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Aus: Ausgabe vom 27.10.2025, Seite 7 / Ausland
Ukraine-Krieg

»Burewestnik« vs. »Tomahawk«

Ukraine-Krieg: Russland stellt weitreichenden Marschflugkörper in Betrieb und greift weiter umfassend Energie- und Rüstungsinfrastruktur an
Von Reinhard Lauterbach
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Noch deutlich weniger Reichweite: Der 1981 entwickelte Marschflugkörper vom Typ »P-800 Oniks« (Murmansk, 27.7.2025)

Russland hat behauptet, den seit Jahren angekündigten Marschflugkörper des Typs »Burewestnik« zur Serienreife gebracht zu haben. Präsident Wladimir Putin teilte am Sonntag in Moskau mit, der nuklear angetriebene Marschflugkörper habe letzte Woche erfolgreich den letzten Testflug über 14.000 Kilometer und 15 Stunden absolviert; nun werde damit begonnen, ihn in Dienst zu stellen. Eine Bestätigung von unabhängiger Seite lag zunächst nicht vor.

Putin hatte die Arbeiten an diesem Modell bereits 2018 angekündigt, als er die russischen Hyperschallwaffen zumindest auf dem Reißbrett präsentierte. Jetzt sagte er, der neue Marschflugkörper habe durch seinen nuklearen Antrieb – nicht zu verwechseln mit dem Gefechtskopf – eine praktisch unbegrenzte Reichweite und könne jedes denkbare Raketenabwehrsystem überwinden, da er noch während des Fluges steuerbar sei. Da der »Burewestnik« theoretisch auch Ziele in den USA treffen kann, interpretierten russische Experten die Bekanntgabe des erfolgreichen Tests als Warnung an die USA davor, der Ukraine weitreichende »Tomahawk«-Marschflugkörper zur Verfügung zu stellen.

Parallel dazu äußerte sich der russische Sondergesandte Kirill Dmitrijew bei einem Besuch in den USA optimistisch, dass eine diplomatische Lösung für ein Kriegsende in der Ukraine in Sicht sei. US-Medienberichten zufolge war er am Sonnabend mit dem US-Sondergesandten Steve Witkoff zusammengetroffen. Gegenüber dem Sender CNN würdigte er vor allem, dass der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij sich bereiterklärt habe, die aktuelle Frontlinie als Ausgangspunkt für Verhandlungen zu akzeptieren und damit die russischen Eroberungen seit 2022 wenigstens auf praktischer Ebene hinzunehmen. Ob Russland im Gegenzug auf weitergehende Eroberungspläne verzichten könnte, sagte er nicht. US-Präsident Donald Trump dagegen erklärte am Sonnabend auf seinem Flug Richtung Asien, er werde sich nicht mehr mit Putin treffen, bis dieser erkennen lasse, dass er zu einer Beendigung des Kriegs bereit sei.

In der Ukraine selbst setzt Russland seine Angriffe auf Objekte der Rüstungsindustrie und der Energiewirtschaft mit offenbar wachsenden Folgen fort. In der Nacht zum Sonntag wurde nach übereinstimmenden Berichten beider Seiten das Kiewer Heizkraftwerk 6 durch Beschuss weitgehend zerstört. Die Anlage mit einer Nennleistung von 500 Megawatt versorgte große Teile der Stadt mit Strom und Fernwärme. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Heizperiode riefen ukrainische Medien die Kiewer Bevölkerung dazu auf, sich auf »Alternativen« vorzubereiten: Wer eine Datscha mit Ofen auf dem Land oder Verwandte auf dem Dorf habe, solle sich mit dem Gedanken vertraut machen, den Winter dort zu verbringen. Die Kiewer Stadtverwaltung teilte mit, womöglich müsse der offizielle Beginn der Heizperiode auf den 1. Dezember verlegt werden.

Russland stellt seine Angriffe auf Energieanlagen als Vergeltung für ukrainische Schläge gegen russische Ölverarbeitungsbetriebe dar. Aus verschiedenen Regionen Russlands kommen immer wieder Bilder über brennende Raffinerien. Offenbar gibt es inzwischen in großen Teilen des Landes Engpässe bei der Versorgung mit Benzin und Diesel. Die Preise steigen, teilweise wird die Abgabe von Treibstoff rationiert. Westliche Experten schätzen, dass die ukrainischen Angriffe etwa ein Drittel der russischen Raffineriekapazitäten zerstört oder langfristig beschädigt haben.

Von der Front melden beide Seiten russische Vormärsche in den Regionen Saporischschja und Dnipropetrowsk mit einer Tiefe von bis zu neun Kilometern. Im umkämpften Pokrowsk stellte die russische Seite den ukrainischen Verteidigern ein Ultimatum, die Stadt bis zu diesem Montag zu verlassen. Ansonsten würden die schweren Flammenwerfer des Typs »Solnzepjok« (Sonnenbrand) gegen sie eingesetzt. Geländegewinne meldete Russland auch östlich von Kupjansk im Bezirk Charkiw. Nachdem die Stadt selbst schon seit Wochen umkämpft und teilweise erobert ist, droht den ukrainischen Kräften östlich des Flusses Oskil/Oskol nun offenbar die Einschließung, nachdem russische Einheiten dabei sind, sich auf das östliche Flussufer vorzukämpfen.

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