Noch eine Evastochter
Von Werner Jung
Nun stand er also hier, auf dem ersten Stock des Nationalmuseums in Wrocław, bei den alten Meistern, und wusste, dass er viel zu früh gekommen war. Malgorzata, die Kollegin, mit der er sich für den Mittwoch nachmittag verabredet hatte, würde erst in einer halben Stunde, 15.30 Uhr hatten sie ausgemacht, kommen. Erst war er müßig durch die langen Räume geschlendert, zunächst Parterre, dann hinauf bis in die zweite Etage, wobei ihm weder unten bei der Kunst der Moderne noch darüber bei den polnischen Malern etwas in die Augen gesprungen war, das ihn zum längeren Verweilen eingeladen hätte. Also wieder einen Stock hinunter, dahin, wo die alten Meister versammelt waren, sakrale Kunst, mit der er eigentlich wenig anzufangen wusste. Schnell hatte er, wenn er in früheren Jahren in Italien oder Frankreich, aber auch in München Museen besucht hatte, diese religiöse Kunst hinter sich gelassen. Dafür hatte er keinen Blick und offensichtlich überhaupt kein Sensorium. Und jetzt dieses Halbporträt Evas von Lucas Cranach dem Älteren. War es dieser mädchenhaft-jugendliche Körper Evas, ihre Nacktheit, die ihn hatte stehen und verweilen lassen, ihre ins Offene gerichteten Augen, für die die im Hintergrund sich um einen Ast ringelnde Schlange keinerlei Gefahr zu bedeuten schien? Er trat näher an das Bild heran, und eine Faszination, die er so noch in keiner anderen Gemäldesammlung verspürt hatte, ergriff ihn. Rote Lippen, wallendes rotblondes Haar, das hinter das linke Ohr gesteckt war und ganz sicher – denn zu sehen war es nicht – bis weit in den Rücken hinein reichte, jugendliche Brüste. Er betrachtete das Bild Cranachs von rechts und links, postierte sich in unmittelbarer Nähe davor – und glaubte plötzlich, die Züge Malgorzatas darin zu erkennen. Jedenfalls, wenn sie ihre große Hornbrille abnahm, die graugrünen Augen, die in ein scheinbares Nichts gedankenverloren schauen konnten, dann auch – nicht ganz so üppig – die rotblonde Mähne. Darunter – ja, das Bild Cranachs irritierte ihn, zugleich spürte er eine erotische Spannung.
Eigentlich war Malgorzata gar nicht sein Typ. Er hatte sie im letzten Jahr an der Bochumer Universität kennengelernt. Sie war in den letzten Zügen ihrer Dissertation über die Poetologie in den Romanen Brigitte Kronauers, und ihr polnischer Doktorvater hatte ihr dringendst angeraten, Kontakte zu deutschen Literaturwissenschaftlern zu suchen, nicht zuletzt, um in Gesprächen mit neueren Methoden der Interpretation bekannt zu werden. So war sie dann mit einem sechsmonatigen Stipendium ihrer Heimatuniversität Wrocław in Bochum, wo sie bei einer Kusine unterkam, gelandet. Von hier aus wollte sie dann einige mit der Materie vertraute Kolleginnen und Kollegen, darunter auch er, besuchen. Er hatte sich gerade von seiner langjährigen Freundin getrennt und nach seiner Promotion die nächstbeste Gelegenheit beim Schopf ergriffen und – mit ein wenig Glück – eine befristete Mitarbeiterstelle am Germanistischen Institut der Ruhr-Universität besetzen können. Malgorzata hatte einige Aufsätze und Essays von ihm gelesen, die sich u. a. auch mit Brigitte Kronauer beschäftigten und sie dazu bewogen haben mochten, den Kontakt zu ihm aufzunehmen. So hatte sie dann an seine Bürotür geklopft. Beide bemerkten rasch, dass sie in wesentlichen Punkten ähnliche Ansichten vertraten und auch die Rolle Kronauers in der deutschen Gegenwartsliteratur einzuschätzen wussten. Dadurch waren sie sich näher gekommen, waren das eine oder andere Mal miteinander in Bochum und Essen, wo er eine kleine Wohnung in der Innenstadt gemietet hatte, ausgegangen, ohne dabei allerdings etwas anderes im Kopf zu haben als den Austausch über Literatur wie auch deren Vermittlung an Universitäten. Hatte er zumindest damals gedacht.
