»Ziel ist die maximale Einschüchterung«
Interview: Silke Makowski
Sie vertreten in einem Strafverfahren fünf Antifaschisten in Graz, gegen die seit Januar 2025 ermittelt wird. Was war der Anlass?
Der Grazer Akademikerball gilt seit jeher als Vernetzungstreffen schlagender deutschnationaler Verbindungen und wird daher regelmäßig von Demonstrationen der demokratischen Zivilgesellschaft begleitet. In einer spontanen Aktion hat einer der Protestierenden, ohne sich mit anderen abzustimmen, einem vorbeigehenden Ballbesucher die Burschenschafterkappe, die aus seiner Sicht ein Symbol für deren reaktionäre Ideologie ist, vom Kopf gezogen und in einen Fluss geworfen.
Was wird den insgesamt sieben Beschuldigten genau vorgeworfen?
Gemeinschaftlicher schwerer Raub. Die Burschenschafterkappe wäre eine Trophäe, die Beschuldigten hätten versucht, sich durch deren Zueignung an ihrem Vermögen zu bereichern – eine absurde Annahme, die durch nichts belegt ist. Der Burschenschafter ist – vermutlich infolge seiner Alkoholisierung – beim Versuch, die Kappe wiederzuerlangen, ausgerutscht. Die Verletzung stammt somit nicht vom Tathergang. Mit dem Tatvorwurf konnten aber umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen gerechtfertigt werden. In den Vernehmungen der Beschuldigten durch das Landesamt für Staatsschutz und Extremismusbekämpfung waren die Geschehnisse der Ballnacht eher Randnotiz. Der Fokus wurde vielmehr darauf gelegt, politische Strukturen und eventuelle Vernetzungen aufzuklären. Die Steiermark hat seit letztem Jahr einen FPÖ-Landeshauptmann. Burschenschafter pflegen beste Kontakte zum politischen Führungspersonal.
Inzwischen sind die Anklageschriften eingetroffen. Wie geht es jetzt weiter?
Wir warten aktuell auf einen Termin für die Hauptverhandlung und sind überzeugt, dass nach Durchführung des Beweisverfahrens Freisprüche erfolgen müssen. Dennoch werden die schwerwiegenden Eingriffe in die Privatsphäre der Beschuldigten diese auch weiterhin belasten. Als politisch engagierter Mensch über mehrere Monate einem potentiell existenzvernichtenden Tatvorwurf ausgesetzt zu sein hinterlässt zwangsläufig Spuren.
Im Februar und März kam es zu mehreren Hausdurchsuchungen. Warum sorgten sie für Aufsehen?
Die Staatsanwaltschaft Graz konstruierte daraus in einer absurden Verdrehung der Geschehnisse ein Vermögensdelikt und fuhr schwere Geschütze auf. Über deren Anordnung hat das »Landesamt für Staatsschutz und Extremismusbekämpfung« sieben Hausdurchsuchungen durchgeführt, die nach einer Beschwerde inzwischen für rechtswidrig erklärt wurden. Gesucht wurde die Burschenschafterkappe – gefunden wurde nichts. Trotz Auswertung dutzender Datenträger und Durchsuchung der Wohnräumlichkeiten unbeteiligter Mitbewohner. Nichtsdestotrotz wird nunmehr gegen alle sieben Beschuldigten Anklage erhoben. Fünf sollen Aufpasserdienste geleistet haben, konnten den Tatort aber von ihrer Position aus nicht einmal einsehen. Das ist nur eine der Skurrilitäten, die uns in dem Verfahren untergekommen sind.
Die Behörden bemühten sogar aufenthaltsrechtliche Maßnahmen gegen einzelne Antifaschisten, die keinen österreichischen Pass haben. Wie kam es dazu?
Die Involvierung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl war abenteuerlich – nachdem das Gericht entschieden hatte, dass über die von uns vertretenen Mandanten keine Untersuchungshaft verhängt wird, wurden diese ein weiteres Mal festgenommen. Diesmal, um die Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme – also einer Abschiebung – zu prüfen. Bei der Einvernahme durch Beamte mit Sturmmasken wurde abgefragt, ob die Beschuldigten ihr Studium ordentlich betreiben, und schließlich festgestellt, dass vorläufig von einer Abschiebung abgesehen werden kann. Ziel war wohl die maximale Einschüchterung der Beschuldigten und ihres Umfeldes, mit allen Mitteln, die der Rechtsstaat hergibt.
Für den ursprünglichen Anlass wirken die Vorwürfe überzogen. Welches Strafmaß droht den Betroffenen?
Im Falle einer Verurteilung drohen bis zu 15 Jahre Haft. Der Kontrast zu den laxen Ermittlungen im Korruptionsskandal der Grazer FPÖ ist bemerkenswert.
Florian Dablander ist Rechtsanwaltsanwärter in der Wiener Rechtsanwaltskanzlei Zanger
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