Klingbeil im Klassenkrampf
Von Ralf Wurzbacher
Die SPD »rebelliert« – mal wieder. In jüngster Zeit kam auch einiges zusammen, was an der sogenannten Parteiseele nagt: eine Bürgergeldreform mit AfD-Anstrich, ein Kanzler, dem das »Stadtbild« nicht gefällt, und Umfragen, die vom Untergang der Sozialdemokratie künden. Jetzt soll damit aber Schluss sein. Gleich mit mehreren Initiativen schalten Willy Brandts Erben auf stur. In einem Mitgliederbegehren wendeten sich Teile der Basis gegen Verschärfungen im Umgang mit Langzeiterwerbslosen, berichtete am Dienstag der Spiegel. Ferner machen zwei Papiere die Runde, in denen für eine höhere Besteuerung von Reichen plädiert wird, eines vom konservativen Seeheimer Kreis, das andere von den Jusos. Der Nachwuchs plädiert darin für nicht weniger als »konsequenten Klassenkampf«.
Gegen die Agenda 2030
Den gibt es zunächst nur in kleiner Runde. Unterzeichnet wurde der Aufruf gegen die beschlussreife Reform des Bürgergelds unter anderem von Juso-Chef Philipp Türmer und der SPD-Europaabgeordneten Maria Noichl. Unterzeichnet ein Prozent der SPD-Mitglieder das Begehren, gilt es als offiziell eingeleitet. Stellt sich in einem zweiten Schritt binnen drei Monaten ein Fünftel der Basis dahinter, könnte der Parteivorstand entweder den Inhalt als Beschluss fassen oder anschließend mit einem Mitgliederentscheid dazu genötigt werden. »Sanktionen, die das Existenzminimum gefährden, widersprechen der Menschenwürde«, heißt es im Text. Es sei falsch, dass Menschen selbst das Geld für Wohnen und Heizen entzogen werden solle. Eben so steht es in der Gesetzesvorlage von SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas, die der Bundestag noch in diesem Jahr beraten soll, damit sie im Frühjahr 2026 in Kraft treten kann.
Anfang Oktober hatten sich die Spitzen von Union und SPD per Koalitionsausschuss auf das Vorhaben einer »neuen Grundsicherung« geeinigt. Ein Scheitern könnte die Koalition zerreißen, womit bei den Beharrungskräften der SPD-Spitze jedoch nicht zu rechnen ist. Der Antrag der Parteilinken wirbt für mehr Unterstützung, Qualifizierung und psychosoziale Hilfe für Bedürftige. Eine Modernisierung und eine Effizienzsteigerung des Sozialstaates seien zu unterstützen, halten sie fest. Es dürfe jedoch »keine Wiederauflage der Agenda 2010 geben und damit auch keine pauschale Kürzung sozialer Leistungen«. Gewerkschaften, Sozial- und Wohlfahrtsverbände machen insbesondere gegen Pläne Front, die Leistungen für sogenannte Totalverweigerer einschließlich der Mietzahlungen komplett zu streichen. Hier drohe eine »deutliche Zunahme von Wohnungslosigkeit«, heißt es in einem offenen Brief mehrerer Verbände.
Simulierter Ungehorsam
Den linken Parteiflügel treibt überdies die Sorge um, mit der eigenen Politik Populisten in die Karten zu spielen. »Die rechte und konservative Seite führt gerade eine massive Kampagne der Entsolidarisierung gegen geflüchtete Menschen, gegen Menschen, die in Armut leben, gegen Menschen, die über wenig Privilegien verfügen«, äußerte sich die frühere Juso-Chefin Franziska Drohsel gegenüber dem Spiegel. Die SPD stehe für Zusammenhalt, Solidarität und dafür, dass jeder Mensch in dieser Gesellschaft in Würde leben kann, behauptete sie. »Diesem Auftrag wird sie gerade nicht gerecht, und dafür möchten wir mit unserem Mitgliederbegehren kämpfen.« Ärger innerhalb der Regierung hatte zuvor bereits der Vorstoß von zehn SPD-Bundestagsabgeordneten für einen »Stadtbildgipfel« im Kanzleramt ausgelöst. Dessen Ziel soll es sein, die Debatte nach den verunglimpfenden Äußerungen gegenüber Migranten durch Friedrich Merz (CDU) zu versachlichen. Die Führung der Union lehnt das ab und schäumt zudem wegen der Teilnahme von SPD-Fraktionsvize Wiebke Esdar an einer Anti-Merz-Demo am vergangenen Freitag in Bielefeld. Prompt unkte die Bild am Montag: »Experten sehen Koalition in Gefahr.«
Selbst der einflussreiche Seeheimer Kreis, dem Parteichef Lars Klingbeil angehört, simuliert neuerdings Ungehorsam. In einem Papier namens »Gerechtigkeit schafft Stärke – Leitplanken für die Finanzpolitik von morgen« wirbt die Gruppierung des rechten SPD-Flügels für eine Abschaffung beziehungsweise Einschränkung von Steuerprivilegien für die Erben großer Konzernvermögen. Eine Reform der Erbschaft- und Schenkungssteuer finanziere dann »Bildung, Infrastruktur und sozialen Aufstieg«, zitierte am Dienstag das Redaktionsnetzwerk Deutschland aus dem Konzept. »So wie es ist, kann es nicht bleiben«, ließ sich der SPD-Parlamentarier Parsa Marvi wiedergeben. In dieselbe Richtung zielt der Leitantrag der Parteijugend für den Juso-Kongress Ende November in Mannheim. »Dieser Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit droht den demokratischen und sozialen Rechtsstaat zu zerstören«, ist darin zu lesen. Der zementierte Geldadel sei Ergebnis einer neoliberalen Politik, die »auch von der SPD betrieben wurde«. So wird es wohl weitergehen.
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