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Aus: Ausgabe vom 23.10.2025, Seite 7 / Ausland
Gazakrieg

Machtkampf unter Palästinensern

Gazakrieg: Neben seinem Militär setzt Israel auf bewaffnete Milizen gegen Hamas
Von Gerrit Hoekman
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Um die Hamas weiter zu schwächen, fördert Israel bewaffnete Milizen in dem Küstenstreifen

Die Waffenruhe in Gaza ist gefährdet. Israel und die Hamas beklagen erneut Tote. Die Umstände stellen beide Seiten entgegengesetzt dar: Schuld ist jeweils der Gegner. Derweil entwickelt sich in Gaza ein Nebenkriegsschauplatz, der das Zeug hat, zu einem blutigen Konflikt zwischen der Hamas und ihren palästinensischen Herausforderern zu werden. Für die Hamas-Gegner scheint die Zeit gekommen, den militärisch und organisatorisch geschwächten Islamisten die Alleinherrschaft von beinahe 20 Jahren zu entreißen.

»Wir sind die Söhne Gazas«, zitierte die britische Onlinezeitung The Independent einen Kommandanten der sogenannten Volkskräfte. Angeführt werden sie von Jassir Abu Schabab, einem Beduinen, der zur alteingesessenen Familie der Al-Tarabin gehört. Abu Schabab wurde von der Hamas 2015 wegen Drogenhandels zu 25 Jahren Haft verurteilt. Nach einem israelischen Bombenangriff auf das Gefängnis in Khan Junis im Oktober 2023 konnte er fliehen. Abu Schabab soll laut Internetmagazin Long War Journal 500 bis 700 Männer befehligen. Die Gruppe selbst behauptet gegenüber dem Independent, es seien 5.000. »Wir haben fünfmal so viele Soldaten wie die Hamas und sind bereit anzugreifen. Wir werden sie und ihre Familienangehörigen in die Hölle schicken«, drohte ein Vertreter der »Volkskräfte«.

Stationiert sind sie in der »gelben Zone«, in der Israel entsprechend der Waffenruhevereinbarung nach wie vor die Kontrolle ausübt. Das Gebiet macht mehr als die Hälfte Gazas aus. Die israelische Armee hält dort schützend ihre Hand über Abu Schababs Miliz. Premierminister Benjamin Netanjahu räumte im Juni ein, Israel liefere an sie Waffen. »Was ist daran falsch?« fragte er laut BBC. »Es rettet die Leben israelischer Soldaten.« Die Miliz gibt vor, eine Bewegung zum Schutz der Palästinenser vor Terror und Gewalt zu sein. Die Hamas nennt Abu Schabab und seine Leute Verräter. Seit Beginn der Waffenruhe kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen.

Israel wirft der Hamas seit Monaten vor, sie würde die ohnehin spärlich in den Küstenstreifen kommenden Lebensmittel für sich abzweigen. Dies war das Argument, die Hilfslieferungen lange Zeit zu verbieten. Doch anscheinend waren eher die von Israel protegierten Milizen für Angriffe auf Hilfskonvois verantwortlich. So sagte die Sprecherin des Welternährungsprogramms, Abeer Atifa, am Dienstag in Genf, dass seit Eintreten der Waffenruhe keine Plünderungen von Hilfslieferungen mehr bemerkt worden seien. Von dem Moment an geht die Hamas gegen die anderen Gruppen vor.

Eine weitere von Israel beschützte Gruppe ist die »Counter-Terrorism Strike Force« (CSF) von Hussam Al-Astal, einem Beduinen aus der Mujaida-Familie. Die CSF ist seit Mitte August mit etwa 100 Kämpfern in der Gegend um Khan Junis aktiv. Al-Astal war früher bei der Nationalbehörde in Ramallah beschäftigt. Er soll der Fatah von Präsident Mahmud Abbas nahestehen. »Wir sind die neue Verwaltung des Gazastreifens«, sagt Al-Astal laut Independent. Er behauptet, einen direkten Draht zur Trump-Administration zu haben, und wünscht sich den britischen Expremier Tony Blair als Statthalter. Am 3. Oktober drangen Kämpfer der Hamas gewaltsam in eine der Mujaida-Nachbarschaften in Khan Junis ein, berichtete die BBC. Das Gefecht habe Stunden gedauert. Auf beiden Seiten gab es Tote. Am 12. Oktober kam es dann zu einem Kampf zwischen der Hamas und der Durmusch-Familie in Gaza-Stadt. Acht Hamas- und 19 Durmusch-Mitglieder starben.