Irgendwann war die Idee geboren worden, dass er seinerseits mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), einer Kurzzeitdozentur, mindestens einen Monat nach Breslau reisen konnte, eine Idee, die um so leichter zu realisieren war, als er auf einer Tagung Malgorzatas Doktorvater, einen überaus einflussreichen polnischen Germanisten und Strippenzieher, kennen-, wenn auch nicht unbedingt schätzen gelernt hatte. Dieser Gegenbesuch, dachte er, würde ihm gewiss auch leichter über die schwierige Trennung von seiner Freundin hinweghelfen. Sicher auf viele andere Gedanken bringen und ablenken. In Andeutungen hatte ihm Malgorzata von ihrer eigenen Trennung berichtet, von einer Trennung, die ebenfalls mit Blessuren vonstatten gegangen war. Doch respektierten sie sich gegenseitig, keiner drang den anderen oder erwartete nähere Auskünfte. Malgorzatas Wochen in Bochum waren verstrichen, und am Ende standen nicht mehr als sechs Verabredungen im Kalender.
Erst als sie, zurück in Breslau, mit dem neuen Semester begonnen hatte, setzte ein intensiverer E-Mail-Verkehr ein. Ausführlicher als bei ihren Begegnungen erzählte sie ihm hier viele persönliche Dinge, über ihre strenge, in der Familie das Regiment führende Mutter und den nach der »Wende« geschassten, deprimierten Vater, einen zu Systemzeiten renommierten Journalisten und überzeugten Kommunisten, der sechs Jahre später zwischen Resignation und Verzweiflung hin und her schwankte. Jetzt sprudelte es aus ihr heraus, und er freute sich immer wieder über ihre unterhaltsamen Mails, die er selbst, wie er fand, nur unzureichend beantwortete. Über ihre Mails lernte er nacheinander die Kolleginnen und Kollegen kennen, erfuhr einiges über die neuere Geschichte des Instituts und wurde auch über den Fortgang ihres Promotionsverfahrens auf dem Laufenden gehalten. Hinzu kamen immer wieder launige kleine Anekdoten über ihre Familie, die ihm – unbekannterweise – sehr zu Herzen gingen.
Mit dem DAAD-Antrag zu einer Kurzzeitdozentur an der Breslauer Universität war alles dank der Unterstützung der polnischen Geschäftsführung reibungslos gelaufen, und so war er schließlich an einem Sonntag in der Frühe völlig übermüdet mit dem Bus als der günstigsten Reisemöglichkeit in Wrocław angekommen. Malgorzata hatte ihn am Busterminal abgeholt, hatte bei ihr zu Hause in der kleinen Zweizimmerwohnung ein Frühstück zubereitet und ihn anschließend noch in das für ihn vorgesehene Appartement gebracht, das einem Kollegen gehörte, der seinerseits ein ganzes Auslandssemester in Berlin verbrachte. Der Unterricht sollte aus einer Vorlesung samt Übung und einem Blockseminar bestehen; alle Veranstaltungen, so die Absprache mit der Institutsleitung, sollten sich mit der westdeutschen Nachkriegsliteratur beschäftigen, im Überblick einerseits ebenso wie anhand exemplarischer Lektüren. Das kam ihm sehr gelegen, erforderte auch nicht viel an Vorbereitungszeit, da es in Bochum zu seinen üblichen Lehraufgaben zählte. So, dachte er, würde er über viel freie Zeit verfügen, um die Stadt samt Umgebung, aber auch noch andere Regionen Schlesiens kennenzulernen und kleinere Reisen durchzuführen. Malgorzata, darüber hatten sie sich schon mehrfach im Vorfeld ausgetauscht, würde ihn, wenn sie denn Zeit hatte, begleiten. Auch ein Besuch auf der Datscha der Eltern, etwa eine Stunde Fahrzeit von Wrocław entfernt in den Wäldern, stand auf dem Programm. Reichlich viel für eine Kurzzeitdozentur von vier Wochen. Aber er hatte sich, wie er glaubte, einen realistischen Zeitplan zusammengestellt. Gleich am Montag morgen fing der Unterricht an, und er wunderte sich über die Größe der Kurse bzw. Klassen, die er zu instruieren hatte und die der seiner Bochumer Universität entsprach, noch mehr aber über die enormen Kenntnisse der Studierenden, von denen sich die deutschen Kommilitonen eine Scheibe abschneiden konnten.
