Unerschrockener Protest
Von Bertold du Ryon
Die Dampfwalze der Repression konnte den Protest nicht ersticken. Am frühen Samstag abend kamen erneut Menschen in zwölf marokkanischen Städten zu Kundgebungen zusammen. Darunter waren die Hauptstadt Rabat, wo es zu einer Versammlung vor dem Parlament kam, die Wirtschaftsmetropole Casablanca und das nördliche Tanger. Nach einer einwöchigen Aktionspause trotzten jeweils mehrere hundert meist jüngere Menschen harten Drohungen mit Strafe und Repression.
Nach Angaben der marokkanischen Menschenrechtsvereinigung AMDH befinden sich derzeit 600 Menschen hinter Gittern, nachdem sie an vorhergehenden Protesten teilgenommen hatten. In der Mehrzahl der Fälle warten sie in Untersuchungshaft auf ihre späteren Prozesse. Einige wurden aber auch bereits in Schnellgerichtsverfahren abgeurteilt. Insbesondere wurden am 14. Oktober in der südmarokkanischen Stadt Agadir, die den Ausgangspunkt der Proteste bildete, siebzehn Personen zu hohen Strafen verurteilt. Ihnen wurden »Beschädigung öffentlichen oder privaten Eigentums«, das Anzünden von Fahrzeugen oder »Verkehrsbehinderung durch Errichtung von Barrikaden« vorgeworfen. Dabei ging es um die Teilnahme an Protestdemonstrationen in der Ortschaft Aït Amira in der Nähe von Agadir. Die höchste an dem Tag verhängte Strafe betrug fünfzehn Jahre Haft, die über drei Personen verhängt wurde. Eine weitere Person wurde zu zwölf Jahren, neun wurden zu jeweils zehn Jahren, die übrigen Angeklagten zu Gefängnisstrafen zwischen drei und fünf Jahren verurteilt.
Aufgerufen zur Wiederaufnahme der Proteste hatte erneut das Kollektiv »Generation Z«, oft mit dem Zusatz »212« nach der internationalen Telefonvorwahl Marokkos versehen. Es koordiniert seit dem 27. September die Proteste, einige Tage nachdem am 15. September der Tod von acht Frauen in einem Krankenhaus in Agadir infolge von Kaiserschnittgeburten bekanntgeworden war. Eine erste Protestversammlung von Einwohnern mit rund 1.000 Menschen rund um die Klinik war damals von den Polizeikräften aufgelöst worden.
In stilisierten Zeichnungen wird der Protest etwa durch einen Totenkopf mit dem mittlerweile berühmten Strohhut – dieser wurde auch von den jüngsten Sozial- und Jugendbewegungen im Namen der »Generation Z« in Indonesien und Nepal als Erkennungsmerkmal benutzt, bei denen auf Madagaskar allerdings durch eine örtliche traditionelle Kopfbedeckung ersetzt – sowie einer Waage symbolisiert. Auf der Waage steht auf der einen Seite ein Krankenhaus, als Sinnbild für den darbenden öffentlichen Gesundheits- und Bildungssektor, auf der anderen Seite ein Fußballstadion als Symbol für kostspielige nationale Prestigeprojekte. Neben diesen wird aber auch die notorische Korruption kritisiert. Wie die Netzzeitung Afrik.com berichtet, mussten daher mittlerweile einige Kandidaturen zu den in gut zehn Monaten stattfindenden Parlamentswahlen zurückgezogen werden.
Das Kollektiv »Gen Z 212«, das seine Forderungen zunehmend politisiert hat, fordert inzwischen aber auch den Rücktritt der Regierung von Premierminister Aziz Akhannouch. Laut dem US-Magazin Forbes beläuft sich das Vermögen des Politikers und Geschäftsmanns auf 1,6 Milliarden US-Dollar. Akhannouch gehört etwa die Hälfte aller Tankstellen im Land. Kurz vor der Ansprache von König Mohammed VI. am 10. Oktober – diese sollte theoretisch die Lage beruhigen, der Monarch rief darin die Regierung zu dringendem Handeln zwecks Lösung der Probleme auf und wollte ansonsten keinen Gegensatz zwischen »Sozialprogrammen und Großprojekten« erkennen – hatte »Gen Z 212« zunächst für einige Tage mit den Protesten pausiert, um Reaktionen auf die Worte des Königs abzuwarten.
Kurz vor dessen Rede hatte »Gen Z 212« allerdings auch den Monarchen selbst dazu aufgerufen, sein Vermögen oder einen Teil davon freiwillig abzugeben. Damit rührte das Kollektiv an ein Tabu in der marokkanischen Politik, wo man die Berater des Königs oder die Regierung kritisiert, aber nicht den König selbst. Forbes hatte 2015 das Privateigentum von Mohammed VI. auf 5,7 Milliarden beziffert, seither liegen keine neuen Zahlen vor. Es stellt gewissermaßen den Elefanten im Raum dar, von dem kaum jemand öffentlich spricht.
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