Gegründet 1947 Sa. / So., 25. / 26. Oktober 2025, Nr. 248
Die junge Welt wird von 3054 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 25.10.2025, Seite 8 / Inland
Bürgerentscheid in München

»Die Spiele lösen immer auch eine Mietenkatastrophe aus«

Bayern: Münchner können noch bis Sonntag Stimme zu möglicher Olympiabewerbung abgeben. Ein Gespräch mit Stefan Jagel
Interview: Fabian Linder
Vor_dem_Buergerentsc_87288474.jpg
In München stehen noch die Stadien und Sportanlagen der Sommerspiele von 1972 (19.9.2025)

In München sind Bürgerinnen und Bürger dazu aufgerufen, per Briefwahl oder noch an diesem Sonntag persönlich zu einer möglichen Olympiabewerbung der Stadt ab 2036 die Stimme abzugeben. Wie kam es dazu?

Der Stadtrat hat sich in einer Mehrheit für eine Bewerbung ausgesprochen, aber entschieden, dass die Bürger der Stadt noch mal gefragt werden. Es ist so, dass der Deutsche Olympische Sportbund in seinen Kriterien inzwischen festlegt, dass es Bürgerbeteiligungsformate geben muss, und man hat sich an der Stelle für ein Ratsbegehren entschieden. Wir haben die Bewerbung auch abgelehnt und werben seit Mai für das Nein zu Olympia.

»Nolympia« heißt entsprechend das Bündnis, in dem Sie sich mit Die Linke München engagieren. Wie setzt sich dieses zusammen?

Das ist ein bunter, gemischter Haufen. Da sind etwa der Bund Naturschutz, Bürgerinitiativen sowie die ÖDP vertreten. Ganz unterschiedliche Akteure also, die aus unterschiedlichen Perspektiven die Olympiabewerbung kritisieren.

Welche Parteien, aber auch darüber hinaus, sind für die Olympiabewerbung?

Im Kern sind das CSU, SPD und Grüne, die im Stadtrat und im Landtag für Olympia werben. Darüber hinaus auch viele Sportvereine, aber auch die ganzen Wirtschaftsvertretungen. Dort glaubt man, den ganz großen Reibach machen zu können. Es gibt aber auch Sportvereine, die das kritisch sehen. Allerdings unterstützen die ganzen Sportfunktionäre die Olympiabewerbung.

Wie lauten die Argumente der Befürworter?

Es wird immer erzählt, dass es den großen Aufschwung und viel Geld für München geben wird. Wir bezweifeln das ehrlicherweise. Es werden mit der Olympiabewerbung gerade viele Infrastrukturprojekte verknüpft. Da wird wirklich ein Luftschloss gebaut, und ich finde es zum Teil auch unlauter, wie die Befürworter unterwegs sind. Im Kern geht es darum, wofür jetzt Geld ausgegeben wird: für Soziales, für Kultur, für das, was die Münchnerinnen und Münchner heute brauchen, oder gibt man mindestens 50 Millionen Euro für eine Bewerbung aus, wo noch gar nicht klar ist, dass man die Olympischen Spiele wirklich bekommt? Es gibt ja vier Städte, die sich in Deutschland bewerben, und dann gibt es noch Indien.

Was halten Sie dem entgegen?

Dieses Geld kann woanders besser eingesetzt werden. Zwar wird versprochen, sozialen Wohnungsbau zu fördern. Den brauchen wir aber nicht 2044, sondern heute. Gleichzeitig streicht die Stadtregierung das gesamte Wohnungsbauprogramm zusammen. Das sind die Kernpunkte der Auseinandersetzung darüber, wieviel Kohle man dem Internationalen Olympischen Komitee, IOC, in den Rachen schmeißt und wieviel letztlich bei den Münchnerinnen und Münchnern ankommt.

Ähnliche Auseinandersetzungen gab es bereits in anderen Städten, etwa zuletzt in Paris 2024.

Von Paris wird immer gesagt, alles sei sehr nachhaltig gewesen. Es stimmt, dass auch bestehende Sportstätten genutzt wurden. Gleichzeitig wurden Tausende von Obdachlosen in Busse gepackt und nach Lyon verbracht. Die Stadt wurde sozial gesäubert. Hinzu kam der enorme Militäreinsatz in Paris, drastische Sicherheitsmaßnahmen, die die Pariser total eingeschränkt haben, so dass die sich nur noch in Zonen bewegen und mit Zugangskarten zu ihren Wohnhäusern gehen konnten. Allein das war unverhältnismäßig.

Inwieweit wird heute Bezug auf die Spiele von 1972 in München genommen?

Die Olympischen Spiele 72 werden als Argument verwendet, wie sehr das die Stadtentwicklung nach vorn gebracht hat. Das ist durchaus richtig, allerdings stellt man etwa mit einem Blick auf die Entwicklung der Miet- und Bodenpreise fest, dass diese vor 72 auch gestiegen sind. Olympische Spiele lösen immer auch eine Mietenkatastrophe aus, und die Stadt hat jetzt schon ein Mietenproblem, wo die Leute das nicht mehr bezahlen können. Darüber hinaus waren die Spiele damals die letzten ohne Großsponsoren. Seither hat sich der Charakter des IOC verändert. Es steht nicht mehr nur der Sport im Fokus, sondern auch der Profit.

Stefan Jagel ist Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Münchner Stadtrat

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München trat die DDR e...
    18.09.2025

    Foul gespielt

    Nazifunktionäre in der BRD und Ausgrenzung von DDR-Athleten – der Kalte Krieg machte auch vor dem Sport nicht halt
  • Alice Milliats größte Leidenschaft galt dem Rudern
    03.05.2024

    Olympische Spiele erkämpft

    Sportlerin und Aktivistin: Zum 140. Geburtstag von Alice Milliat, die den Weg für Frauen ebnete
  • Trio Infernal (v. l. n. r.): Antoine Arnault, LVMH-Imagedirektor...
    26.10.2023

    Der Preis der Spiele

    Olympia in Paris: Heuchelei um »grüne Sommerspiele«. Buchhändler fürchten Vertreibung

Mehr aus: Inland