Bühne frei für »krasse Indizien«
Von Kristian Stemmler
Das Karussell der Verratsvorwürfe Richtung AfD dreht sich weiter, denn offensichtlich ist die parlamentarische Konkurrenz der Ansicht, dass es vielversprechend ist, eine nationalistische Partei mit nationalistischen Vorwürfen zu attackieren. Nach dem großen Aufschlag vom Mittwoch, als der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD), flankiert von Wortmeldungen aus der Union und von Bündnis 90/Die Grünen, suggeriert hatte, die AfD betreibe mittels parlamentarischer Anfragen im Auftrag des Kreml die gezielte Ausforschung »unserer kritischen Infrastruktur«, stieg in der Rheinischen Post am Freitag Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) in den Ring. Er forderte eine Aufklärung der Vorwürfe. Der »Verdacht«, im Bundestag »für den Ex-KGB-Spion Putin zu spionieren«, wiege schwer, erklärte er. Die Partei- und Fraktionschefin der AfD, Alice Weidel, müsse umgehend und zweifelsfrei aufklären, »welche Machenschaften es in ihrer Fraktion gibt«. Der Spionageverdacht werde durch zahlreiche Vorfälle in den Reihen der AfD genährt, versicherte Spahn und sprach bedeutungsschwer von »Verrat an unserem Vaterland«.
Die Vorwürfe Maiers griff am Freitag auch Irene Mihalic, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, gegenüber dem RND auf. Sie wolle rechtlich prüfen lassen, ob die Beantwortung sogenannter Kleiner Anfragen der AfD durch die Regierung eingeschränkt werden könne, wenn Sicherheitsrisiken »zulasten Deutschlands und zugunsten Russlands« zu erkennen seien. Parlamentarische Fragen zu beantworten, sei zwar eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, so Mihalic weiter. Da müsse bei der Beantwortung »sorgfältig abgewogen werden«. Es gebe allerdings ein »Dilemma bei der AfD, weil die Gefahr besteht, dass so erlangte Informationen direkt dort landen, wo sie nicht hingehören«. Diese Frage sei grundsätzlich zu klären.
Marc Henrichmann (CDU), Vorsitzender des Geheimdienste-Kontrollgremiums im Bundestag und auch schon am Mittwoch mit von der Partie, schloss sich der Forderung von Mihalic an. Es gebe für eine von Russland veranlasste Spionage durch die AfD »krasse Indizien«, erklärte Henrichmann gegenüber RND. In der »Abwägung des freien Mandats und der Spionagevermutung« könne das »nicht mehr dazu führen, dass sensible Informationen AfD-Vertretern schriftlich zugestellt werden«. Er halte es für möglich, führte der CDU-Politiker weiter aus, dass Russlands Präsident Wladimir Putin die AfD als »willfähriges Werkzeug« benutze. Die Parteiführung habe »nicht die Kraft, diese Form des Verrats zu unterbinden«. Dass Regierungen bei parlamentarischen Anfragen sowieso nicht verpflichtet sind, aus ihrer Sicht sensible Informationen offenzulegen, ließen sowohl Henrichmann als auch Mihalic einmal mehr unerwähnt.
Die Grünen-Politikerin nahm die Spionagevorwürfe zum Anlass, das Verbot der AfD erneut ins Spiel zu bringen. Die Partei schade Deutschland, und »alle Formen der russischen Einflussnahme auf sie sind denkbar«, sagte sie dem RND. Wer das so sehe, komme um die ernsthafte Prüfung eines AfD-Verbotsverfahrens nicht herum. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) müssten in dieser Sache »nun Farbe bekennen«.
Die AfD verlegt sich derweil auf die bereits am Mittwoch angekündigten rechtlichen Schritte. Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke stellte Strafantrag und Strafanzeige gegen Innenminister Maier, wie die Landtagsfraktion am Donnerstag mitteilte. Das Handelsblatt, in dem Maier die Vorwürfe geäußert hatte, sei abgemahnt worden. Höcke veröffentlichte die bei der Erfurter Staatsanwaltschaft eingereichte Strafanzeige am Freitag auf der Plattform X. Demnach wirft er im Namen der Landtagsfraktion Maier falsche Verdächtigung, Verleumdung, üble Nachrede, Beleidigung und Nötigung von Verfassungsorganen vor. Maier, heißt es in der Begründung, habe mit seinen Äußerungen suggeriert, die Fraktion missbrauche ihr parlamentarisches Fragerecht mit dem Ziel, »Informationen über sicherheitskritische Infrastruktur im Interesse einer ausländischen Macht« zu beschaffen. Damit werde unter anderem der »schwerwiegende Tatvorwurf« der geheimdienstlichen Agententätigkeit und des Landesverrats in den Raum gestellt, »ohne dass auch nur ansatzweise konkrete Beweise oder Tatsachen angeführt würden«.
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