitzende Markus Söder Gespräche mit dem Deutschen Olympischen Sportbund an. OB Reiter drängelt und stellte laut dpa den Zeitplan des DOSB in Frage, der erst im Herbst 2026 den deutschen Olympia-Kandidaten benennen will. Der DOSB-Vorstandschef Otto Fricke betonte dagegen, am Zeitplan werde festgehalten.
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Leserbrief von Bernhard Schewe aus Winneba/Ghana (28. Oktober 2025 um 21:23 Uhr)Ich verstehe nicht ganz, warum sich Linke gegen Olympische Spiele sperren. Das ist doch allemal besser, als das Geld sinnlos in Rüstung zu verbraten. M. M. soll der Sport in seiner ganzen Breite gefördert werden, einschließlich Spitzensport, auch Schulkinder und Breitensportler brauchen Vorbilder. Bernhard Schewe, Junge Welt-Leser seit 1964
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