Die Hamas versucht mit allen Mitteln, die Ordnung in den von Israel geräumten Gebieten wiederherzustellen. Dabei beschuldigt sie Israel, »kriminelle Banden zu bilden, zu bewaffnen und zu finanzieren, die Morde, Entführungen, Diebstähle von Hilfstransportern und Raubüberfälle verübt haben«. Zu ihrer Bekämpfung ist sie auch vor Hinrichtungen nicht zurückgeschreckt, will aber laut Medienberichten vom Mittwoch ab sofort von ihnen absehen. Doch eines ist sicher: Weitere Zusammenstöße zwischen der Hamas und den Milizen sind unausweichlich – und damit möglicherweise auch mit Israel.

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  • Leserbrief von Reinhold Schramm aus Berlin (24. Oktober 2025 um 11:34 Uhr)
    Es gibt keine gemeinsame Zukunft im Nahen Osten! Das Massenbewusstsein der arabisch-palästinensischen und der Mehrheit der multiethnischen israelischen Bevölkerung ist dermaßen vom wechselseitigen Hass so ausgeprägt, dass ein friedliches Miteinander für weitere Generationen ausgeschlossen bleibt. Auch wenn es der arabischen Bevölkerung und der israelischen Bevölkerung gelingen würde in den kommenden Generationen den jeweiligen religiösen Wahn und Aberglauben zunehmend zu überwinden, so würden die wechselseitigen tief in der Psyche eingebrannten Wunden noch über weiter Generationen fortbestehen. Fazit: eine eigenständige Staatlichkeit mit einer gemeinsamen Grenze bleibt wohl im 21. Jahrhundert dauerhaft ausgeschlossen. Einen Staat Palästina wird es im Nahen Osten infolge nicht geben. Allenfalls könnte auf dem Territorium der Golfstaaten eine Eigenstaatlichkeit sich entwickeln. Dafür müssten die bisherigen Finanziers des feudal-religiösen Islamismus auch die Kosten für die Finanzierung, die Ansiedlung und Alimentierung übernehmen. PS: Wer beispielsweise für die irrationale Fußball-WM 240 Milliarden Dollar verschleudern konnte, wie die absolutistische feudal-religiöse Monarchie Katar. Dabei mit mehr als 6500 ermordeten vor allem asiatischen Bauarbeitern. Der könnte auch zusammen mit den anderen feudal-religiösen parasitären Monarchien, so auch Saudi-Arabien, VAE und Kuwait, die Finanzierung und Umsiedlung von fünf Millionen arabischen Palästinensern übernehmen! 24.10.2025, R.S.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (24. Oktober 2025 um 13:06 Uhr)
      Religiöse Argumente sind im Palästinakonflikt keineswegs ursächlich. Im Kern geht es vielmehr um weltliche Ansprüche. Der Zionismus - zunächst keineswegs nur auf Palästina fixiert - ist im Ursprung eine nationalistische Bewegung, die unter religiösen Juden sogar vielfach auf Kritik stieß, da man Scheu hatte, dem Wirken des Messias vorzugreifen. Unter dem Eindruck der russischen Pogrome und des Zusammenbruchs des Osmanischen Reiches fiel die Wahl gleichwohl schlussendlich auf Palästina, obwohl viele Palästinenser ihr Land nicht hergeben wollten. Die britischen Kolonialherren fragten da nicht viel. In Palästina hatten Juden und Muslime zuvor jahrhundertelang vergleichsweise friedlich mit- bzw. nebeneinander gelebt. Die Probleme begannen erst mit der nationalistisch-zionistischen Zuwanderung. Es geht um zwei konkurrierende Nationalismen, den arabischen und den zionistischen, die beide die Herrschaft über denselben Landstrich wollen. Religiöse Argumente wurden erst sekundär wirkmächtig als Affirmation nationalistisch-weltlicher Ansprüche. Die im Trump-Plan enthaltene Diskussion zwischen den Religionen ist von daher zwar nicht abzulehnen, kann aber nicht das Problem vom Kern her lösen. Die nötigen doppelstaatlichen Strukturen müssen erst noch erfunden werden. Vielleicht kann ja der von den Roma kürzlich ausgerufene Digitale Staat dazu eine Idee beitragen. Dass die mit der brutalen Gewalt eingebrannten Traumata einem friedlichen Miteinander nicht förderlich sind, das ist natürlich vollkommen klar. Eine Vertreibung der Palästinenser mag da als einfache Lösung nahe liegen. In Jordanien oder im Libanon hat sich eine Quasi-Staat-in-Staat-Lösung hingegen nicht bewährt, wenn ich etwa an den Schwarzen September denke. Eine Vertreibung würde das Problem nur verlagern statt es zu lösen, und vor allem wäre sie ein Bruch des Völkerrechts und eine tiefe Verbeugung vor dem Recht des Stärkeren.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (22. Oktober 2025 um 22:37 Uhr)
    Ziel der Siedler und Imperialisten: die PalästinenserInnen sich gegenseitig zu bekämpfen und zerreiben zu lassen, um den Staat zu schwächen. Erfolgreich im Irak, Syrien, Libanon. etc.

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