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Aus: Ausgabe vom 10.06.2025, Seite 6 / Ausland
Ostasien

Eine Handtasche zuviel

Mongolei: Premierminister stellt wegen Korruptionsvorwürfen Vertrauensfrage und muss gehen
Von Eike Andreas Seidel
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Kurze Legislatur: Premierminister Ojuun-Erdene vor der letzten Parlamentswahl (Ulaanbataar, 28.6.2024)

Nach einer verlorenen Vertrauensfrage ist Anfang Juni in der Mongolei Ministerpräsident Luwsannamsrain Ojuun-Erdene zurückgetreten. Lediglich 44 von 120 Abgeordneten hatten sich hinter ihn gestellt. Erst vor einem Jahr war Ojuun-Erdene ins Amt gewählt worden, unter anderem mit dem Versprechen der Korruptionsbekämpfung. Auslöser für die gegenwärtige Krise waren Demonstrationen seit Anfang Mai, die sich an dem Lebensstil von Ojuun-Erdenes Sohn in den USA entzündet hatten. Neben anderen weit wertvolleren »Geschenken« war vor allem eine Dior-Tasche für 5.000 US-Dollar, die die Freundin des Sohnes stolz in sozialen Netzwerken präsentiert hatte, für die Protestierenden zum Symbol geworden. Hunderte von Taschen wurden vor das Regierungsgebäude geworfen.

Das politische System der Mongolei wird seit dem Untergang der Sowjetunion von zwei Parteien dominiert, Ojuun-Erdenes Mongolischer Volkspartei (mongolische Abkürzung: MAN) und der Demokratischen Partei (AM), deren Gründer alle aus der Führungsriege der alten sozialistischen Einheitspartei kommen. Dieses System wird als »MANAM« bezeichnet, ein Kunstwort aus den Abkürzungen der beiden Parteien, das im Mongolischen treffend »Nebel« bedeutet. Das Wahlsystem ist mit wenigen zaghaften Modifikationen ein reines Mehrheitswahlrecht. Das macht es neuen Parteien kaum möglich, ins Parlament zu kommen. Acht Sitze der kleinen HUN-Partei sowie jeweils vier Sitze von zwei weiteren Oppositionsparteien sind das Ergebnis erster Reformen. Die Basis dieser Opposition ist eine städtische Bevölkerungsschicht, die am Reichtum des Landes keinen Anteil hat und zunehmend die Auswanderung als Ziel ins Auge fasst.

Hinter dem MANAM-Nebel raufen sich seit Gründung der heutigen Mongolei die Oligarchen um die Pfründe des Landes, insbesondere um die Gewinne aus dem Bergbau: Gold, Kohle, seltene Erden, Lithium, Kupfer. Dabei verschuldet sich die Mongolei immer stärker, und der Staatsbankrott wird nur durch neue Zuschüsse internationaler Geldgeber verhindert. Dass diese Finanzspritzen – für einen neuen Flughafen, aber auch für aberwitzige Projekt wie die seit langem geplante »Maidar-City« bei Ulan-Bator oder die parallel in das Planungsstadium überführte neue Hauptstadt im Orchontal – immer wieder vom internationalen Kapital aufgebracht werden und dem »schlechten Geld« immer wieder »gutes« hinterhergeworfen wird, hängt auch mit der besonderen politischen Lage der Mongolei zusammen: Sie hat nur zwei Nachbarn, China und Russland. Hier einen »Horchposten« zu haben, wie es die US-Army einmal formulierte, ist sprichwörtlich Gold wert. Gute Beziehungen zum »dritten Nachbarn« NATO, zu dem man eine besondere Partnerschaft unterhält, sind wiederum eine Überlebensgarantie für die Oligarchen.

Sollte ein mongolischer Staatspräsident über seine repräsentative Rolle hinaus einmal mehr reale Macht erhalten als bisher, so könnte das den Einfluss insbesondere der USA gefährden: So konnte vergangenes Jahr schon Wladimir Putin einen Staatsbesuch in der Mongolei unbeschadet überstehen, obwohl die Mongolei Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs ist. Und die Mongolei war einer der wenigen Staaten, die am 9. Mai in Moskau an der Parade zum 80jährigen Jubiläum des Siegs über Hitlerdeutschland teilgenommen haben. Zur Unterstützung der Antihitlerkoalition hatte die Mongolei neben 500.000 Pferden weit mehr Lebensmittel und Wolle als etwa die USA geliefert. So ist sie nicht nur Mitglied von OSZE und WTO und Partner der NATO, sondern auch Beobachter der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit.

Gerüchte, dass hinter dem Rücktritt des Premiers auch der jetzige Staatspräsident Khurelsukh stehen könnte, der sich eher in Richtung Russland orientiert, wurden von dessen Büro umgehend dementiert. Er strebe auch keine zweite Amtszeit an. Eine solche würde eine Verfassungsänderung erfordern, bei der dem Präsidenten dann die bisher fehlende Macht eingeräumt werden könnte. Da scheinen doch eher die bisherigen Nutznießer des Systems eine Gelegenheit wahrgenommen zu haben, einen halbherzigen Bekämpfer der Korruption zu entsorgen, zumal bisherige Koalitionspartner im Mai bereitwilligst auf den »Setzt ihn ab!«-Zug aufgesprungen waren.

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