Staatsterror in Ecuador
Von Volker Hermsdorf
Ecuador versinkt in einer Spirale aus Gewalt und staatlicher Repression. Die Regierung des rechten Staatschefs Daniel Noboa lässt Armee und Polizei gegen soziale Proteste marschieren, während die Zahl der Morde mit 25 pro Tag einen historischen Höchststand erreicht. Unter dem Vorwand, den »Narkoterrorismus« zu bekämpfen, verfolgt der Bananenunternehmer vor allem Demonstrierende, Streikende und politische Gegner. Menschenrechtsorganisationen sprechen von Staatsterrorismus, Protestierende von einem »Krieg gegen das eigene Volk«. Vier Wochen nach Beginn landesweiter Proteste gegen die Streichung von Dieselsubventionen und den Abbau sozialer Leistungen antwortet das Regime mit militärischer Gewalt, Zensur und der systematischen Aushöhlung demokratischer Rechte.
Seit rund einem Monat erschüttert ein vom indigenen Dachverband CONAIE, Gewerkschaften und Studierendenorganisationen getragener Generalstreik das Land. Doch statt über deren Forderungen nach sozialer Sicherheit, Preisstabilität sowie Investitionen in Gesundheit und Bildung zu verhandeln, verhängte die Regierung den Ausnahmezustand, setzte die Versammlungsfreiheit außer Kraft und schickte Truppen, um den Protest niederzuschlagen. Soldaten patrouillieren in Dörfern und Wohnvierteln, kontrollieren Fahrzeuge, verhaften willkürlich. In Quito und anderen Städten zielten Einsatzkräfte mit Gummigeschossen auf friedliche Demonstrierende; in einem Fall verlor ein indigener Gemeindevorsteher ein Auge. Laut der Allianz für Menschenrechte in Ecuador wurden bisher drei Menschen getötet, Hunderte verletzt und fast 400 Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Gleichzeitig zerschlägt die Regierung systematisch zivilgesellschaftliche Strukturen. Bankkonten indigener Organisationen wurden eingefroren, regierungskritische Medien blockiert und über 200 Aktivisten verhaftet. Seit 2023 gelten laut Amnesty International 43 Personen als »verschwunden«, nachdem sie von Militärs festgenommen worden waren. Angehörige berichten von Folter, Drohungen und Einschüchterung.
Noboa rechtfertigt das Vorgehen mit der eskalierenden Gewaltkriminalität. Ecuador, einst unter dem linken Präsidenten Rafael Correa (2007–2017) das sicherste Land Südamerikas, erlebt heute das blutigste Jahr seiner Geschichte: 6.797 Morde allein bis September – ein Anstieg um fast 37 Prozent gegenüber 2024. Dennoch bleiben die Strukturen der organisierten Kriminalität unangetastet. Beobachter sprechen von einer Verschmelzung zwischen Polizei, Armee und mafiösen Netzwerken, die in Häfen, Gefängnissen und Ministerien gleichermaßen operieren. Nach Angaben der Weltzollorganisation stammen 30 Prozent des weltweit in Containern sichergestellten Kokains aus ecuadorianischen Häfen. »Wir haben einen Staat, in dem sich wirtschaftliche Macht, politische Macht und private Interessen in einem gefährlichen Cocktail mischen und die staatlichen Institutionen völlig zerstören«, sagt Luisa González, die ehemalige Präsidentschaftskandidatin des linken Movimiento Revolución Ciudadana.
Während im Inland die Gewalt eskaliert, verschärft sich die internationale Lage: Seit August führen die USA in der Karibik Militäroperationen durch – offiziell im »Kampf gegen den Drogenhandel«. Doch die Realität sieht anders aus: Beim Angriff auf ein angeblich drogenbeladenes U-Boot kamen vor wenigen Tagen zwei Ecuadorianer ums Leben, ein Überlebender wurde später freigelassen. Beweise für ein Verbrechen konnte die ecuadorianische Staatsanwaltschaft nicht finden. González kritisiert zudem, dass sich der US-Militäreinsatz vor allem gegen die gewählte Regierung in Caracas richte – obwohl nur fünf Prozent der Drogen aus Venezuela stammten. Washington ignoriere dagegen die wachsende Rolle Ecuadors als Exportdrehscheibe. Eine mögliche Erklärung dafür liefert die von Noboa betriebene außenpolitische Wende zugunsten der USA. Am 16. November will er in einem Referendum über die seit 2008 verbotene Wiedereinrichtung von US-Militärstützpunkten abstimmen lassen – eine Rückkehr zur Politik der Unterordnung, die Correa 2009 beendet hatte.
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