Schon am Mittwoch abend der ersten Woche hatte er sich mit Malgorzata verabredet, um auf dem Rynek in einem bei der Jugend und den Studenten angesagten Restaurant essen zu gehen; dabei war auch noch Malgorzatas befreundete Kollegin Iza, die in der Linguistik unterrichtete. Es war eigentlich ein rundum gelungener Abend gewesen; sie hatten sich auf Anhieb zu dritt verstanden, hatten gescherzt und gelacht. Urplötzlich musste er an eine Geschichte von Guy de Maupassant denken, die er seinerzeit im Französischunterricht erstmals gelesen und die ihn auf Anhieb fasziniert hatte, die Geschichte eines Mannes, dem im Traum das Bild einer nur flüchtig im Alltag wahrgenommenen, bislang kaum beachteten Frau aufscheint, die er dann am kommenden Tag unbedingt besuchen muss. In etwa, erinnerte er sich, hieß es bei Maupassant sinngemäß über diese Frau, dass sie ein Wesen sei, bei dem der Gedanke nur durch Zufall anzuhalten scheine, ohne verweilen zu können, und auf das das Begehren überhaupt nicht verfallen sei. Geradeso war es ihm mit Malgorzata gegangen, die ihm gerade jetzt erst wirklich auffiel: ihr Lächeln, die überdimensionierte Brille, die von den wunderbaren grau-grünen Pupillen vergeblich abzulenken versuchte, und ihre rotblonde kräftige Mähne, die ihn schlagartig in Bann zog. Wie hatte er nur diese grazile Frau bisher übersehen können, ja, übersehen – anders konnte man es nicht ausdrücken? Bestürzt über sich selbst hatte er sich dann bei ihrem weiteren Gespräch zurückgezogen, ohne dass es die beiden Freundinnen bemerkt hätten, war einsilbiger geworden, was die Frauen gewiss daraus folgerten, dass für ihn die Woche anstrengend verlaufen war. So hatten sie den Abend gegen 23 Uhr beendet und ihn noch bis zur Straßenbahnhaltestelle begleitet.
Auch den Samstag, an dem sie mit dem Bus Malgorzatas Eltern auf ihrer Datscha besucht hatten, hatte er meist einsilbig oder ganz schweigend – den Erzählungen von Malgorzatas Vater zuhörend – verbracht, so dass sich Malgorzata bereits Gedanken über sein Wohlbefinden gemacht und ihn häufiger mit fragenden Blicken angeschaut hatte, worauf er immer nur mit leichtem Kopfschütteln abwehrend reagiert hatte. Abends bei der Rückfahrt im Bus hatte sie sich dann selbst heftige Vorwürfe gemacht, glaubte, dass es keine gute Idee gewesen sei, ihn zu dem Besuch bei den Eltern zu nötigen. Und auch da hatte er sich nicht in der Lage gesehen, angemessen zu antworten und auf seine diffuse und verworrene Gefühlslage zu sprechen zu kommen. Es blieb bei seinem Rückzug, und so war eine Art Missstimmung, ein Missklang entstanden. Ihre Verabschiedung fiel schließlich frostig aus. Malgorzata, mit der er eigentlich am Sonntag ein Jazzkonzert besuchen wollte, sagte mit fadenscheinigen Gründen ab und wünschte ihm noch ein schönes Restwochenende. Davon konnte bei ihm allerdings nicht mehr die Rede sein, denn schuldbewusst verbrachte er diesen dazu noch verregneten Sonntag sinnierend in seinem Appartement, antriebslos, lustlos – im ständigen Nachdenken darüber begriffen, wie und mit welchem Auftreten er Malgorzata in den nächsten Tagen begegnen könnte. Da waren die Treffen, ihr Schriftverkehr, all die zurückliegenden Monate, die für eine vertraute Kommunikationssituation zwischen ihnen gesorgt hatten; und da war diese plötzliche andere Wahrnehmung, die ihm den Boden unter den Füßen weggerissen hatte. In welche Spur sollte ab jetzt ihre Beziehung gelenkt werden? Sollte das überhaupt so sein? Was empfand Malgorzata dabei? Würde er sie damit überrumpeln? Würde sie ihn zurückstoßen? Wäre es nicht viel besser, um – nach einer kurzen Weile des Innehaltens – alles auf gewohnte Weise weiterlaufen zu lassen, freundlich-oberflächliche Kollegenkontakte, deren Verbindlichkeit bis zur völlig unverbindlichen Essenseinladung reichte? Schluss. Aus. Ende.
