Zweierlei Recht
Von Dieter Reinisch
Der britische Neonazi Stephen Yaxley-Lennon, der unter dem Namen Tommy Robinson auftritt, genießt seine Zeit in Israel. Am Mittwoch ist er dorthin gereist. Eingeladen hatte ihn Diasporaminister Amichai Chikli, der Yaxley-Lennon als »wahren Freund Israels und des jüdischen Volkes« bezeichnete. Am Sonnabend sprach Yaxley-Lennon, der vor mehr als einem Jahrzehnt durch das Organisieren von Protesten gegen den Islam bekannt geworden war, vor einem Publikum in Tel Aviv. Dort wurde er mit stehendem Applaus empfangen, berichtet Reuters. In seiner zweistündigen Rede kritisierte er die Einwanderung, die Medien und die britische Regierung. Die Times of Israel gab an, dass mehr als 1.000 Menschen an der Veranstaltung teilgenommen hätten. In seiner Rede dankte der Brite der israelischen Regierung für die Einladung. Jüdische Kritiker der Reise bezeichnete er als »nicht repräsentativ für die jüdische Gemeinde Großbritanniens«. Er stellte sich selbst als Journalisten vor und sagte, es sei falsch, ihn als »rechtsextrem« zu bezeichnen, da er ja Israel unterstütze.
Anfang vergangener Woche stand Yaxley-Lennon noch in London vor Gericht, da er sich bei einer Polizeikontrolle im Zusammenhang mit einer Antiterroroperation geweigert hatte, die PIN-Nummer seines Mobiltelefons herauszugeben. Doch der Richter verlas am Dienstag nicht das Urteil, sondern verschob die Verkündung bis nach der Rückkehr des Angeklagten aus Israel. Ähnliche Rücksicht nehmen die britischen Gerichte bei propalästinensischen Aktivisten nicht, wie der Fall der Journalistin Sarah Wilkinson zeigt. Sie muss diesen Montag vor dem Westminster Magistrates’ Court erscheinen, demselben Gericht, an dem eine Woche zuvor der Prozess gegen Yaxley-Lennon begonnen hatte.
Ermittler der Antiterrorabteilung haben die 62jährige wegen Straftaten im Zusammenhang mit der palästinensischen Hamas angeklagt. Die Gruppe ist in den USA, Großbritannien und der EU verboten. Nachdem Wilkinson zuerst am 29. August 2024 festgenommen worden war, wurde sie am 5. Oktober 2025 wegen fünf Straftaten nach britischem Terrorismusrecht angeklagt, wie die Polizei von West Mercia mitteilte. Wilkinson wird die Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation vorgeworfen. Außerdem soll sie einer Anordnung zur Bereitstellung von Passwörtern für den Zugriff auf digitale Geräte nicht nachgekommen sein – derselbe Anklagepunkt wie im Fall von Yaxley-Lennon.
Doch während das Gericht sogar die Urteilsverkündung für Yaxley-Lennons Israel-Reise verschob und dieser darauf das Land verließ, wird Wilkinson genau dies zur Last gelegt: Im September hat die Journalistin und Aktivistin nämlich an der Global Sumud Flotilla teilgenommen und wurde nach der Festnahme auf hoher See von Israel mehrere Tage festgehalten. Bei ihrer Rückkehr berichtete sie von Folter und sexuellen Übergriffen in israelischer Haft. Doch statt Unterstützung vom britischen Staat zu erhalten, wurde sie bei ihrer Ankunft aus israelischer Haft am Flughafen Heathrow erneut festgenommen. Wilkinson soll gegen ihre Bewährungsauflagen verstoßen haben.
Für die linke Tageszeitung Morning Star ist Wilkinson »wahrscheinlich Großbritanniens engagierteste und produktivste Onlinechronistin der Notlage der Palästinenser«. Sie veröffentliche »mehrmals täglich anschauliche und erschreckende Beweise für die Greueltaten Israels im Gazastreifen« im Netz. Allerdings legen ihr britische Antiterrorermittler ihre Kontakte nach Gaza zur Last, auf die sie für ihre Berichterstattung zurückgreift. In der Befragung nach ihrer ursprünglichen Verhaftung im August 2024 wurde verlangt, dass sie offenlege, mit wem sie in Gaza in Kontakt stehe.
Diesen Montag also muss sie sich vor einem Londoner Gericht zum Beginn des Prozesses wegen angeblicher Hamas-Unterstützung einfinden. Der Prozesstermin war vorverlegt worden, da sie durch die Teilnahme an der Sumud-Flottille gegen Bewährungsauflagen verstoßen haben soll. Währenddessen bereist der mehrfach vorbestrafte ultrarechte Yaxley-Lennon weiterhin Israel.
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