Tricks und Lügen
Von Reinhard Lauterbach
Am Montag haben die EU-Energieminister gegen die Stimmen von Ungarn und der Slowakei einen vollständigen Importstopp für Öl und Gas aus Russland ab 2028 beschlossen – und zwar verkleidet als Handelsregelung. Denn dafür ist keine Einstimmigkeit erforderlich, wie es bei Sanktionen der Fall wäre. Das Importverbot ist allerdings auch eine Sanktion, und zwar ironischerweise eine, die sich wohl sogar mehr gegen die beiden störrischen zentraleuropäischen Mitgliedstaaten richtet als gegen Russland, das seine Rohstoffe auch anderweitig loswird.
Anstatt aus dieser seit Jahren sichtbaren und bei anderer Gelegenheit lautstark beklagten Situation den Schluss zu ziehen, dass es dann wohl zwecklos ist, ziehen die Institutionen die Schrauben weiter an. Einwände der Regierungen in Budapest und Bratislava, bei einem Verzicht auf russische Rohstoffe würden sich die Energiekosten für Unternehmen und Familien erhöhen, werden routiniert abgeschmettert: Solche Preiserhöhungen seien schon zu erwarten, aber in einem Ausmaß von fünf, maximal zehn Prozent. Dass sei doch wohl zumutbar. Für den guten Zweck, oder was?
Ohnehin sind diese Angaben wenig glaubwürdig: Das Statistische Bundesamt hat für die Jahre seit 2022 einen Anstieg der Gaspreise für Haushalte von 7,6 Cent pro Kilowattstunde auf 13,5 Cent im ersten Halbjahr 2025 ermittelt, und das für die BRD, die Zugang zum Meer hat. Er war zwischendurch auch schon höher. Von 7,6 auf 13,5 – das ist eine Steigerung nicht um fünf oder zehn, sondern um satte 77 Prozent. Ein hochbezahlter EU-Beamter in Brüssel, wo Frost ein Fremdwort ist, mag das wegstecken, eine Familie in der Slowakei, wo es im Winter recht kalt werden kann, nicht unbedingt. Und diese Rücksichtslosigkeit gegenüber den »Sorgen der Menschen«, auf die sich Brüssel so gern beruft, spricht sich herum.
Noch eine offenkundige Lüge geht den Brüsseler Beamten leicht über die Lippen: die von Russland als angeblich »unzuverlässigem Gaslieferanten«. Das Gegenteil ist wahr: Russland, beziehungsweise die Sowjetunion, haben trotz Kaltem Krieg ihre Lieferverträge für Öl und Gas stets zuverlässig erfüllt. Es ist die EU, die der Versorgung ihrer Bevölkerung und Volkswirtschaft ein politisches Element beibringt.
Die Energieminister haben bei der Beschlussfassung in Luxemburg selbst gemerkt, was das bedeutet. Eine Notfallklausel soll der Kommission erlauben, den ganzen Ausstieg aus russischen Energieträgern zurückzunehmen, wenn »plötzlich« eine »ernsthafte Gefährdung der Versorgungssicherheit eines oder mehrerer Mitgliedsländer« eintritt. Eine geplante Gefährdung der Versorgungssicherheit dagegen geht in Ordnung, eine Verteuerung elementarer Lebensbedingungen sowieso. Die EU-Institutionen sind mal wieder dabei, alle »Vorurteile« der »Euroskeptiker« in begründete Urteile zu verwandeln.
Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug
Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (21. Oktober 2025 um 10:34 Uhr)Energiepolitik mit eingebauter Rückfahrklausel. Die EU-Energieminister haben beschlossen, ab 2028 vollständig auf Öl und Gas aus Russland zu verzichten. Ein bemerkenswerter Schritt – nicht zuletzt, weil es bis dahin möglicherweise keine EU mehr in ihrer heutigen Form geben wird. Doch in Brüssel scheint man an die performative Kraft des Beschlusses zu glauben: Wer die Realität oft genug reguliert, wird sie irgendwann normieren. Der Beschluss ist mutig, weil er die physikalische Realität souverän ignoriert: Energie entsteht nicht durch politische Entschlüsse, sondern durch Lieferungen. Besonders elegant ist die Verpackung als »Handelsregelung«. Wenn man das Wort »Sanktion« vermeidet, friert es sich im Winter offenbar leichter. Die Notfallklausel, mit der der Ausstieg bei »ernsthafter Gefährdung der Versorgungssicherheit« wieder aufgehoben werden kann, zeugt von bemerkenswerter Weitsicht. Man schafft sich ein Sicherheitsnetz – für den Fall, dass die Realität wieder einmal nicht mit der europäischen Selbstwahrnehmung kooperiert. Am Ende bleibt der Eindruck einer Politik, die ihre eigene Rücknahme gleich mitbeschließt. Prinzipienfest im Ton, pragmatisch im Rückzug. Brüssel beweist einmal mehr, dass es nicht an Idealismus mangelt – nur schade, dass man von Idealismus allein weder günstig produzieren noch Wohnungen heizen kann.
-
Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (21. Oktober 2025 um 02:40 Uhr)»Eine Notfallklausel soll der Kommission erlauben, den ganzen Ausstieg aus russischen Energieträgern zurückzunehmen, wenn «plötzlich» eine «ernsthafte Gefährdung der Versorgungssicherheit eines oder mehrerer Mitgliedsländer» eintritt.« Und Russland soll dann ganz plötzlich sofort wieder liefern. Ansonsten hat es »erneut« seine »Unzuverlässigkeit« bewiesen. Die scheinen zu denken, Russland sei ein Hund, der jeder wechselnden Laune seines Herrn prompt zu folgen hat. Ansonsten bleibt sein Futternapf leer, meinen sie in ihrer arroganten Verblendung. Russland hat mit die größten Vorräte der Welt an Bodenschätzen, Wald und Trinkwasser, wurde außerdem zu einem der größten Exporteure von Weizen und Düngemitteln. Essen und ein warmes Zimmer haben nun einmal Priorität. Wer bei Energielieferungen auf wen mehr angewiesen ist, wird sich für die EU künftig in einem Maße herausstellen, von der sie scheinbar noch keine Vorstellungen hat. Die Katastrophe naht vor allem deshalb, weil die KI einerseits in noch nicht abschätzbarem Maß ökonomischen und militärischen Einfluss entwickeln wird, aber andererseits ein Energiefresser ist, wie ihn die Welt bisher noch nicht erlebt hat. Nur Staaten mit riesigen Wasserkraftwerken und extra dafür errichteten Atomkraftwerken werden dem gewachsen sein. IT-Giganten der USA sowie China beginnen bereits, für den KI-Energiebedarf die Voraussetzungen zu schaffen. Da können die Windräder in Deutschland hilflos wedeln, wie sie wollen. Das Land wird abgehängt. Deutschland hat einen zuverlässigen Energielieferanten gegen den wachsenden erpresserischen Einfluss der USA getauscht, wo viele Entscheidungen des Präsidenten bereits am nächsten Tag oder spätestens im nächsten Monat von ihm umgestoßen werden. Auch ein kapitalistisches Unternehmen muss die Kosten für seine Energielieferungen planen können und muss die Wahl haben, selbst den günstigsten Lieferanten wählen zu können. Doch wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.
Ähnliche:
Mikhail Metzel/Russian Presidential Press and Information Office/TASS/picture alliance (Montage: jW)19.07.2025Fico gibt auf
IMAGO/dts Nachrichtenagentur28.06.2025Disharmonie in Brüssel
ITAR-TASS/IMAGO27.01.2025Nicht nur die Slowakei
Mehr aus: Ansichten
-
Heldenstadt des Tages: Prag
vom 21.10.2025