Nach einer fürchterlichen Nacht war er übermüdet und aufgekratzt am Montag in den Unterricht gegangen, ohne auch nur den geringsten Blick für die kurzen Röckchen und die in allen Größen die tiefen Ausschnitte der Studentinnen beherrschenden Kruzifixe zu haben, mit denen ihn etliche Mädels zu verwirren glaubten. Immer wieder tauchte Malgorzata statt dessen vor ihm auf, während er – befangen und unsicher – noch immer keine Idee hatte, wie sich ihr weiterer Umgang miteinander gestalten sollte. Ihr erstes Zusammentreffen nach dem Ausflug zu den Eltern fand am Montag in der zweiten, kleinen Pause statt – Malgorzata hatte danach noch einen Anfängerkurs, wohingegen für ihn das Unitagewerk bereits beendet war. Zwei Menschen auf Distanz, empfand er, zwei, die beide nicht recht wussten, wie dem anderen zu begegnen war, die sich daher beide in abwartender Lauerstellung einmauerten und auf ein Zeichen des anderen warteten.
Schließlich waren sie sich am Ende ganz aus dem Weg gegangen, hatten beide stets neue Gründe dafür gefunden, sich nicht zu treffen – vom Unwohlsein über andere familiäre Verpflichtungen bei Malgorzata bis zu Verabredungen mit Studierenden und Einladungen von anderen Kollegen bei ihm. Nur wenig war auch nach drei Wochen in Wrocław übriggeblieben von seinem geplanten Programm, ganz zu schweigen von Kurztrips durch Schlesien. Lediglich einmal hatte er alleine eine Tagesreise nach Krakau unternommen, dabei allerdings schon auf der Hinfahrt mit dem Bus sich selbst verflucht wegen der vielen Stunden Fahrzeit, die er im Reisebus verbringen musste. Außer einer Stadtführung, die angesichts eines radebrechenden Reiseführers auch kein inspirierendes Vergnügen darstellte, wollte sich kein nachhaltiger Eindruck einstellen.
Nun hatte er bereits das Ende seiner Kurzzeitdozentur vor Augen. Nur noch drei Unterrichtstage sollten es sein, davon ein Samstag mit vollem Programm, dem Abschluss eines Blockseminars. Malgorzata und er hatten telefoniert, kurz nur, und sich endlich für den Nachmittag am Mittwoch zum Besuch des Nationalmuseums verabredet. Morgens der gewohnte Unterricht, mittags mit einer Handvoll Studenten in die Cafeteria unten im Institutsgebäude, ein letztes Mal, was die Studierenden sehr zu bedauern schienen, denn sie zeigten sich begeistert von seinem Unterricht und beklagten die Trockenheit ihrer polnischen Dozenten. Dabei war ihm bereits in der ersten Woche eine hochgewachsene junge Studentin aufgefallen, die um ihn buhlte und es darauf abgesehen hatte, dass er sich für sie interessiere – um eine Empfehlung für ein Auslandsstipendium zu erhalten oder worum auch immer. Es kümmerte ihn nicht. Seine Gedanken schweiften ab und dachten an die Verabredung im Museum; er versuchte sich auszumalen, wie er Malgorzata gegenübertreten konnte und was er ihr – entschuldigend, erklärend und verständnisheischend – mitteilen würde.
