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Aus: Ausgabe vom 11.10.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Wehrpflichtjournalismus

Von Arnold Schölzel
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Nach der Aufzeichnung des Gesprächs mit Moderatorin Pinar Atalay am Montagabend, schreibt Spiegel-Autor Konstantin von Hammerstein, habe sich Friedrich Merz im Berliner RTL-Büro ein Bier genehmigt, »alkoholfrei, denn er muss ja noch arbeiten«. Dabei sei er »umringt von vielleicht zwei Dutzend Journalisten und Freunden von Pinar Atalay« gewesen. Von Hammerstein war offenbar selig, dazuzugehören und erstirbt in Ehrfurcht: »Allein in vier Tagen war er in drei TV-Studios.« Und erläutert: »In so kurzer Folge sind das ungewöhnlich viele öffentliche Auftritte für einen Kanzler. In diesem Amt macht man sich normalerweise rar, doch Merz und seine Leute haben sich für einen anderen Weg entschieden. Der Kanzler will raus aus seinem Loch.« Das »Aus dem Loch« steht auch in Großbuchstaben über dem Text. Das »Loch« sollen Umfragequoten sein: »Nur 28 Prozent der Befragten sind zufrieden mit seiner Arbeit, 70 Prozent aber unzufrieden.« So tief steckt der vorbildlich arbeitsame Merz im Schlamassel.

Hat er nicht verdient, in Merz steckt mehr. So zieht zum Beispiel von Hammerstein »drei Erkenntnisse« aus den vier Auftritten. Die erste werde schon in den 25 Minuten mit Bier im RTL-Büro deutlich: »Das Plaudern in kleiner Runde ist ein Hintergrundgespräch, dessen Inhalte nicht berichtet werden dürfen, aber so viel vielleicht dann doch: Merz ist im vertrauten Gespräch nicht anders, als wenn er auf Sendung ist.« Spiegel-Leser wissen mehr, weil ihnen Staatsgeheimnisse zugeraunt werden: Der Kanzler kann nicht anders. Der ist so wie er ist. Hält keiner für möglich, soll doch – schreibt von Hammerstein – zum Beispiel Angela Merkel in kleiner Runde »charmant, geistreich und witzig« sein. Noch ein mitteilenswertes Geheimnis.

Dem folgt »die zweite Erkenntnis«. Die beschreibe die Zeit nach den vielen TV-Auftritten als »eine gewisse Flauschigkeit, die ihm noch bis zur letzten Bundestagswahl weder Freund noch Feind zugetraut« hätten. Flauschig im Loch – die Jubellyrik des deutschen Qualitätsjournalismus erreicht neue Höhen der Unklarheit. Von Hammerstein übersetzt aber zum Glück für seine Leser: »So sehr Merz in der Außenpolitik Führung zeigt, so sehr vermeidet er sie in der Innenpolitik.« Der Kanzler ist demnach gleichzeitig flaumweich und irgendwas mit Härte, wie jeder im Parlamentarismus. Einzige Pflicht: Die nächste Wahl gewinnen. Bleibt noch die dritte »Erkenntnis«, also die ultimative Lobhudelei. Von Hammerstein schreibt: »›Ich bin auch sensibel‹, antwortet Merz bei Miosga, als er nach seiner empfindlichsten Seite gefragt wird. Ein Kanzler, der über seine Tränen bei der Wiedereröffnung einer Synagoge in München spricht, ist ungewöhnlich. Das macht ihn als Mensch sympathisch.« Dann überkommt es auch von Hammerstein: »Ob es ihm aber auch politisch hilft, aus seinem Loch herauszukommen, ist noch offen.« Es ist zum Schneuzen, dass so viele mit dem flauschigen Menschen Merz unzufrieden sind.

Von Hammersteins Tränen rührten Spiegel-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit derart, dass er sich in derselben Ausgabe den Kopf des Kanzlers zerbricht: »Gelassener Alarmzustand« steht in der Druckausgabe über seinem Leitartikel. Unterzeile: »Bundeskanzler Friedrich Merz sagt, Deutschland lebe nicht mehr im Frieden. Er hat recht, doch was sind die Folgen?« Kurbjuweit sagt ihm das: Wladimir Putin als Feind bezeichnen und aufrüsten, also das, was die NATO seit mindestens 20 Jahren macht. Reicht aber nicht: »Das alles müsste die Bundesregierung noch entschlossener anpacken, auch mit einer Wehrpflicht, die diesen Namen verdient.« Unsere Spiegel-Journalisten macht uns keiner nach. Flausch-Merz muss nur übernehmen.

»Das alles müsste die Bundesregierung noch entschlossener anpacken, auch mit einer Wehrpflicht, die diesen Namen verdient.« Unsere Spiegel-Journalisten macht uns keiner nach. Flausch-Merz muss nur übernehmen.

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