»Friedenspolitik ohne Dialog ist reine Illusion«
Interview: Marc Bebenroth
Sie haben am 12. Xiangshan-Forum teilgenommen, das vom 17. bis zum 19. September in Chinas Hauptstadt Beijing stattfand. Warum war es Ihnen wichtig, dabei zu sein?
Es ist im Grunde das Gegenmodell zur Münchner Sicherheitskonferenz. Statt transatlantischer Kriegsszenarien stehen hier Dialog und Diplomatie im Vordergrund. Staaten des globalen Südens, die sonst kaum Gehör finden, bekommen hier eine Stimme. Es ist ein Raum für echte Diskussion. Mir war wichtig zu zeigen: Auch in den NATO-Staaten gibt es Stimmen, die sich dem Geschichtsrevisionismus und dem Kriegsgeheul einer Kaja Kallas (EU-Außenbeauftragte, jW) widersetzen.
Der Titel des diesjährigen Forums lautete »Upholding International Order and Promoting Peaceful Development«. Was versteht man in Beijing unter »internationaler Ordnung«?
Eine multipolare Welt – nicht als Theorie, sondern als dringend nötige Realität. Eine Ordnung, wie sie mit der UN-Gründung beabsichtigt war, aber seit Jahrzehnten von den USA und ihren Verbündeten im Sinne der eigenen Hegemonie systematisch untergraben wird. Es geht um gegenseitige Sicherheit, faire Interessensausgleiche – nicht um Dominanz.
Neben Ihnen traten dort auch zahlreiche Verteidigungsminister und hochrangige Militärs aus dem globalen Süden auf. Was sagen Sie jenen, die sich fragen, was eine Friedenspolitikerin unter so vielen Uniformierten macht?
Wer sich ernsthaft für Frieden einsetzt, muss bereit sein zu reden. Gerade mit Uniformierten. Die Weigerung zu sprechen ist oft nur die moralisch verbrämte Variante aktiver Konfrontation. Es sind vor allem Vertreter der Grünen, die Dialog kategorisch ablehnen und statt dessen auf Sanktionen und Kriegsrhetorik setzen. Friedenspolitik ohne Dialog ist reine Illusion.
Es sind nicht die Militärs, die uns immer wieder in neue Kriege treiben – es sind die Politiker. Militärs wissen oft sehr genau, was Krieg bedeutet, und sind häufig zurückhaltender als jene, die von der politischen Bühne aus mit markigen Worten eskalieren. Der Weg zu einer friedlicheren Welt ist klar: reden, nicht abschotten.
Wie wird in Beijing die politische und wirtschaftliche Entwicklung der EU – insbesondere Deutschlands – wahrgenommen?
Mit großer Verwunderung und wachsender Irritation. In China fragt man sich, warum die EU sehenden Auges eine Politik betreibt, die ihr selbst schadet. Die wirtschaftliche Selbstzerstörung – erst im Verhältnis zu Russland, jetzt zunehmend auch gegenüber China – wirkt fast wie gewollt. Sekundärsanktionen gegen Unternehmen, die mit Russland handeln, gefährden nun auch die Handelsbeziehungen mit China. Dieses selbstzerstörerische Verhalten wird als irrational, teilweise sogar als masochistisch wahrgenommen.
Mit wem haben Sie gesprochen, und welche Themen waren für Ihre Gesprächspartner besonders wichtig?
Besonders aufschlussreich waren Gespräche mit Vertretern des globalen Südens. Deren Perspektive fehlt fast vollständig in der deutschen Medienlandschaft. Um so deutlicher wurde mir vor Ort: Das internationale Ansehen der deutschen Regierung ist derzeit auf einem historischen Tiefpunkt. Zwei Aspekte wurden immer wieder genannt: die Mitverantwortung Deutschlands für den Völkermord in Gaza durch Waffenlieferungen und die Rolle als neokoloniale Macht im Wirtschaftskrieg gegen Russland. Viele sehen in Berlins Sanktionspolitik einen Versuch, anderen Staaten vorzuschreiben, mit wem sie Handel treiben dürfen. Das weckt Erinnerungen an düstere Kapitel europäischer Außenpolitik.
Inwiefern wurde der Zusammenhang zwischen Markterschließung und politisch-ökonomischer Dominanz thematisiert?
Die Vertreter des globalen Südens betonten, dass wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht wieder in Abhängigkeiten führen darf – wie es etwa Frankreich in Afrika über Jahrzehnte betrieben hat. Statt dessen geht es um faire Handelsbeziehungen, die eigenständige Entwicklung ermöglichen. Auch der Wunsch nach alternativen Finanzinstitutionen jenseits von IWF und Weltbank wurde klar artikuliert – denn deren Politik gilt vielen als politisch motiviert und entwicklungsfeindlich. Frieden braucht wirtschaftliche Partnerschaft, nicht ökonomische Erpressung.
Sevim Dagdelen (BSW) war von 2005 bis Ende März 2025 Abgeordnete im Bundestag. Sie befasst sich schwerpunktmäßig mit Abrüstungspolitik
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