So war er dann viel zu früh ins nahegelegene, fußläufig zu erreichende Museum gegangen. Kaum Besucher, eine angenehme Kühle und Stille rundum. Nach einem flüchtigen Schlendern war er hier im Saal der Alten Meister angekommen, und in der Ecke fand er dieses kleine, nur knapp fünfzig Zentimeter hohe und nahezu ebenso breite Bild Lucas Cranachs, eine Teilansicht Evas. Es hatte ihn getroffen; so etwas war ihm vorher noch nie passiert. Und es ging über die bloße Faszination, die ihn schon häufiger bei früheren Museumsbesuchen, insbesondere beim Betrachten von Genreszenen, gepackt hatte, weit hinaus. Denn er fühlte sich existentiell berührt. Diese Augen, die vermeintlich ins Leere zu starren schienen, sie waren tatsächlich auf ihn gerichtet, die rotblonde Haarpracht für ihn, nur für ihn, so drapiert. Schweiß brach ihm aus allen Poren, und er glaubte, über und über rot anzulaufen, wiewohl weit und breit niemand in der Nähe war. War es die Scham, sich ertappt zu fühlen? War durch das Bild ein Begehren ausgelöst worden? Auf jeden Fall aber spürte er so etwas wie eine tiefe Hingezogenheit, gab es eine erotische Spannung, der er sich nicht zu entziehen wusste. Gebannt verharrte er vor dem kleinen Bildchen, seine Augen bewegten sich hin und her, bis er sie schließlich schloss und Malgorzata vor seinem Inneren auftrat und die beiden Figuren übergangslos ineinanderflossen. Regungslos, in sich versunken, die Arme fest um sich geschlossen, so stand er in dieser Museumsecke – bis sich eine Hand auf seine Schulter legte.
Er hatte sie nicht kommen hören; sie musste ihn sogleich beim Eingang bemerkt haben und hatte sich mit vorsichtigen Schritten seiner Ecke genähert. Dass er vor dem Cranach-Bild Halt gemacht habe, wundere sie, erfreue sie aber auch zugleich, denn es zähle zu einem der wenigen Bilder, die sie hier überhaupt interessierten. Ob er es auch bemerkt oder gefühlt habe, vernahm er an seinem Ohr, dass diese ganz junge Eva ein besonders sinnliches Wesen sei, in dessen Blick ein tiefes Verlangen, ja eine ungeheure zurückgestaute Lust stecke; einen wahren vulkanischen Abgrund, so Malgorzata, glaube sie darin zu entdecken, und er bleibe, fügte sie noch hinzu, auch bei wiederholtem Betrachten bestehen. Immer wieder habe sie dieses Brodeln, diese Aufgewühltheit, dieses Verlangen gespürt, habe sich dies auf ihren eigenen Körper übertragen, so dass sie oftmals nassgeschwitzt aus dem Raum gelaufen sei. Und fuhr ihm dabei sanft streichelnd über den Oberarm.
Er war erstarrt, zugleich erwartungsvoll gespannt, und schaute immer noch geradeaus auf das Bild Cranachs. Er musste jetzt etwas sagen, musste reagieren, musste endlich Malgorzata seine Gefühle gestehen, sich ihr zuwenden, ihre Hand ergreifen, sie an sich heranziehen. Jetzt jetzt jetzt. Sofort. Es hämmerte in seinen Schläfen, er glaubte zu zittern. Ein tiefgezogenes Seufzen an seinem Ohr. Ein Ach, und Malgorzata wandte sich wieder von ihm ab, räusperte sich, sagte, dass sie sehr gerne noch einmal nach unten ins Parterre zurückkehren wolle. Außer einem knappen Nicken und einer Geste, die man für Zustimmung halten mochte, gelang ihm keine weitere Äußerung. Malgorzata tippelte mit kurzen Schritten, den Kopf gesenkt, Richtung Ausgang, während er stumm mit gehörigem Abstand folgte, einem Abstand, der sich paradoxerweise, obwohl sie nur wenige Meter vor ihm war, mehr und mehr vergrößerte, bis sie aus seinem Gesichtsfeld verschwunden war.
Werner Jung ist Germanist und lehrte an der Universität Duisburg-Essen. Zuletzt erschien von ihm an dieser Stelle in der Ausgabe vom 15.3./16.3. 2025 die Erzählung »Diethelm«.
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