Erschließung fürs Kapital

Der Eroberungszug der Warenwirtschaft beginnt meist mit großartigen Kulturwerken modernen Verkehrs, wie Eisenbahnlinien, die Urwälder durchschneiden und Gebirge durchstechen, Telegraphendrähte, die Wüsten überspannen, Ozeandampfer, die in weltfremde Häfen einlaufen. Doch ist die Friedlichkeit dieser Umwälzungen bloßer Schein. Die Handelsbeziehungen der ostindischen Kompanien mit den Gewürzländern waren so gut Raub, Erpressung und grober Schwindel unter der Flagge des Handels wie heute die Beziehungen der amerikanischen Kapitalisten zu den Indianern in Kanada, denen sie Pelze abkaufen, oder der deutschen Händler zu den Afrikanegern.
Das klassische Beispiel des »sanften« und »friedliebenden« Warenhandels mit rückständigen Gesellschaften ist die moderne Geschichte Chinas, durch die sich wie ein roter Faden seit Beginn der vierziger Jahre, das ganze 19. Jahrhundert hindurch die Kriege der Europäer ziehen, deren Zweck war, China gewaltsam dem Warenverkehr zu erschließen. Durch Missionare provozierte Christenverfolgungen, von Europäern angezettelte Tumulte, periodische blutige Kriegsgemetzel, in denen sich die völlige Hilflosigkeit eines friedlichen Ackerbauervolkes mit der modernsten kapitalistischen Kriegstechnik der vereinigten europäischen Großmächte messen sollte, schwere Kriegskontributionen, mit dem ganzen System von öffentlicher Schuld, europäischen Anleihen, europäischer Kontrolle der Finanzen und europäischer Besetzung der Festungen im Gefolge, erzwungene Eröffnung von Freihäfen und erpresste Konzessionen zu Eisenbahnbauten an europäische Kapitalisten – das waren die Geburtshelfer des Warenhandels in China von Anfang der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bis zum Ausbruch der chinesischen Revolution 1911.
Die Periode der Erschließung Chinas für die europäische Kultur, d. h. für den Warenaustausch mit dem europäischen Kapital, wird durch den Opiumkrieg inauguriert, in dem China gezwungen wird, das Gift aus den indischen Plantagen abzunehmen, um es für die englischen Kapitalisten zu Geld zu machen. Im 17. Jahrhundert war die Kultur des Opiums durch die englische Ostindische Kompanie in Bengalen eingeführt und durch ihre Zweigniederlassung in Kanton der Gebrauch des Gifts in China verbreitet. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fiel das Opium so stark im Preise, dass es rapid zum »Volksgenussmittel« wurde. Noch im Jahre 1821 betrug die Einfuhr des Opiums nach China 4.628 Kisten zum Preise von durchschnittlich 1.325 Dollar, dann fiel der Preis auf die Hälfte, und 1825 stieg die chinesische Einfuhr auf 9.621 Kisten, 1830 auf 26.670 Kisten. Die verheerenden Wirkungen des Gifts, namentlich der billigsten, von der armen Bevölkerung gebrauchten Sorten, gestalteten sich zur öffentlichen Kalamität und riefen als Notwehr seitens Chinas ein Verbot der Einfuhr hervor. Bereits 1828 hatte der Vizekönig von Kanton den Import von Opium verboten, was aber den Handel nur in andere Hafenstädte lenkte. (…)
Die Gouverneure der Provinzen wurden verpflichtet, in ihren Jahresberichten die Erfolge des Kampfes mit dem Opium zu berücksichtigen. Der doppelte Erfolg dieses Kampfes lief freilich darauf hinaus, dass einerseits im Innern Chinas, namentlich in den Provinzen Honan, Setschuan und Kweitschou, Mohnkulturen im großen Maßstab angelegt wurden und dass andererseits England China den Krieg erklärte, um es zur Freigabe der Einfuhr zu zwingen. Nun begann die glorreiche »Erschließung« Chinas für die europäische Kultur in Gestalt der Opiumpfeife.
Der erste Angriff erfolgte auf Kanton. Die Befestigung der Stadt am Haupteingang des Perlflusses war denkbar primitiv. (…) Zwei englische Kriegsschiffe genügten denn auch, um am 7. September 1839 die Durchfahrt zu erzwingen. Die sechzehn Kriegsdschunken und dreizehn Brander, mit denen die Chinesen sich widersetzten, wurden in dreiviertel Stunden zusammengeschossen und zerstreut. Nach diesem ersten Siege verstärkten die Engländer ihre Kriegsflotte bedeutend und gingen zu Beginn 1841 zum erneuten Angriff über. Diesmal erfolgte der Angriff gleichzeitig gegen die Flotte und gegen die Forts. (…) Bei der gänzlichen Untauglichkeit der chinesischen Geschütze schritten die Engländer mitten durch die Befestigungen, erklommen einen wichtigen Punkt, der ganz unbesetzt geblieben war, und metzelten die wehrlosen Chinesen von oben nieder. Die Schlussrechnung der Schlacht war: auf chinesischer Seite 600 Tote, auf englischer – ein Toter und 30 Verwundete, wovon mehr als die Hälfte durch das zufällige Auffliegen eines Pulvermagazins Schaden erlitt. (…) Im Friedensschluss vom 27. August 1842 bekamen die Engländer die Insel Hongkong, ferner mussten Kanton, Amoy, Fu-Tschou, Ningpo und Shanghai dem Handel erschlossen werden.
Rosa Luxemburg: Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus. Berlin 1913. Hier zitiert nach: Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke, Band 5. Dietz-Verlag, Berlin 1974, Seiten 334–339
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